Beweislastumkehr gemäß § 476 BGB bei Karosseriebeschädigungen

20.09.2005

Bundesgerichtshof

Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des

Bundesgerichts-hofs hatte über die Frage zu entscheiden, ob die

Beweislastumkehr gemäß § 476 BGB auch bei Karosseriebeschädigungen eines

verkauften Kraftfahrzeugs eingreift.

Die Beklagte betreibt einen Neu- und Gebrauchtwagenhandel sowie eine

Werkstatt mit Lackiererei. Im Oktober 2003 kaufte der Kläger als Verbraucher

von ihr einen Vorführwagen mit einer Laufleistung von 13.435 Kilometern zum

Preis von 11.500 €. Das Fahrzeug wurde ihm am selben Tag gegen Zahlung des

Kaufpreises überge-ben. Hierbei unterzeichneten der Kläger und ein

Mitarbeiter der Beklagten ein formu-larmäßiges Übergabeprotokoll, in dem der

Fahrzeugzustand durch Ankreuzen be-stimmter Klassifizierungen festgehalten

wurde. Unter anderem für die Karosserie ist dort die Klassifizierung 1 –

„Einwandfreier Zustand, nur geringe Gebrauchsspuren und Verschleiß,

regelmäßig gewartet, voll funktionstüchtig“ – angekreuzt. Nach dem

Formulartext ist das Übergabeprotokoll „Grundlage für die einjährige

Sachmängel-haftung des Verkäufers gegenüber dem Käufer“. Vier Wochen nach

dem Kauf mo-nierte der Kläger unter anderem eine leichte Verformung des

Kotflügels und des Stoßfängers vorn rechts und verlangte deren Beseitigung.

Die Beklagte lehnte dies mit der Begründung ab, die Beschädigung sei bei der

Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger noch nicht vorhanden gewesen. Daraufhin

erklärte der Kläger den Rück-tritt vom Kaufvertrag. Seine auf Rückabwicklung

des Kaufvertrages gerichtete Klage hatte in erster und zweiter Instanz

Erfolg.

In der Revisionsinstanz stritten die Parteien in erster Linie darüber, ob

dem Kläger für die als Sachmangel gerügte Karosseriebeschädigung die

Beweislastumkehr des § 476 BGB zugute kommt. Nach dieser Vorschrift wird bei

einem Verbrauchsgüter-kauf – dem Verkauf einer beweglichen Sache durch einen

Unternehmer an einen Verbraucher – regelmäßig vermutet, dass ein Sachmangel,

der sich innerhalb von sechs Monaten seit der Übergabe an den Käufer zeigt,

schon bei der Übergabe vor-handen war. Das gilt allerdings dann nicht, wenn

diese Vermutung mit der Art der Sache oder des Mangels unvereinbar ist.

Nach einer im Schrifttum verbreiteten Auffassung soll die Vermutung des §

476 BGB bei einer äußeren Beschädigung der Kaufsache wie etwa einem

Unfallschaden eines Kraftfahrzeugs nicht eingreifen, weil es sich dabei um

einen Mangel handele, der typischerweise jederzeit eintreten könne und daher

keinen hinreichend wahrscheinli-chen Rückschluss auf sein Vorliegen bereits

zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs zulasse. Dieser Auffassung ist der

Bundesgerichtshof ebenso wie das Berufungsge-richt nicht gefolgt.

Die Vermutung soll schon nach dem Gesetzeswortlaut im Regelfall zugunsten

des Käufers eingreifen und nur ausnahmsweise wegen der Art der Sache oder

des Man-gels ausgeschlossen sein. Mit diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis wäre

es nicht zu vereinbaren, die Vermutung immer schon dann scheitern zu lassen,

wenn es um einen Mangel geht, der jederzeit auftreten kann, und es

demzufolge an einer hinrei-chenden Wahrscheinlichkeit dafür fehlt, dass er

bereits bei Gefahrübergang vorhan-den war. Die Vermutungsregelung liefe

daher regelmäßig gerade in den Fällen leer, in denen der

Entstehungszeitpunkt des Mangels nicht zuverlässig festgestellt werden kann.

Durch eine derartige Einengung der Beweislastumkehr würde der mit der

Regelung intendierte Verbraucherschutz weitgehend ausgehöhlt.

Die Vermutung ist jedoch dann mit der Art des Mangels unvereinbar, wenn es

sich – anders als in dem hier entschiedenen Fall – um äußerliche

Beschädigungen der Kaufsache handelt, die auch dem fachlich nicht versierten

Käufer auffallen müssen. Denn in einem solchen Fall ist zu erwarten, dass

der Käufer den Mangel bei der Ü-bergabe beanstandet. Hat er die Sache ohne

Beanstandung entgegengenommen, so spricht dies folglich gegen die Vermutung,

der Mangel sei schon bei Gefahrüber-gang vorhanden gewesen.

Obwohl der Bundesgerichtshof in diesem Punkt dem Berufungsgericht gefolgt

ist, hat er das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz

zurückverwie-sen, weil das Berufungsgericht sich nicht verfahrensfehlerfrei

mit dem Einwand der Beklagten auseinandergesetzt hat, die Beseitigung der

Karosserieverformung koste allenfalls 100 € und sei daher nur ein

unerheblicher Mangel, der den Kläger nach § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB nicht zum

Rücktritt berechtige.

Urteil vom 14. September 2005 – VIII ZR 363/04

 

LG Heilbronn – 5 O 95/04 ./. OLG Stuttgart – 19 U 130/04

 

Karlsruhe, den 14. September 2005

 

 

Bundesgerichtshof

 

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