BGH, Beschluss vom 16. Januar 2024 - KVR 78/23

06.05.2024

BUNDESGERICHTSHOF

Verkündet am:

16. Januar 2024

KüpferleJustizamtsinspektorinals Urkundsbeamtinder Geschäftsstelle

in der Kartellverwaltungssache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


GWB § 67 Abs. 3 Satz 3


Hängt die Entscheidung über einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer kartellbehördlichen Verfügung von der Auslegung des Unionsrechts ab und hätte der Antrag nach der Beurteilung durch das Gericht Aussicht auf Erfolg, ist es aus Gründen der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes an einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union im Eilverfahren gehindert, wenn die Kartellbehörde auf den Vollzug der angefochtenen Verfügung für die Dauer eines möglichen Vorabentscheidungsverfahrens nicht verzichtet.


BGH, Beschluss vom 16. Januar 2024 - KVR 78/23 - OLG Düsseldorf


Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 16. Januar 2024 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kirchhoff, die Richterin Dr. Roloff, den Richter Dr. Tolkmitt, die Richterin Dr. Holzinger und den Richter Dr. Kochendörfer

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde wird der Beschluss des 1. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 9. August 2023 aufgehoben.

Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegen den Beschluss des Bundeskartellamts vom 31. März 2023 wird insoweit angeordnet, als der Beschluss die Beantwortung der Fragen 2.a, 2.b, 4., 5.a und 5.b des dem Beschluss beigefügten Fragebogens betrifft.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren trägt das Bundeskartellamt, das auch die notwendigen Auslagen der Betroffenen trägt. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Gründe:

[1] A. Die Betroffene betreibt als "Mobile Network Operator" (MNO) ein Mobilfunknetz. Die Beigeladene zu 3 vermarktet derzeit ohne eigene Netzinfrastruktur als "Mobile Virtual Network Operator" (MVNO) Mobilfunkleistungen an Endkunden. Sie plant, als vierter MNO in den deutschen Markt einzutreten. Zu diesem Zweck hat sie bereits mit dem Aufbau eines eigenen Mobilfunknetzes begonnen.

[2] Die für ihr Angebot erforderlichen Mobilfunkvorleistungen bezieht die Beigeladene zu 3 von der Betroffenen auf Grundlage einer National Roaming Vereinbarung, die die konzernverbundene Beigeladene zu 2 im Mai 2021 mit der Betroffenen geschlossen hat. Diese Vereinbarung sieht in Ziffer 1.1.2 ein sogenanntes "Wholesale-Verbot" vor, das es der Beigeladenen untersagt, die von der Betroffenen bezogenen Vorleistungen ihrerseits als Vorleistungen außerhalb des Konzerns an Vorleistungsnachfrager weiterzuverkaufen. Darüber hinaus enthält die Vereinbarung in Annex 7, Ziffer 3.6 eine - in ihrem Inhalt im Einzelnen vertrauliche - Regelung über Exzessive Datennutzung.

[3] Der Abschluss der National Roaming Vereinbarung geht zurück auf die Entscheidung der Europäischen Kommission (Kommission) vom 2. Juli 2014 gemäß Art. 8 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (Fusionskontrollverordnung oder FKVO), mit der die Kommission den Zusammenschluss zwischen der Betroffenen und der E-Plus Mobilfunk GmbH & Co. KG unter Bedingungen und Auflagen als mit dem Gemeinsamen Markt für vereinbar erklärte (Case M.7018 Telefónica Deutschland/E-Plus [KomE]). Die mit der Freigabe verbundenen Auflagen und Bedingungen beruhen auf Verpflichtungszusagen, die die Kommission von der Betroffenen zur Beseitigung wettbewerblicher Bedenken entgegengenommen hat.

[4] Nach der sogenannten "Upfront-MBA-MVNO-Remedy" war die Betroffene verpflichtet, vor Vollzug des Zusammenschlussvorhabens durch Abschluss eines Mobile Bitstream Access Agreements (MBA-Vereinbarung) zumindest einem MVNO einen festen Anteil ihrer Mobilfunk-Kapazität - mindestens aber 20 % der Gesamtkapazität ihres Netzes - zu verkaufen, wobei sich das Entgelt unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme der verkauften Kapazität durch den MVNO berechnen sollte. Die danach abzuschließende Vereinbarung sollte eine Laufzeit von fünf Jahren haben und dem MVNO die einseitige Option einräumen, den Vertrag um weitere fünf Jahre zu verlängern. Eine solche MBA-Vereinbarung schloss die Betroffene am 25. Juni 2014 mit der Beigeladenen zu 2. Nachdem die Kommission unter anderem auf die Streichung des Rechts der Beigeladenen zu 2 hingewirkt hatte, die von der Betroffenen erworbene Kapazität an Vorleistungsnachfrager zu verkaufen, stellte sie entsprechend der Regelung D.4. der Verpflichtungszusagen förmlich fest, dass die Beigeladene zu 2 ein geeigneter Upfront MBA MVNO ist und die geschlossene MBA-Vereinbarung in Einklang mit den Verpflichtungszusagen steht. In der Folgezeit machte die Beigeladene zu 2 von der Option zur Verlängerung der MBA-Vereinbarung bis zum 30. Juni 2025 Gebrauch.

[5] Nach einer weiteren Verpflichtungszusage, der sogenannten "MNO Remedy", die der Erleichterung des Markteinstiegs eines neuen MNO dienen sollte, war die Betroffene verpflichtet, in einer MNO-Vereinbarung bestimmte Leistungselemente anzubieten, darunter das Angebot zum Abschluss einer National Roaming Vereinbarung. Falls kein neuer MNO bis zum Ablauf des Jahres 2014 an diesem Angebot Interesse zeigen würde, sollte die Betroffene im Anschluss für einen Zeitraum von fünf Jahren verpflichtet sein, die MNO-Vereinbarung dem Upfront MBA MVNO anzubieten (mithin der Beigeladenen zu 2), hierüber mit diesem unter näher bezeichneten Bedingungen nach Treu und Glauben ("in good faith") zu verhandeln und eine entsprechende Vereinbarung abzuschließen. In diesem Fall sollte die bereits geschlossene MBA-Vereinbarung nach Maßgabe von Randnummer 59 der Verpflichtungszusagen als National Roaming Agreement weitergeführt werden. 2018 nahm die Beigeladene zu 2 dieses Angebot in Anspruch. Vor Abschluss der National Roaming Vereinbarung teilte die Kommission der Betroffenen mit E-Mail vom 8. Februar 2021 mit, dass diese Vereinbarung dem "good faith standard" der Verpflichtungszusagen entspreche, woraufhin die Betroffene und die Beigeladene zu 2 die National Roaming Vereinbarung abschlossen, die ebenso wie die MBA-Vereinbarung ein Wholesale-Verbot und eine Regelung über Exzessive Datennutzung enthält.

[6] Das Bundeskartellamt hat auf die Beschwerde der Beigeladenen zu 2 und 3 ein Kartellverwaltungsverfahren nach § 54 Abs. 1 GWB eingeleitet. Gegenstand des Verfahrens ist unter anderem die Prüfung, ob unter Anwendung der Art. 101, 102 AEUV und §§ 1, 19, 20 GWB eine Verfügung gemäß § 32 Abs. 1 GWB im Hinblick auf die Regelungen zum Wholesale-Verbot und die Regelung über Exzessive Datennutzung in Betracht zu ziehen ist. Mit Beschluss vom 31. März 2023 hat das Bundeskartellamt der Betroffenen aufgegeben, bestimmte Auskünfte zu erteilen.

[7] Soweit der Auskunftsbeschluss die Beantwortung der Fragen zu 2.a, 2.b, 4, 5.a und 5.b betrifft, hat die Betroffene dagegen Beschwerde eingelegt und zugleich beantragt, insoweit die aufschiebende Wirkung ihrer Beschwerde anzuordnen. In einem an das Bundeskartellamt gerichteten, zur Weiterleitung an das Beschwerdegericht vorgesehenen Schreiben vom 14. Juni 2023 hat die Kommission den Standpunkt vertreten, dass das Bundeskartellamt für die Überprüfung der in Rede stehenden Klauseln unzuständig ist. Den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom 9. August 2023 abgelehnt. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

[8] B. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

[9] I. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:

[10] Es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung, denn es sei nicht überwiegend wahrscheinlich, dass sich die von der Betroffenen erhobene Zuständigkeitsrüge im Hauptsacheverfahren als zutreffend erweise.

