BGH: Berücksichtigung des Wegfalls des Eigenbedarfsgrundes nach einer auf Eigenbedarf gestützten Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses
Bundesgerichtshof
Der u. a. für das Wohnraummietrecht zuständige VIII. Zivilsenat des
Bundesge-richtshofes hatte die Frage zu entscheiden, ob und unter welchen
Voraussetzungen ein Vermieter, der ein Wohnraummietverhältnis wegen
Eigenbedarfs (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB) gekündigt hat, verpflichtet ist, einen
nachträglichen Wegfall des Eigenbe-darfsgrundes zu berücksichtigen und den
Mieter hierüber zu unterrichten. Diese Fra-ge war bisher in Rechtsprechung
und Schrifttum umstritten.
Gegenstand des Rechtsstreits war die Schadensersatzklage einer Mieterin, die
von dem Beklagten eine Wohnung gemietet hatte. Im November 1999 kündigte der
Be-klagte das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Zur Begründung gab er an,
er benöti-ge die Wohnung für seine Schwiegermutter. Die Klägerin widersprach
der Kündi-gung. Im anschließenden Räumungsprozess wurde sie in zwei
Instanzen zur Räu-mung der Wohnung verurteilt. In seinem Urteil vom 5. April
2001 gewährte das Landgericht der Klägerin (damalige Beklagte) eine
Räumungsfrist bis zum 31. Juli 2001.
Am 25. Juni 2001 starb die Schwiegermutter des Beklagten. Ende September
2001 räumte die Klägerin die Wohnung. Nachdem sie einige Zeit später vom Tod
der Schwiegermutter des Beklagten Kenntnis erlangt hatte, verlangte sie von
ihm Ersatz ihrer Kosten für den Umzug und für die Anmietung von
Lagerflächen. Ihre Forderung begründete sie damit, der Beklagte sei
verpflichtet gewesen, sie über den Tod seiner Schwiegermutter und den
dadurch bedingten Wegfall des Eigenbedarfs vor ihrem Auszug zu informieren;
da er diese Pflicht verletzt habe, sei er ihr zum Schadenser-satz
verpflichtet.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat
das Landgericht das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und den Klageanspruch
dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt; zugleich hat es wegen der
grundsätzlichen Bedeutung der Sache die Revision zugelassen. Das Landgericht
hat seine Entschei-dung vor allem darauf gestützt, in Fällen der
vorliegenden Art sei der Vermieter auf Grund einer nachvertraglichen
Treuepflicht gehalten, den Mieter auf den nachträgli-chen Wegfall des
Eigenbedarfsgrundes hinzuweisen, um ihm einen Wohnungs-wechsel zu ersparen.
Diese Verpflichtung ende bei Gewährung einer gerichtlichen Räumungsfrist
erst mit dem Auszug des Mieters.
Auf die Revision des Beklagten hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil
auf-gehoben und das klageabweisende erstinstanzliche Urteil
wiederhergestellt. In An-knüpfung an sein Urteil vom 9. Juli 2003 (VIII ZR
311/02, NJW 2003, 2604) hat der VIII. Zivilsenat ausgesprochen, dass eine
zunächst wegen Eigenbedarfs wirksam erklärte Kündigung des Vermieters
infolge Rechtsmissbrauchs unwirksam wird, wenn der Eigenbedarf des
Vermieters vor Ablauf der Kündigungsfrist entfällt. Dabei hat der Senat
darauf abgestellt, dass eine wirksame Kündigung das Mietverhältnis zu diesem
Zeitpunkt beendet. Von da an erlangt die Verfügungsbefugnis des Ver-mieters,
in aller Regel des Eigentümers der Wohnung, wieder ihren vollen, von der
Verfassung in Art. 14 GG garantierten Umfang; der Mieter kann sich nach der
Been-digung des Mietverhältnisses nicht mehr auf den eigentumsgleichen Rang
seines auf dem Mietvertrag beruhenden Rechtes zum Besitz der Wohnung (vgl.
BVerfGE 89, 1) berufen. Eine nachvertragliche Treuepflicht als Grundlage für
eine Verpflichtung des Vermieters, den Mieter von dem Wegfall des
Eigenbedarfs zu unterrichten, um ihm einen Verbleib in der Wohnung zu
ermöglichen, besteht daher nicht. Dies ist auch von Verfassungs wegen nicht
geboten (vgl. BVerfG, NJW-RR 2003, 1164).
Schließlich hat der Bundesgerichtshof darauf hingewiesen, dass die
Berücksichti-gung eines erst nach dem Ende des Mietverhältnisses
eingetretenen Wegfalls des Eigenbedarfs zu einer ungerechtfertigten
Besserstellung des vertragsuntreuen ge-genüber dem vertragstreuen Mieter
führen würde. Der Mieter, der trotz wirksamer Kündigung die Wohnung
pflichtwidrig nicht zum Ablauf der Kündigungsfrist an den Vermieter
zurückgibt, würde nämlich aus einem Wegfall des Eigenbedarfs nach
Be-endigung des Mietverhältnisses ein Recht zur Fortsetzung des
Mietverhältnisses her-leiten können, was dem vertragstreuen Mieter, der die
Wohnung rechtzeitig geräumt hat, nicht möglich wäre.
Urteil vom 9. November 2005 VIII ZR 339/04
Amtsgericht Hamburg - Entscheidung vom 15. Juli 2004 - 40a C 610/03 -
Landgericht Hamburg - Entscheidung vom 2. Dezember 2004 - 334 S 50/04
Karlsruhe, den 9. November 2005
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