BGH: Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden kein „acting in concert“ nach dem WpÜG

19.09.2006

Bundesgerichtshof

Die Klägerin, die Beklagte und ihre beiden Streithelferinnen (drei sog.

Finanzinvestoren) sind Großaktionäre einer großen deutschen, dem

Mitbestimmungsgesetz unterliegenden Aktiengesellschaft; dabei halten die

Klägerin ca. 33% und die drei Finanzinvestoren je ca. 17% der

stimmberechtigten Aktien. Alle vier Großaktionäre hatten im Jahr 1993 einen

Vertrag geschlossen, in dem sie sich nicht nur gegenseitig Vorkaufsrechte

auf ihre jeweiligen Aktienpakete einräumten, sondern auch eine gemeinsame

Abstimmung bei den Aufsichtsratswahlen verabredeten. Im März 2003 hoben sie

dies Vereinbarung auf, verständigten sich aber alle gleichwohl wieder auf

die personelle Besetzung der Anteilseignerseite für die für Juni 2003

anstehenden Wahlen zum Aufsichtsrat; keine Übereinstimmung konnten sie

hinsichtlich der Person des Aufsichtsratsvorsitzenden herbeiführen.

Später einigte sich die Beklagte mit den beiden Streithelferinnen - ohne die

Klägerin einzubeziehen - auf die Wahl des bisherigen Vorstandsvorsitzenden

zum neuen Aufsichtsratsvorsitzenden. Am Vorabend der Hauptversammlung wurde

der Klägerin unterbreitet, dass man nur dann deren Vertrauensmann zum

stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden wählen werde, wenn im Gegenzug

die Klägerin sich dem Vorhaben, den Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden mit

dem bisherigen Vorstandsvorsitzenden zu besetzen, anschließen werde. In der

Hauptversammlung wurden sodann die Aufsichtsratsmitglieder abredegemäß

gewählt. Im Anschluss hieran wählte der neu gebildete Aufsichtsrat – unter

anderem mit den Stimmen der Klägerin – den bisherigen Vorstandsvorsitzenden

zum Aufsichtsratsvorsitzenden.

Die Klägerin meint, die Beklagte habe gemeinsam mit ihren beiden

Streithelferinnen die Kontrolle über die Aktiengesellschaft erlangt. Da dies

weder angezeigt wurde, noch ihr ein öffentliches Angebot unterbreitet wurde,

verlangt sie im Wege der Teilklage Zahlung von 200.000 € Zinsen gemäß § 38

WpÜG.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr

stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, in der zwischen der

Beklagten und ihren beiden Streithelferinnen verabredeten und später

durchgesetzten Wahl des neuen Aufsichtsratsvorsitzenden sei ein abgestimmtes

Verhalten im Sinne von § 30 Abs. 2 WpÜG zu sehen. Dieses „acting in concert“

führe dazu, dass sich die Beklagte die Stimmanteile der beiden

Streithelferinnen zurechnen lassen müsse. Da alle drei zusammen über

Stimmanteile in Höhe von ca. 51 % verfügten, habe die Beklagte hierdurch die

Kontrolle über die Zielgesellschaft erlangt, ohne den ihr hieraus

erwachsenen Pflichten nach § 35 WpÜG nachgekommen zu sein. Hiergegen richtet

sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten.

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute das Berufungsurteil

aufgehoben und die klageabweisende landgerichtliche Entscheidung

wiederhergestellt. Nach seiner Beurteilung beruht das Berufungsurteil in

mehrfacher Hinsicht auf Rechtsirrtum: die Klägerin als Beteiligte an der

Absprache kann Rechte wegen Nichtunterbreitens eines Pflichtangebots nicht

geltend machen; das abgestimmte Verhalten ist nach dem Gesetz nur für

Abstimmungen in der Hauptversammlung verboten, und bei der Wahl des

Aufsichtsratsvorsitzenden hat es sich nur um einen „Einzelfall“ i.S.v. § 30

Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz WpÜG gehandelt, der von den Verpflichtungen nach

dem WpÜG ausgenommen ist.

Urteil vom 18. September 2006 - II ZR 137/05

LG München – Entscheidung vom 11.3.2004 - I – 5HK O 16972/03 (abgedruckt in

ZIP 2004, 1101) ./. Oberlandesgericht München – Entscheidung vom 27.4.2005 -

7 U 2793/04 (abgedruckt in ZIP 2005, 856)

Karlsruhe, den 18. September 2006

Bundesgerichtshof

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