[11] Die Zuständigkeit des Bundeskartellamts sei nicht nach Art. 11 Abs. 6 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln (VO (EG) Nr. 1/2003) entfallen, da die Kommission die Prüfung der fraglichen Klauseln nicht durch die Einleitung eines entsprechenden Verfahrens an sich gezogen habe. Auch sei das Bundeskartellamt nicht durch Art. 21 Abs. 2 FKVO an einer kartellrechtlichen Überprüfung der Klauseln gehindert. Es sei nicht beabsichtigt, eine in der Fusionskontrollverordnung vorgesehene Entscheidung zu treffen. Die Ermittlungen dienten der Klärung, ob eine Abstellungsverfügung gemäß § 32 Abs. 1 GWB zu erlassen sei, weil bestimmte Klauseln der National Roaming Vereinbarung gegen § 1 GWB und Art. 101 AEUV oder gegen §§ 19, 20 GWB und Art. 102 AEUV verstießen. Das Bundeskartellamt beabsichtige auch nicht, sich in Widerspruch zu einer von der Kommission nach der Fusionskontrollverordnung getroffenen Entscheidung zu setzen. Das untersuchte Verhalten betreffe nicht den Zusammenschluss selbst und sei auch nicht erforderlich, um die Verpflichtungszusagen einzuhalten. Die Zusammenschlussbeteiligten könnten nur darauf vertrauen, dass sie die zwingenden Vorgaben der bedingten Freigabeentscheidung erfüllen können. Der Zuständigkeit des Bundeskartellamts stehe auch Art. 21 Abs. 3 Unterabs. 1 FKVO nicht entgegen. Eine Umgehung der Anfechtungsfrist nach Art. 263 Abs. 6 AEUV sei nicht zu besorgen, da die Freigabeentscheidung der Kommission mit Blick auf die nunmehr vereinbarten Klauseln nicht hätte angefochten werden können.

[12] II. Das hält der Nachprüfung anhand des im Rechtsbeschwerdeverfahren anzulegenden Maßstabs gemäß § 67 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. Satz 1 Nr. 2 GWB nicht stand.

[13] 1. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Beschwerde ganz oder teilweise anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung bestehen. Ernstliche Zweifel liegen dann vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die angefochtene Verfügung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BGH, Beschluss vom 23. Juni 2020 - KVR 69/19, BGHZ 226, 67 Rn. 11 - Facebook I [zu § 65 Abs. 3 GWB a.F.]; vgl. ferner BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1516/93, BVerfGE 94, 166, 194 [juris Rn. 99]; BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2020 - 1 C 19/19, BVerwGE 167, 383 Rn. 35). Derartige Zweifel erfordern nicht die volle gerichtliche Überzeugung von der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung (BGHZ 226, 67 Rn. 11 mwN - Facebook I). Die angefochtene Verfügung wird im Eilverfahren nach § 67 Abs. 3 GWB damit keiner umfassenden Rechtmäßigkeitskontrolle unterzogen (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2016 - KVZ 41/15, WuW 2016, 249 Rn. 19 - Energieversorgung Titisee-Neustadt; BGHZ 226, 67 Rn. 11 - Facebook I).

[14] Wegen dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs unterliegen Entscheidungen des Beschwerdegerichts nach § 67 Abs. 3 GWB auch im Rechtsbeschwerdeverfahren regelmäßig nur einer beschränkten Überprüfung. Das Rechtsbeschwerdegericht prüft das vom Beschwerdegericht gefundene Ergebnis nur auf rechtliche Plausibilität. Die Beschwerdeentscheidung hat im Rechtsbeschwerdeverfahren daher grundsätzlich insoweit Bestand, wie sie sich als vertretbar erweist (BGH, Beschlüsse vom 8. Mai 2007 - KVR 31/06, WuW 2007, 907 Rn. 17 - Lotto im Internet; vom 25. September 2007 - KVR 19/07, BGHZ 174, 12 Rn. 10 - Sulzer/Kelmix; vom 18. Oktober 2011 - KVR 9/11, WuW 2012, 273 Rn. 8 - Niederbarnimer Wasserverband; BGHZ 226, 67 Rn. 12 - Facebook I [jeweils zu § 65 Abs. 3 GWB a.F.]).

[15] 2. Der angefochtenen Entscheidung fehlt es nach diesen Maßstäben an hinreichender rechtlicher Plausibilität.

[16] Das Beschwerdegericht hat bei der Bestimmung der rechtlichen Maßstäbe, nach denen die fusionskontrollrechtlichen Zuständigkeiten der Kommission von denen des Bundeskartellamts zur Anwendung der Wettbewerbsvorschriften abzugrenzen sind, dem Vertrauensschutz nicht hinreichend Rechnung getragen. Zudem hat es bei der Auslegung der Verpflichtungszusagen wesentliche Umstände nicht ausreichend in den Blick genommen.

[17] Somit ist der Senat berufen, den Auskunftsbeschluss selbst daraufhin zu überprüfen, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung bestehen. Danach wird die Zuständigkeit des Bundeskartellamts zum Erlass der angefochtenen Verfügung zwecks Überprüfung der streitigen Klauseln am Maßstab der Art. 101, 102 AEUV und §§ 1, 19, 20 GWB im Hauptsacheverfahren wahrscheinlich nicht bejaht werden können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass für die Beantwortung der maßgeblichen Rechtsfragen im Hauptsacheverfahren ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union erforderlich sein wird, weil die richtige Auslegung des Unionsrechts nicht derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. EuGH, Urteile vom 6. Oktober 1982 - Rs. 283/81, NJW 1983, 1257 Rn. 21 - Cilfit; vom 15. September 2005 - C-495/03, Rn. 33 - Intermodal Transports; vom 4. Oktober 2018 - C-416/17, EuZW 2018, 1038 Rn. 110 - Kommission/Frankreich). Nach dem Inhalt der Kommissionsentscheidung gemäß Art. 8 Abs. 2 FKVO vom 2. Juli 2014 sprechen erhebliche Gründe dafür, dass die Vorschriften der Art. 21 Abs. 2 und 3 FKVO in Verbindung mit dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV einer Zuständigkeit des Bundeskartellamts entgegenstehen und die angefochtene Verfügung im Hauptsacheverfahren keinen Bestand haben wird.

[18] a) Nach Auffassung des Senats erlauben es Art. 21 Abs. 2 und 3 FKVO, Art. 4 Abs. 3 EUV dem Bundeskartellamt aus Gründen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit nicht, ein Marktverhalten am Maßstab der Art. 101, 102 AEUV oder des nationalen Wettbewerbsrechts zu überprüfen, das in Übereinstimmung mit Verpflichtungszusagen steht, die die Kommission mit einer Entscheidung nach Art. 8 Abs. 2 FKVO verbunden hat und die zur Kompensation der durch das Zusammenschlussvorhaben hervorgerufenen wettbewerblichen Bedenken marktöffnende Zugangsregelungen vorsehen. Anders als das Beschwerdegericht angenommen hat, sind nicht nur die erforderlichen oder zwingenden Regelungen derartiger Verpflichtungszusagen einer Überprüfung durch die nationalen Wettbewerbsbehörden entzogen.

