BFH: Kein Verstoß gegen die Rechtsschutzgarantie durch vorläufige Steuerfestsetzungen hinsichtlich verfassungsrechtlich ungeklärter Rechtsfragen und Teileinspruchsentscheidungen

01.12.2010

Nr. 105 vom 1. Dezember 2010

Urteil vom 30. September 2010 III R 39/08

Hängt die Höhe der festzusetzenden Steuer von der Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit höherrangigem Recht ab und ist diese Rechtsfrage Gegenstand eines Verfahrens bei dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) oder einem obersten Bundesgericht, wird nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 30. September 2010 III R 39/08 der Rechtsschutz des Steuerpflichtigen ausreichend dadurch gewahrt, dass die Steuer insoweit vorläufig festgesetzt wird. Der Rechtsschutz des Steuerpflichtigen wird nach diesem Urteil des BFH auch nicht dadurch in verfassungswidriger Weise eingeschränkt, dass die Finanzbehörde auf einen Einspruch des Steuerpflichtigen gegen die Steuerfestsetzung vorab über entscheidungsreife Teile seines Einspruchs entscheidet.

Wird eine Steuer hinsichtlich eines solchen Musterverfahrens nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) vorläufig festgesetzt, kann der Steuerpflichtige Einspruch und ggf. Klage erheben, wenn er besondere Gründe substantiiert geltend macht. In einem solchen Verfahren kann der Steuerpflichtige auch jederzeit vorläufigen Rechtsschutz beantragen und bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 361 AO bzw. des § 69 der Finanzgerichtsordnung erhalten.

Ein Vorläufigkeitsvermerk, der auf § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO und auf die Besteuerungsgrundlage hinweist, hinsichtlich derer die Steuer vorläufig festgesetzt wird, ist inhaltlich nach Grund und Umfang hinreichend bestimmt und damit wirksam. Insbesondere ist es nicht erforderlich, die betragsmäßige Auswirkung der vorläufigen Festsetzung anzugeben und die anhängigen Musterverfahren nach Gericht und Aktenzeichen zu bezeichnen.

Auch die im Streitfall erlassene sog. Teileinspruchsentscheidung hält der BFH für rechtmäßig. Durch das Jahressteuergesetz 2007, das nach Ansicht des BFH verfassungsmäßig zustande gekommen ist, wurde § 367 Abs. 2a AO eingefügt, der die Finanzbehörde berechtigt, bei Sachdienlichkeit vorab über Teile des Einspruchs zu entscheiden. Anders als der Kläger sieht der BFH eine Teileinspruchsentscheidung auch dann als sachdienlich an, wenn sie nicht allein auf schnelleren Rechtsschutz im Interesse des Steuerpflichtigen gerichtet ist, sondern dem Interesse der Finanzverwaltung an einer zeitnahen Entscheidung über den entscheidungsreifen Teil eines Einspruchs dient, der ersichtlich nur zu dem Zweck eingelegt wird, die Steuerfestsetzung nicht bestandskräftig werden zu lassen. Der in Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes garantierte Rechtsschutz gebietet es nicht, Einspruchsverfahren möglichst lange offen zu halten, damit der Steuerpflichtige an künftigen Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu derzeit nicht streitigen Rechtsfragen teilhaben kann.

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