[19] aa) Nach Art. 21 Abs. 2 FKVO ist die Kommission ausschließlich dafür zuständig, die in der Fusionskontrollverordnung vorgesehenen Entscheidungen zu treffen. Diese Verordnung verleiht der Kommission unter Ausschluss der Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 (s. Art. 21 Abs. 1, Halbsatz 2 FKVO) die Befugnis, einen Zusammenschluss im Sinne des Art. 3 FKVO am Maßstab des Art. 2 Abs. 2, 3 FKVO daraufhin zu überprüfen, ob durch ihn wirksamer Wettbewerb im Gemeinsamen Markt, insbesondere durch Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung, erheblich behindert wird. Auf dieser Grundlage entscheidet die Kommission nach Art. 6, 8 FKVO, ob der Zusammenschluss für vereinbar oder unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt zu erklären ist. Lediglich Gemeinschaftsunternehmen sind nach Art. 2 Abs. 4, 5 FKVO im Hinblick auf eine mögliche Verhaltenskoordinierung zusätzlich am Maßstab des Art. 101 AEUV zu prüfen. Wirft der Zusammenschluss ernsthafte Bedenken hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt auf (Art. 6 Abs. 1 Buchst. c FKVO) und haben die beteiligten Unternehmen gegenüber der Kommission Verpflichtungszusagen unterbreitet, so kann sie - wie hier - ihre Entscheidung nach Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 FKVO mit Auflagen und Bedingungen verbinden. Dabei ist die Kommission nicht darauf beschränkt, den Zusammenschlussbeteiligten strukturelle Auflagen zu machen; sie kann ihnen - wie hier geschehen - auch ein bestimmtes Verhalten vorschreiben, durch das dritten Unternehmen ein erleichterter und diskriminierungsfreier Zugang zu einer Infrastruktur oder wesentlichen Vorleistungen gewährt und damit ein erleichterter Marktzutritt ermöglicht werden soll (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Februar 2005 - C-12/03, WuW/E 2005, EU-R 875 Rn. 85 - Kommission/TetraLaval; EuG, Urteil vom 30. September 2003

- T-158/00, WuW/E EU-R 716 Rn. 193 - ARD/Kommission; s.a. Mitteilung der Kommission über nach der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates und der Verordnung (EG) Nr. 82/2004 der Kommission zulässige Abhilfemaßnahmen, Abl. EU Nr. C 267, 1 Rn. 15, 62 ff. [Mitteilung Abhilfemaßnahmen]).

[20] bb) Die ausschließliche Zuständigkeit der Kommission wird flankiert durch das an die Mitgliedstaaten gerichtete Verbot nach Art. 21 Abs. 3 FKVO, ihr innerstaatliches Wettbewerbsrecht auf Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung anzuwenden, sowie von der in Art. 21 Abs. 1, Halbs. 2 FKVO angeordneten Unanwendbarkeit der Verordnung (EG) Nr. 1/2003. Diese Regelungen dienen der Verfahrensvereinfachung und der Rechtssicherheit. Sie sollen sicherstellen, dass Zusammenschlüsse im Sinne des Art. 3 FKVO einheitlich von einer einzigen zentralen Stelle ("one stop shop") beurteilt werden und die Fusionskontrollverordnung das einzige Verfahrensinstrument darstellt, das auf die vorherige Prüfung von Zusammenschlüssen anwendbar ist, um eine wirksame Kontrolle sämtlicher Zusammenschlüsse im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die Wettbewerbsstruktur zu ermöglichen (vgl. Erwägungsgründe 6, 8 FKVO; EuGH, Urteile vom 7. September 2017, C-248/16, WuW 2017, 505 Rn. 21 - Austria Asphalt; vom 31. Mai 2018, C-633/16, Rn. 41 - Ernst & Young; vom 16. März 2023 - C-449/21, WuW 2023, 207 Rn. 36 - Towercast). Die Vorschriften zielen zudem aus Gründen der Rechtssicherheit darauf ab, eine doppelte Prüfung der Zusammenschlusstatbestände am Maßstab des Art. 2 FKVO und der Art. 101, 102 AEUV im Grundsatz zu verhindern (Schlussanträge der Generalanwältin

Kokott vom 13. Oktober 2022 - C-449/21, NZKart 2022, 648 Rn. 43, 60 - Towercast).

[21] cc) Gleichwohl schließen die Vorschriften der Fusionskontrollverordnung die Anwendung der Art. 101, 102 AEUV durch die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten auf Zusammenschlüsse im Sinne des Art. 3 FKVO nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht generell aus (EuGH, WuW 2023, 207 Rn. 39 - Towercast). Das folgt zum einen daraus, dass Vorschriften des Sekundärrechts nicht geeignet sind, die Anwendbarkeit des höherrangigen und subjektive Rechte gewährenden Primärrechts auszuschließen (BGH, Urteil vom 29. Oktober 2019 - KZR 39/19, Rn. 22 - Trassenentgelte; EuGH, WuW 2023, 207 Rn. 42 ff. - Towercast; Schlussanträge Generalanwältin Kokott, NZKart 2022, 648 Rn. 29 ff. - Towercast). Zum anderen hat der Unionsgesetzgeber mit Art. 21 Abs. 1 FKVO nur klarstellen wollen, dass lediglich die anderen Verordnungen zur Durchführung der Wettbewerbsregeln, insbesondere die Verordnung (EG) Nr. 1/2003, grundsätzlich auf Zusammenschlüsse nicht anwendbar sind, und zwar sowohl auf solche, die einen Missbrauch einer beherrschenden Stellung im Sinne des Art. 102 AEUV darstellen, als auch auf solche, die den beteiligten Unternehmen die Macht verleihen, einen wirksamen Wettbewerb im Binnenmarkt im Sinne des Art. 101 AEUV zu verhindern (vgl. EuGH, WuW 2023, 207 Rn. 35 - Towercast, s.a. die Selbstverpflichtung der Kommission in den Erklärungen für das Ratsprotokoll vom 19. Dezember 1989, WuW 1990, 240, 243).

[22] Danach können die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten nur unter bestimmten Umständen einen Zusammenschluss unter dem Blickwinkel der Art. 101, 102 AEUV beurteilen (EuGH, WuW 2023, 207 Rn. 40 - Towercast). Ob eine solche Prüfung zulässig ist, erfordert eine Abwägung zwischen den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes auf der einen Seite, die mit der Funktionsweise der präventiv wirkenden Fusionskontrolle verbunden sind, und den subjektiven Rechten der übrigen Marktteilnehmer auf der anderen Seite, die von den unmittelbar anwendbaren Vorschriften der Art. 101, 102 AEUV geschützt werden (EuGH, WuW 2023, 207 Rn. 40 ff. - Towercast, Schlussanträge Generalanwältin Kokott, NZKart 2022, 648 Rn. 59 ff. - Towercast). Zudem darf der Anwendungsbereich der Fusionskontrolle nicht zu Lasten der Wettbewerbsregeln unzulässig ausgedehnt werden (EuGH, WuW 2018, 394 Rn. 58 - Ernst & Young; Schlussanträge Generalanwältin Kokott, NZKart 2022, 648 Rn. 41

- Towercast).

[23] Demgemäß können solche Zusammenschlüsse, die weder die nationalen noch die Schwellenwerte nach Art. 1 FKVO erreichen und daher keine gemeinschaftsweite Bedeutung haben, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs einer ex-post-Kontrolle am Maßstab des Art. 102 AEUV unterzogen werden (EuGH, WuW 2023, 207 Rn. 52 - Towercast). Insoweit schließt die in Art. 21 Abs. 1 FKVO vorgesehene Unanwendbarkeit der Verordnung (EG) Nr. 1/2003, nach deren Art. 5 die Mitgliedstaaten für die Anwendung der Art. 101, 102 AEUV zuständig sind, nicht aus, dass nationale Wettbewerbsbehörden Art. 102 AEUV auf Zusammenschlüsse anwenden (EuGH, WuW 2023, 207 Rn. 47 - Towercast).

[24] dd) Inwieweit ein Verhalten, das - wie hier - in Zusammenhang mit von der Kommission nach Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 FKVO entgegengenommenen Verpflichtungszusagen steht, einer nachträglichen Kontrolle am Maßstab der Art. 101, 102 AEUV unterzogen werden kann, ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs ebenso wenig geklärt wie die Frage, ob die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten in diesen Fällen zur Anwendung der Wettbewerbsregeln der Union oder des nationalen Wettbewerbsrechts befugt sind (vgl. zum ebenfalls ungeklärten Verhältnis zwischen Art. 102 AEUV und den fusionskontrollrechtlichen Vorschriften bei - fusionsrechtlich - geprüften Zusammenschlussvorhaben: Schlussanträge Generalanwältin Kokott, NZKart 2022, 648 Rn. 58 ff. - Towercast).

[25] Für die Zwecke der im Eilverfahren beschränkten Rechtmäßigkeitskontrolle (oben Rn. 13 f.) hat der Senat seine eigene Beurteilung des Unionsrechts zugrunde zu legen. Ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof nach Art. 267 AEUV ist nicht veranlasst. In Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes entfällt die Vorlageverpflichtung des letztinstanzlichen Gerichts, sofern es, wie hier, jeder Partei unbenommen bleibt, ein Hauptverfahren entweder selbst einzuleiten oder dessen Einleitung zu verlangen, in dem jene im summarischen Verfahren vorläufig entschiedene Frage des Gemeinschaftsrechts erneut geprüft werden und den Gegenstand einer Vorlage bilden kann (EuGH, Urteile vom 24. Mai 1977 - Rs. 107/76 - Hoffmann-La Roche/Centrafarm, Slg. 1977, 957 Rn. 5 f. und vom 27. Oktober 1982 - Rs. 35 und 36/82 - Morson u.a., Slg. 1982, 3723 Rn. 8 ff.; BGH, Urteil vom 18. Oktober 2012 - III ZR 196/11, EuZW 2013, 194 Rn. 33, siehe auch BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2017 - 2 BvR 2013/16, NVwZ 2017, 470 Rn. 15). Der Senat ist im vorliegenden Eilverfahren zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes für die Betroffene aber auch an einer Vorlage an den Gerichtshof gehindert, weil das Bundeskartellamt auf den Vollzug der angefochtenen Verfügung für die Dauer eines möglichen Vorabentscheidungsersuchens nicht verzichtet hat.

[26] ee) Anders als das Beschwerdegericht hält es der Senat für unionsrechtlich plausibel, dass das Marktverhalten des an einem Zusammenschluss beteiligten Unternehmens einer nachträglichen ex-post-Kontrolle am Maßstab der Art. 101, 102 AEUV entzogen ist, soweit es mit den in den Verpflichtungszusagen vorgesehenen Regelungen in Übereinstimmung steht und daher sowohl in sachlicher als auch in zeitlicher Hinsicht von den nach Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 FKVO mit der Freigabeentscheidung verbundenen Auflagen und Bedingungen gedeckt ist. Inwieweit das der Fall ist, ergibt sich aus dem Inhalt der Verpflichtungszusagen und deren Erläuterungen in der Freigabeentscheidung sowie aus den in den Verpflichtungszusagen vorgesehenen, rechtsverbindlichen förmlichen Vollzugshandlungen der Kommission bei Durchführung und Überwachung der Auflagen, soweit diese in den Verpflichtungszusagen vorgesehen sind.

[27] (1) Die auf die Wettbewerbskompetenz nach Art. 83 EGV (jetzt Art. 103 AEUV) sowie die Flexibilitätsklausel nach Art. 308 EGV (jetzt Art. 352 AEUV) gestützte Fusionskontrollverordnung gehört zu einer Gesamtheit von Rechtsvorschriften, die der Umsetzung der Art. 101 und 102 AEUV und der Errichtung eines Kontrollsystems dienen, das Verfälschungen des Wettbewerbs im Binnenmarkt verhindern soll (EuGH, WuW 2017, 505 Rn. 31 - Austria Asphalt; WuW 2018, 394 Rn. 55 - Ernst & Young; WuW 2023, 207 Rn. 39 - Towercast). Sie ergänzt die repressive, mit den Art. 101, 102 AEUV verbundene ex-post-Kontrolle des Marktverhaltens durch eine präventiv wirkende, zentralisierte ex-ante-Kontrolle der Marktstrukturen (oben Rn. 19 f.).

[28] Ziel dieser Prüfung ist die Feststellung, ob ein Zusammenschluss wirksamen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt, insbesondere durch Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung, erheblich behindert. Nimmt die Kommission bei wettbewerblichen Bedenken gegen den Zusammenschluss Verpflichtungszusagen der beteiligten Unternehmen entgegen und macht sie diese zum Gegenstand der Freigabeentscheidung, so sind sie am Maßstab des Art. 2 Abs. 2 FKVO zu prüfen. Die Verpflichtungszusagen müssen in angemessenem Verhältnis zu den von der Kommission identifizierten Wettbewerbsproblemen stehen und diese vollständig beseitigen (Erwägungsgrund 30 FKVO). Bei der danach erforderlichen Beurteilung handelt es sich um eine Prognoseentscheidung im Hinblick auf die zukünftigen Auswirkungen des Zusammenschlussvorhabens unter Berücksichtigung der wahrscheinlichen Marktwirkungen der abgegebenen Verpflichtungszusagen auf Grundlage der im Zeitpunkt der Entscheidung bekannten Marktverhältnisse und erwartbaren Marktentwicklungen (vgl. EuG, Urteil vom 16. Mai 2018 - T-712/16, WuW 2018, 397 Rn. 35 - Deutsche Lufthansa/Kommission). Eine Entscheidung darüber, ob der Zusammenschluss, einzelne Elemente oder die von den Zusammenschlussbeteiligten unterbreiteten Verpflichtungszusagen gegen Art. 101 oder Art. 102 AEUV verstoßen, trifft die Kommission nicht. Dazu ist sie nur nach der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 befugt, die für die Zwecke der Prüfung des Zusammenschlussvorhabens nach Art. 21 Abs. 1, Halbs. 2 FKVO jedoch keine Anwendung findet.

[29] (2) Allerdings muss die Kommission bei der Beurteilung der Verpflichtungszusagen - auf der zur Verfügung stehenden Tatsachengrundlage und damit nur ex-ante - berücksichtigen, dass die Fusionskontrollverordnung ebenso wie die primärrechtlichen Wettbewerbsvorschriften der Gewährleistung eines unverfälschten und freien Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt dient (Erwägungsgrund 24 FKVO). Das schließt es aus, dass die Kommission Verpflichtungszusagen als Bedingungen oder Auflagen mit der Freigabeentscheidung nach Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 FKVO verbindet, die im Zeitpunkt der Prognoseentscheidung bereits erkennbar im Widerspruch zu Art. 101, 102 AEUV stehen (EuG, Urteil vom 3. April 2003 - T-119/02, Slg. II 2003, 1433 Rn. 216, mwN - Royal Philips Electronics/Kommission; s.a. EuG, Urteil vom 20. November 2002 - Rs. T-251/00, WuW 2003, 1091 Rn. 85 - Lagadère/Kommission, zur inzidenten Prüfung von Nebenabreden gemäß Art. 101, 102 AEUV im Rahmen der fusionskontroll-

rechtlichen Prüfung; EuGH, Urteil vom 15. Juni 1993 - C-225/91, Rn. 42 f. - Matra/Kommission, zum Beihilfenrecht; Körber in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl., FKVO Art. 8 Rn. 122).

[30] Auch wenn sich ex-ante- und ex-post Kontrolle unterscheiden und es sich bei der Beurteilung von Verpflichtungszusagen am Maßstab der Art. 2, Art. 8 Abs. 2 FKVO nicht um eine formelle Entscheidung über die Anwendung von Art. 101, 102 AEUV handelt, darf die Kommission nach Auffassung des Senats aus Gründen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit das mit ihnen in Übereinstimmung stehende Marktverhalten nicht erneut am Maßstab der Wettbewerbsregeln überprüfen (vgl. zur Bedeutung des Vertrauensschutzes, des grundsätzlichen Vorrangs der fusionskontrollrechtlichen Regelungen und der Vermeidung einer Doppelkontrolle bei Zusammenschlussvorhaben, die bereits einer fusionskontrollrechtlichen Prüfung unterzogen worden sind: Schlussanträge Generalanwältin Kokott, NZKart 2022, 648 Rn. 58 ff. - Towercast). Vielmehr müssen sich die Zusammenschlussbeteiligten darauf verlassen können, dass der Zusammenschluss selbst ebenso wie - für die Dauer ihrer Laufzeit - der Inhalt der Verpflichtungszusagen, die die Kommission eingehend im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt zur Verhinderung von Wettbewerbsverfälschungen geprüft und zum Gegenstand der Entscheidung gemacht hat, nicht (erneut) auf Grundlage der primärrechtlichen Wettbewerbsvorschriften in Zweifel gezogen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass insbesondere bei der Ausgestaltung von marktöffnenden Zugangsverpflichtungen angesichts der zahlreichen widerstreitenden wirtschaftlichen Interessen eine umfassende Abwägung möglicher Wirkungen einzelner Regelungen des beabsichtigten Marktöffnungsregimes vorzunehmen ist. Nur dies erlaubt die Beurteilung, inwieweit sie hinreichen, um die durch das Zusammenschlussvorhaben hervorgerufenen wettbewerbsrechtlichen Bedenken vollständig auszuräumen. Haben die Zusammenschlussbeteiligten im Austausch mit der Kommission abschließend den Inhalt der Verpflichtungszusagen bestimmt, den die Kommission zum Gegenstand der Freigabeentscheidung macht, so spiegelt dieser Inhalt das Ergebnis dieses Abwägungsprozesses wider. Damit wird festgestellt, was unter Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die vollständige Ausräumung der gegen den Zusammenschluss bestehenden wettbewerbsrechtlichen Bedenken und zur Verhinderung von Wettbewerbsverfälschungen von den Zusammenschlussbeteiligten verlangt werden kann.

[31] Entwickelt die Kommission in Abstimmung mit den beteiligten Unternehmen auf Grundlage von Markttests als Kompensationsmaßnahme ein Marktdesign, das durch langfristige Verhaltensauflagen eine Marktöffnung bewirken und den Zutritt neuer Wettbewerber fördern soll, so müssen die Zusammenschlussbeteiligten daher vorbehaltlich einer Anfechtung durch Dritte nach Art. 263 Abs. 4 AEUV darauf vertrauen können, dass die Vereinbarungen, die sie mit Dritten auf Grundlage der Bedingungen und Auflagen schließen und die sich inhaltlich mit diesen decken, auch unter Berücksichtigung von Art. 101, 102 AEUV wettbewerbsrechtlich zulässig und damit durchführbar sind, jedenfalls aber nicht von der Kommission oder den nationalen Kartellbehörden erneut in Zweifel gezogen werden. Das gilt ohne Weiteres für solche Verpflichtungen, die für die Beteiligten zwingend sind, weil das daraus resultierende Marktverhalten kartellbehördlich vorgegeben ist und den Beteiligten daher keine Handlungsspielräume zustehen (vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 2019 - KZR 39/19, WRP 2020, 686 Rn. 24 - Trassenentgelte; EuGH, Urteile vom 11. November 1997 - C-359/95, EuZW 1997, 759 Rn. 33 - Ladbroke Racing; vom 17. Februar 2011 - C-52/09, EuZW 2011, 339 Rn. 49 - TeliaSonera). Auf solche zwingenden oder notwendigen Verhaltensweisen ist das berechtigte Vertrauen der Zusammenschlussbeteiligten - anders als das Beschwerdegericht gemeint hat - allerdings nicht beschränkt. Auch sofern die Zusammenschlussbeteiligten nach den Verpflichtungszusagen den Vertragspartnern (noch) günstigere Bedingungen gewähren können, müssen sie davon ausgehen dürfen, die von der Kommission geprüften Bedingungen zur Vermeidung kartellbehördlicher Maßnahmen keiner weiteren Selbstveranlagung im Hinblick auf die Übereinstimmung mit den Wettbewerbsregeln unterziehen zu müssen. Denn anderenfalls blieben die Unternehmen im Unsicheren über die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit der Zusagen und müssten bei Abschluss der entsprechenden Verträge ihrerseits jeweils von Neuem prüfen, ob die von der Kommission vorgesehenen und im Hinblick auf die zu erwartenden wettbewerblichen Wirkungen von ihr geprüften Bedingungen und Auflagen im Widerspruch zu Art. 101, 102 AEUV stehen. Das ist mit dem berechtigten Vertrauen der beteiligten Unternehmen auf den Bestand der konsensualen Lösung nicht vereinbar (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 2018 - KVR 38/17, WuW 2018, 468 Rn. 37 aE - Holzvermarktung Baden-Württemberg, zu § 32b GWB). Es widerspräche auch dem Willen des Unionsgesetzgebers, wonach die Fusionskontrollverordnung aus Gründen der Verfahrenseffizienz das einzige Verfahrensinstrument ist, das auf die Beurteilung von Zusammenschlüssen und damit auch auf die wettbewerbsrechtliche Bewertung langfristig wirkender Verhaltensauflagen als Kompensationsmaßnahmen für wettbewerbsrechtliche Bedenken anwendbar sein soll (oben Rn. 20). Diese Bewertung ist wesentlicher Bestandteil der nach Art. 2, Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 FKVO zu treffenden Entscheidung.

[32] Bei der hier in Rede stehenden Überprüfung einzelner Klauseln mit marktöffnenden Zugangsverpflichtungen kommt hinzu, dass der Zugang eines dritten Marktteilnehmers zu wesentlichen Vorleistungen seinen Rechtsgrund überhaupt erst in der fusionskontrollrechtlichen Verpflichtungszusage findet, sodass die Reichweite des zu gewährenden Zugangs damit ebenfalls nach Maßgabe der Fusionskontrollverordnung und nicht nach den allgemeinen Wettbewerbsregeln zu bestimmen ist. Diese der Kommission nach der Fusionskontrollverordnung zugewiesene Entscheidungskompetenz würde unterlaufen, könnten die nationalen Wettbewerbsbehörden auf Grundlage der VO (EG) Nr. 1/2003 einzelne Klauseln einer gesonderten Überprüfung am Maßstab der Art. 101, 102 AEUV oder des nationalen Wettbewerbsrechts unterziehen. Die sich daraus ergebende Beschränkung der Zuständigkeit der nationalen Wettbewerbsbehörden zur Anwendung der Art. 101, 102 AEUV stellt insofern keine unzulässige Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Fusionskontrolle dar.

[33] Solange die Zusammenschlussbeteiligten in Übereinstimmung mit den Verpflichtungszusagen und dem darin vorgesehenen Marktverhalten handeln, kann die Zuständigkeit der nationalen Wettbewerbsbehörden entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts auch nicht von einer erneuten Bewertung abhängen, welche Klauseln der Verpflichtungszusagen und welches Marktverhalten die Kommission als erforderlich zur Ausräumung der wettbewerblichen Bedenken angesehen hat. Die als Auflagen mit der Freigabeentscheidung verbundenen Verpflichtungszusagen dokumentieren diese Bewertung in ihrer Gesamtheit (oben Rn. 30). Verpflichtungen, die aus Wettbewerbsgründen nicht erforderlich sind, kann die Kommission den Zusammenschlussbeteiligten nach Art. 8 Abs. 2 FKVO nicht auferlegen (oben Rn. 18).

[34] (3) Auch die Systematik der Fusionskontrollverordnung lässt erkennen, dass der Unionsgesetzgeber hier der Rechtssicherheit und dem Vertrauensschutz einen besonderen Stellenwert beigemessen hat. Anders als nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. a VO (EG) Nr. 1/2003 bei Verpflichtungszusagen zur Abstellung von Verstößen gegen Art. 101, 102 AEUV ist die Kommission nach den Vorschriften der Fusionskontrollverordnung nicht befugt, das Verfahren wiederaufzunehmen, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt geändert haben. Vielmehr kann die Kommission nach Art. 8 Abs. 6 FKVO eine Freigabeentscheidung nur dann widerrufen, wenn sie auf unrichtigen Angaben beruht, die von einem der beteiligten Unternehmen zu vertreten sind, oder arglistig herbeigeführt worden ist oder die beteiligten Unternehmen einer in der Entscheidung vorgesehenen Auflage zuwiderhandeln. Auch eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach Art. 8 Abs. 7 FKVO ist nur dann möglich, wenn entweder die Freigabeentscheidung nach Art. 8 Abs. 6 FKVO widerrufen oder der Zusammenschluss unter Verstoß gegen eine Bedingung vollzogen worden ist. Im Übrigen besteht nach Art. 14 Abs. 2 Buchst. d FKVO nur die Möglichkeit, ein Bußgeld zu verhängen, wenn gegen Auflagen verstoßen wird. Eine gesetzliche Grundlage, ohne Rücksicht auf den rechtlichen Bestand des Zusammenschlusses die zum Gegenstand der Freigabeentscheidung gemachten Auflagen nachträglich zu Lasten der beteiligten Unternehmen und zugunsten Dritter zu ändern, ergibt sich aus der Fusionskontrollverordnung nicht.

[35] Zwar kann sich die Kommission insbesondere bei marktöffnenden Zugangsregelungen im Wege sogenannter Sprech- oder Änderungsklauseln vorbehalten, eine begrenzte Änderung der Verpflichtungen zu veranlassen, wenn die ursprünglichen Verpflichtungen nicht zu den erwarteten Ergebnissen führen und daher die wettbewerbsrechtlichen Bedenken nicht wirksam beseitigen (vgl. Mitteilung Abhilfemaßnahmen, Rn. 71 ff.). Das kommt aber nur dann in Betracht, wenn die Kommission zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung nicht alle Entwicklungen im Hinblick auf die Umsetzung der Verpflichtungszusagen absehen kann und zudem eine entsprechende Klausel aufgenommen worden ist, wonach in einem solchen Fall die beteiligten Unternehmen verpflichtet sind, von sich aus eine Änderung zu beantragen oder die Kommission berechtigt ist, nach Anhörung der Beteiligten die Auflagen von Amts wegen zu ändern (ebd. Rn. 74). Eine solche auch zum Nachteil der Betroffenen wirkende Vorbehaltsklausel enthalten die hier in Rede stehenden Verpflichtungszusagen allerdings nicht (vgl. dort Rn. 134 ff.). Im Übrigen sieht sich die Kommission nach allgemeinen Grundsätzen ohne Änderungs- oder Sprechklausel nur dazu berechtigt, die bindenden Verpflichtungszusagen zugunsten der beteiligten Unternehmen abzuändern (vgl. Kommission, Beschluss vom 3. Mai 2011 - COMP/M.950, Rn. 23 - Hoffmann La Roche/Boehringer Mannheim; EuG, Urteil vom 16. Mai 2018 - T-712/16, WuW 2018, 397 Rn. 42 - Deutsche Lufthansa/Kommission; Käseberg in Bunte, Kartellrecht, 14. Aufl., Art. 8 FKVO Rn. 118).

[36] Fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage für die isolierte Wiederaufnahme des Verfahrens im Hinblick auf die Ausgestaltung der mit der Freigabeentscheidung verbundenen Auflagen und hat die Kommission auch keinen Abänderungsmechanismus für den Fall vorgesehen, dass die Auflagen die ihnen ursprünglich beigemessene Wirkung nicht erzielen, so spricht vieles dafür, dass weder die Kommission noch die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten durch Anwendung der Art. 101, 102 AEUV eine Änderung der Auflagen vornehmen können, deren Ausgestaltung nach Art. 21 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 FKVO allein der Kommission nach den Regeln der Fusionskontrollverordnung obliegt. Das in den Verpflichtungszusagen dokumentierte Ergebnis des konsensual geprägten Verfahrens muss aufgrund der umfassenden Prüfung der Kommission vielmehr als "sicherer Hafen" für die Ausgestaltung der Marktöffnung gelten, der aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht mehr zur Disposition der Kommission steht und - unter Beachtung des in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit (vgl. dazu BGH, Urteil vom 1. September 2020 - KZR 12/15, WuW 2021, 119 Rn. 26 - Stationspreissystem II) - auch von den mitgliedstaatlichen Behörden weder nach den Art. 101, 102 AEUV noch nach nationalem Wettbewerbsrecht (Art. 21 Abs. 3 FKVO) in Zweifel gezogen werden kann, auch wenn diese für die Anwendung der Wettbewerbsregeln zum Schutz der individuellen Rechte der übrigen Marktteilnehmer grundsätzlich zuständig sind. Das gilt jedenfalls für von der Kommission vorgesehene Marktöffnungsregelungen, bei denen bestimmte Zugangspflichten der Zusammenschlussbeteiligten und korrespondierende Rechte Dritter allein aufgrund der fusionskontrollrechtlichen Gesamtabwägung begründet worden sind. Anderenfalls müssten die Zusammenschlussbeteiligten damit rechnen, dass aus den konsensual vereinbarten Zusagen später weitergehende Rechte abgeleitet werden können, ohne dass die ursprüngliche Gesamtabwägung in den Blick genommen wird. Insoweit lassen mögliche Prognosefehler der Kommission bei der Bewertung der Marktwirkungen von Verpflichtungszusagen weder die Zuständigkeit der Kommission noch die der nationalen Wettbewerbsbehörden zur Überprüfung des in Übereinstimmung mit den Verpflichtungszusagen stehenden Marktverhaltens am Maßstab der genannten Vorschriften aufleben. Etwaige Fehleinschätzungen können nur mit den nach der Fusionskontrollverordnung zur Verfügung stehenden Verfahrensinstrumenten geheilt werden.

[37] (4) Auf dieser Grundlage richtet sich nach Auffassung des Senats die Reichweite der Art. 101, 102 AEUV ebenso wie die des nationalen Wettbewerbsrechts - und im Anschluss daran die behördliche Zuständigkeit - nach dem Inhalt der Verpflichtungszusagen, die die Kommission als Auflagen mit der Freigabeentscheidung nach Art. 8 Abs. 2 FKVO verbunden hat. Diese Auflagen sind im Lichte der Freigabeentscheidung selbst sowie etwaiger weiterer formeller Entscheidungen im Zuge der Überwachung und Durchsetzung zu beurteilen, sofern letztere in den Verpflichtungszusagen vorgesehen sind. Die verbindliche Auslegung, welches konkrete Marktverhalten der Zusammenschlussbeteiligten die Kommission zur vollständigen Ausräumung der wettbewerblichen Bedenken vorgesehen hat und daher von der Kommissionentscheidung gedeckt ist, obliegt nach Art. 267 AEUV dem Gerichtshof (EuGH, Urteil vom 1. August 2022

- C-588/20, WuW 2022, 547 Rn. 33 bis 35 - Landkreis Northeim; s. a. Schlussanträge der Generalanwältin Medina vom 24. Februar 2022 - C-588/20 Rn. 37, mwN; EuG, Urteil vom 9. Oktober 2018 - T-885/16, Rn. 55 - Mass Responses Service GmbH/Kommission, zur Auslegung von Verpflichtungszusagen). Ein Auslegungsmonopol der Kommission im Hinblick auf ihre eigenen Entscheidungen besteht nicht. Informelle Äußerungen der Kommission nach Erlass einer Entscheidung nach Art. 8 Abs. 2 FKVO über den Inhalt der Verpflichtungszusagen können allenfalls ein mögliches, aber kein bindendes Auslegungsergebnis widerspiegeln (EuG, Urteil vom 9. Oktober 2018 - T-885/16, Rn. 55 - Mass Responses Service GmbH/Kommission). Angesichts der Letztentscheidungskompetenz des Gerichtshofs kommt zudem eine Bindung des Rechtsbeschwerdegerichts an ein vom Beschwerdegericht gewonnenes Auslegungsergebnis - anders als die Beigeladenen zu 2 und 3 meinen - nicht in Betracht. Vielmehr wird im Hauptsacheverfahren auch aus diesem Grund ein Vorabentscheidungsersuchen veranlasst sein.

[38] b) Bei Anwendung dieser im Eilverfahren zugrunde zu legenden Maßstäbe ergibt sich, dass sowohl das Wholesale-Verbot als auch die Regelung über Exzessive Datennutzung Teil des von der Kommission vorgesehenen Zugangsregimes und daher von den Verpflichtungszusagen gedeckt sind. Sie sind somit der Zuständigkeit des Bundeskartellamts zur Überprüfung am Maßstab der Art. 101, 102 AEUV sowie der Vorschriften des nationalen Wettbewerbsrechts nach Art. 21 Abs. 2 und 3 FKVO entzogen. Soweit das Beschwerdegericht angenommen hat, die Regelungen der MBA-Vereinbarung hätten nur als Ausgangsbasis für die Verhandlungen über eine National Roaming Vereinbarung gedient und seien daher einer Überprüfung durch das Bundeskartellamt am Maßstab der Art. 101, 102 AEUV und des nationalen Wettbewerbsrechts zugänglich, hat es den Sachverhalt nicht vollständig ausgeschöpft. Aus den Ausführungen der Kommission in der Freigabeentscheidung ergibt sich, dass die Regelungen der MBA-Vereinbarung als National Roaming Vereinbarung jedenfalls fortgelten konnten.

[39] aa) Nach Abschnitt D.2 der Verpflichtungszusagen handelt die Betroffene in Übereinstimmung mit den Verpflichtungszusagen in Bezug auf die Up-front MBA MVNO Remedy, wenn sie sämtliche darin enthaltenen Bedingungen oder Verpflichtungen einhält, insbesondere, wenn sie (1) eine MBA-Vereinbarung mit bis zu drei Upfront MVNO auf Grundlage der in Abschnitt C.1 sowie Annex 2 und 3 geregelten Prinzipien abschließt, (2) die Kommission eine solche MBA-Vereinbarung genehmigt, indem sie prüft und bestätigt, dass sie mit den vorgenannten Prinzipien übereinstimmt, und (3) die Betroffene für die gesamte Laufzeit der Verpflichtungszusagen alle Verpflichtungen nach Abschnitt C.1 sowie Annex 1 und 2 einhält.

[40] Im Hinblick auf die MNO-Remedy handelt die Betroffene gemäß Abschnitt D.3 in Einklang mit den Verpflichtungszusagen, wenn sie sich an die Bedingungen und Auflagen gemäß Abschnitt C.2 hält, insbesondere auf Grundlage der kommerziellen und technischen Bedingungen, wie sie in Abschnitt C.2 und in den in Bezug genommen Anhängen niedergelegt sind, eine MNO-Vereinbarung nach Treu und Glauben ("good faith") verhandelt und abgeschlossen hat. Darüber hinaus handelt die Betroffene auch dann in Einklang mit den Verpflichtungszusagen, wenn sie Vereinbarungen schließt, mit denen sie den jeweiligen Vertragspartnern günstigere Konditionen einräumt als in den Verpflichtungszusagen sowie in den in Bezug genommenen Annexen vorgesehen sind, sofern diese Abweichungen ihrerseits (noch) in Übereinstimmung mit den Verpflichtungszusagen stehen.

[41] bb) Die Regelung über die Exzessive Datennutzung war in Ziff. 2.2.2 des Annex 2 zu den Verpflichtungszusagen enthalten, der die Bedingungen der MBA-Vereinbarung ausgestaltet. Das Wholesale-Verbot hat die Kommission gemäß Abschnitt D.2 der Verpflichtungszusagen im Rahmen der Prüfung der MBA-Vereinbarung verlangt, bevor sie deren Übereinstimmung mit den Verpflichtungszusagen förmlich bestätigt hat.

[42] cc) Diese Regelungen waren auch insoweit von den Verpflichtungszusagen gedeckt, als die Vertragsparteien die Klauseln in der National Roaming Vereinbarung fortgeschrieben haben.

[43] (1) Die National Roaming Vereinbarung beruht darauf, dass die Beigeladene sowohl die Option zur Verlängerung der MBA-Vereinbarung unter der

"Upfront MVNO Remedy" als auch die Option zur Aktivierung der "MNO Remedy" ausgeübt hat, nachdem sie sich zum Aufbau eines eigenen Mobilfunknetzes und damit zum Eintritt in den Markt als neuer MNO entschieden hat. Zwar geht das Beschwerdegericht zu Recht davon aus, dass die Kommission die Freigabe nicht davon abhängig gemacht hat, dass ein MNVO oder ein neuer MNO diese Optionen tatsächlich ausüben werden. Nach dem Inhalt der Verpflichtungszusagen bestand weder für die Betroffene noch für den Upfront MVNO oder einen neuen MNO ein Zwang zur Verlängerung der MBA-Vereinbarung oder zum Abschluss einer Vereinbarung nach der "MNO Remedy". Das lässt aber unberücksichtigt, dass den Verpflichtungszusagen für die Betroffene bindende Regelungen für den Fall zu entnehmen sind, dass diese Optionen ausgeübt werden.

[44] (2) Beansprucht - wie hier - der Upfront MBA MVNO als Markteinsteiger die MNO-Remedy für sich, gilt nach dem Wortlaut des Abschnitts C.2.b.ee der Verpflichtungszusagen (dort Rn. 59) die unter der "Upfront MBA MVNO Remedy" geschlossene MBA-Vereinbarung als National Roaming Vereinbarung fort mit der Folge, dass der nationale Roamingdatenverkehr nach den in der MBA-Vereinbarung vorgesehenen Bitstream-Komponenten und - ausdrücklich - nicht nach einer anderen National Roaming Vereinbarung abgewickelt und abgerechnet wird. Dabei soll die nach der MBA-Vereinbarung bestehende Verpflichtung der Betroffenen, dem Upfront MBA MVNO eine bestimmte Kapazität zur Verfügung zu stellen, in dem Umfang reduziert werden, in dem dieser als Markteinsteiger sein Netz ausbaut und für den Datenverkehr nutzt. In gleicher Weise sind dann die Kapazitätsverpflichtungen nach der MBA-Vereinbarung anzupassen. Die in Abschnitt C.2 enthaltene Überleitungsvorschrift wird nach Wortlaut und Systematik der Verpflichtungszusagen von der allgemeinen Regelung in Abschnitt D.3 in Bezug genommen, nach der die Betroffene verpflichtet war, eine MNO-Vereinbarung mit einem neuen MNO entsprechend den Bedingungen gemäß Abschnitt C.2 nach Treu und Glauben zu verhandeln und abzuschließen.

[45] Damit werden zunächst für die Zwecke der Ausgestaltung der "MNO Remedy" die Regelung nach Abschnitt C.1 der Verpflichtungszusagen sowie des korrespondierenden Annex 2 in Bezug genommen, in denen die Bedingungen der "Upfront MBA MVNO Remedy" sowie der danach abzuschließenden Vereinbarung aufgeführt sind. Nach der in Abschnitt C.2.b.ee vorgesehenen Überleitungsvorschrift, die ausweislich ihrer Überschrift die kommerziellen Bedingungen der "National Roaming Offer" näher bestimmt, soll zudem die MBA-Vereinbarung fortgelten ("will continue"), wenn der Marktneuling zugleich der bisherige Upfront MBA MVNO ist. Anders als das Beschwerdegericht angenommen hat, soll die MBA-Vereinbarung nicht bloß die Ausgangsbasis für die zu führenden Verhandlungen bilden. Die Fortgeltung der Vertragsbedingungen beschränkt sich auch nicht allein auf die Kapazitätsüberlassung als dem Kernelement der MBA-Vereinbarung. Zwar wird in den Verpflichtungszusagen näher beschrieben, was unter Fortgeltung der MBA-Vereinbarung zu verstehen ist (Rn. 59: "which means"). Danach sollte der Roaming-Datenverkehr nach den Bitstream-Komponenten 1 bis 3 des in Abschnitt C.1 näher beschriebenen MBA-Modells abgewickelt und berechnet werden. Das könnte dahingehend verstanden werden, dass auch nur insofern die Geltung einer abweichenden, anderweitigen Nationalen Roaming-Vereinbarung ("any other national roaming agreement") ausgeschlossen und das bereits vereinbarte Kapazitäts-Modell nur im Hinblick auf den Fortschritt des eigenen Netzausbaus des Upfront MBA MVNO und der dann ihm auf Grundlage der eigenen Infrastruktur zur Verfügung stehenden Kapazität anzupassen sein sollte. Dem entsprechend enthält auch die Regelung der Upfront MBA MNVO Remedy den Hinweis darauf, dass das verpflichtende Kapazitätsangebot der Betroffenen und die korrespondierende Abnahmeverpflichtung des Upfront MBA MVNO nach der Regelung in Abschnitt C.2.b.ee der MNO-Remedy, mithin der Regelung in Randnummer 59 der Verpflichtungszusagen, anzupassen sind. Allerdings ergibt sich - was das Beschwerdegericht nicht in den Blick genommen hat - aus den Erläuterungen der Kommission in der Freigabeentscheidung, dass nicht nur das Kapazitätsmodell der Upfront MBA MVNO Remedy, sondern die MBA-Vereinbarung insgesamt, d.h. mit sämtlichen Regelungen und Bedingungen, Anwendung finden sollte ("Moreover, if an Upfront MBA MVNO concludes the MNO Agreement with T., the terms and conditions of the MBA wholesale agreement will apply to the national roaming agreement (subject to certain adjustments)", KomE Rn. 1363 aE). Als maßgebliche Änderungen werden dort die Kapazitätsanpassungen, nicht aber weitergehende Abweichungen im Hinblick auf die beiden hier maßgeblichen Klauseln aufgeführt. Damit hat die Kommission eine ausdrückliche Regelung für den hier zu beurteilenden Fall vorgesehen, dass der Upfront MBA MVNO sich zu einem Markteintritt als MNO entschließt und ein eigenes Netz aufbaut.

[46] (3) Diese in den Verpflichtungszusagen enthaltene Vertragsmechanik wird weder dadurch in Frage gestellt, dass Mitarbeiter der Kommission der Betroffenen im Zuge der Überwachung der Verpflichtungszusagen und damit nach der Freigabeentscheidung informell allein bestätigt haben, dass die abgeschlossene National Roaming Vereinbarung dem "good faith"-Standard gemäß Abschnitt D.3 entspreche, noch dadurch, dass die Kommission bestimmte in der National Roaming Vereinbarung enthaltene Vorbehalte zur (kartellrechtlichen) Überprüfung der relevanten Klauseln oder vereinzelte Abweichungen von den Verpflichtungszusagen nicht beanstandet hat. Ein derartiges Verhalten der Kommission nach Erlass der Entscheidung kann den Inhalt der von der Kommission entgegengenommenen und mit der Freigabeentscheidung verbundenen Verpflichtungszusagen nicht ändern. Wie bereits ausgeführt (Rn. 44) hatte die Betroffene nach Ziffer D.3 der Verpflichtungszusagen eine MNO-Vereinbarung nicht lediglich nach Treu und Glauben ("good faith") zu verhandeln, sondern war gehalten, sämtliche Vorgaben des Abschnitts C.2. und damit auch die kommerziellen Vorgaben gemäß C.2.b.ee zu beachten. Ungeachtet dessen lässt das Verhalten der Kommission auch nicht mit der notwendigen Deutlichkeit den Schluss auf ein abweichendes Verständnis vom Inhalt der Verpflichtungszusagen zu. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sie gegenüber dem Bundeskartellamt - ebenfalls im Nachgang zu der Entscheidung nach Art. 8 Abs. 2 FKVO - die Rechtsauffassung vertreten hat, dass die relevanten Klauseln von den Verpflichtungszusagen gedeckt sind.

[47] (4) Auf dieser Grundlage wird im Hauptsacheverfahren davon auszugehen sein, dass sowohl das Wholesale-Verbot als auch die Regelung über Exzessive Datennutzung nach dem Inhalt der Verpflichtungszusagen in der National Roaming Vereinbarung jedenfalls fortgelten konnten, sie insoweit von der Freigabenentscheidung gedeckt waren und die Betroffene daher darauf vertrauen konnte, dass weder die Kommission noch nationale Wettbewerbsbehörden die Klauseln während der Laufzeit der Verhaltensauflagen in Frage stellen. Anders als die Beigeladenen zu 2 und 3 meinen, stehen die relevanten Klauseln damit in einem hinreichend engen Zusammenhang mit den Verpflichtungszusagen.

[48] (a) Die Regelung über Exzessive Datennutzung ist unmittelbar Gegenstand der in Annex 2 näher geregelten Bitstream-Komponente 2 und daher ausdrücklich von der Fortführungsklausel gemäß Abschnitt C.2.b.ee der Verpflichtungszusagen (Rn. 59) erfasst. Ob es sich bei dieser Regelung - wie das Beschwerdegericht gemeint hat - um ein Zugeständnis gegenüber der Betroffenen handelt, ist unerheblich. Selbst wenn das zuträfe, änderte dies nichts daran, dass die Kommission die Regelung als Teil eines Marktöffnungsregimes akzeptiert und sie diese trotz der damit verbundenen wettbewerblichen Beschränkungen (KomE Rn. 13888) vorgesehen hat. Sie stand daher nach Auffassung der Kommission einer vollständigen Kompensation von befürchteten nachteiligen Marktwirkungen des Zusammenschlusses nicht entgegen.

[49] (b) Auch das Wholesale-Verbot sollte nach der Systematik der Verpflichtungszusagen bei Abschluss der National Roaming Vereinbarung zumindest fortgelten können. Zwar enthalten die Verpflichtungszusagen selbst keine ausdrückliche Regelung, wonach die abzuschließende MBA-Vereinbarung oder die National Roaming Vereinbarung ein solches Verbot enthalten sollten. Jedoch ist diese Beschränkung auf Drängen der Kommission in die MBA-Vereinbarung aufgenommen und von ihr gemäß Abschnitt D.2 der Verpflichtungszusagen (Rn. 82) als in Übereinstimmung mit den Verpflichtungszusagen stehend formell genehmigt worden. Sie war damit Teil der MBA-Vereinbarung, deren Bedingungen nach der Systematik der MNO-Remedy in Gänze - vorbehaltlich etwaiger Kapazitätsanpassungen - fortgelten sollten (oben Rn. 44). Diese Klausel ist damit ebenfalls Bestandteil des von der Kommission vorgesehenen Zugangsregimes, das nach der Beurteilung durch die Kommission ausreichte, um die durch den Zusammenschluss hervorgerufenen wettbewerblichen Bedenken vollständig zu kompensieren. Das genügt - anders als das Bundeskartellamt sowie die Beigeladenen zu 2 und 3 meinen - für den erforderlichen Zusammenhang des Marktverhaltens mit den Verpflichtungszusagen und ist nach der im vorliegenden Eilverfahren maßgeblichen Beurteilung des Senats geeignet, zugunsten der Betroffenen Vertrauensschutz zu begründen.

[50] (c) Auf die Frage, ob die Betroffene befugt war, vom Inhalt der Verpflichtungszusagen und der bereits auf Grundlage der "Upfront MBA MNVO Remedy" geschlossenen MBA-Vereinbarung zu Gunsten der Beigeladenen zu 2 abzuweichen, kommt es nach den vorstehenden Ausführungen (oben Rn. 31) nicht an. Die Betroffene konnte jedenfalls darauf vertrauen, dass die Klauseln von der Kommission und den nationalen Wettbewerbsbehörden aus wettbewerbsrechtlichen Gründen nicht in Zweifel gezogen werden. Auch nachteilige wettbewerbliche Wirkungen der relevanten Klauseln können das berechtigte Vertrauen der Betroffenen in den Bestand der konsensual entwickelten Verpflichtungszusagen nicht schmälern (oben Rn. 36). Das gilt selbst dann, wenn die Kommission die negativen Auswirkungen dieser Beschränkung für die mit der MNO-Remedy verfolgten Zwecke unzutreffend bewertet hätte und die relevanten Klauseln - wie das Bundeskartellamt sowie die Beigeladenen zu 2 und 3 geltend machen - die praktische Wirksamkeit der MNO-Remedy beeinträchtigen sollten. Etwaige Fehleinschätzungen bei der Ausgestaltung der Verpflichtungszusagen sind - sofern rechtlich zulässig - im Verfahren nach der Fusionskontrollverordnung zu heilen (oben Rn. 36). Es kommt daher auch nicht darauf an, dass die Kommission in nachfolgenden, ebenfalls Mobilfunkmärkte betreffenden Fusionskontrollverfahren ein Wholesale-Verbot nicht zum Gegenstand der jeweiligen Freigabeentscheidungen gemacht hat.

[51] III. Die Beschwerdeentscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Da in der Sache keine weiteren Feststellungen zu erwarten sind und sie zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat selbst entscheiden

(§ 80 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1, § 76 Abs. 2 GWB). Die Kostenentscheidung beruht auf § 71 GWB.

Kirchhoff Roloff Tolkmitt

Holzinger Kochendörfer

Verlagsadresse

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Aachener Straße 222

50931 Köln

Postanschrift

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Postfach 27 01 25

50508 Köln

Kontakt

T (0221) 400 88-99

F (0221) 400 88-77

info@rws-verlag.de

© 2024 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG

Erweiterte Suche

Seminare

Rubriken

Veranstaltungsarten

Zeitraum

Bücher

Rechtsgebiete

Reihen



Zeitschriften

Aktuell