BMJ: Bundestag berät über Reform der Prozesskostenhilfe

01.02.2013

Zur ersten Lesung des Gesetzesentwurfs zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts erklärt Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger:

Die Zahlung von Prozesskostenhilfe an die wirklich Bedürftigen ist eine unverzichtbare Voraussetzung für einen Rechtsstaat, der seinen Namen auch verdient. Der Regierungsentwurf berücksichtigt die berechtigten Belange der Länder. Um eine gut funktionierende Justiz zu garantieren, müssen die erforderlichen finanziellen Mittel vorhanden sein. Zugleich gewährleisten die Neuregelungen, dass Rechtsschutz für die Bürgerinnen und Bürger auch künftig bezahlbar bleibt. Sozial Schwache brauchen unsere Unterstützung und behalten ihren Anspruch ohne Abstriche. Sie erhalten auch künftig im vollen Umfang finanzielle Hilfe für die gerichtliche Verfolgung und Verteidigung ihrer Rechte.

Missbrauchsfällen soll künftig besser vorgebeugt werden, indem die Gerichte effizientere Möglichkeiten zur Aufklärung der tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse an die Hand bekommen. Prozesskostenhilfe wird auf diejenigen konzentriert, die tatsächlich wirtschaftlich darauf angewiesen sind. Mit diesen Änderungen kann das bewährte Instrument der Prozesskostenhilfe auch weiterhin seinen legitimen Platz in unserem Gerichtswesen einnehmen.

Den teilweise erhobenen Forderungen nach massiver Einschränkung der Zahlung von Prozesskostenhilfe und einer Ausweitung der bereits uferlosen Kontenabfrage über Vermögensverhältnisse auf Antragsteller von Prozesskostenhilfe ist das Bundesjustizministerium nicht gefolgt. Auch die Beratungshilfe für sozial Schwache bleibt im Wesentlichen von den Regelungen unberührt. Indem die Prozesskostenhilfe auf die wirklich Bedürftigen konzentriert wird, bleibt der Zugang aller Bürgerinnen und Bürger zum Rechtsschutz gewahrt.

Hintergrund:

Der Regierungsentwurf des Gesetzes zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts (BT-Drs. 17/11472) schränkt die finanzielle Hilfe für die gerichtliche Verfolgung und Verteidigung von Rechten nicht ein. Durch die Absenkung der Freibeträge, insbesondere für Erwerbstätige, wird es allerdings ab einem gewissen Einkommensniveau häufiger dazu kommen, dass die gewährte Prozesskostenhilfe in Raten ganz oder teilweise zurückgezahlt werden muss. Weitergehende Forderungen der Länder nach stärkerer Eigenbeteiligung der Hilfeempfänger (Bundesratsinitiativen aus der 17. LP, Drs. 17/1216 und 17/2164) wurden im Regierungsentwurf nicht aufgegriffen.

Im Einzelnen:

• Keine Nachteile für sozial Schwächere: Menschen, die ausschließlich Leistungen nach dem SGB II („Hartz IV“) oder SGB XII („Sozialhilfe“) erhalten, brauchen keine Nachteile zu befürchten. Wenn sie bisher ratenfreie Prozesskostenhilfe erhalten haben, werden sie auch künftig keine Raten zahlen müssen. Der Entwurf lässt den Freibetrag für den Antragsteller unangetastet. Der Freibetrag liegt mit derzeit 442 Euro um 10 Prozent über dem höchsten in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Regelsatz des SGB XII und steigt jährlich weiter an.

• Absenkung des zusätzlichen Freibetrages für Erwerbstätige: Der zusätzliche Freibetrag für Erwerbstätige soll von 50% auf 25% des höchsten Regelsatzes nach SGB XII gesenkt werden. Dies bedeutet eine Reduzierung von rund 100 € monatlich. Der Regierungsentwurf passt die Höhe des Erwerbstätigenfreibetrags an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Steuerfreiheit des Existenzminimums an.

Damit wird auch die Situation des „Durchschnittsverdieners“, der die Prozesskosten als Selbstzahler komplett tragen muss, besser berücksichtigt. Die Absenkung des Freibetrags führt dazu, dass es ab einem gewissen Einkommensniveau häufiger dazu kommt, dass die gewährte Prozesskostenhilfe in Raten ganz oder teilweise zurückgezahlt werden muss.

• Neue Methode zur Berechnung der Ratenhöhe: Wenn nach Abzug von Freibeträgen für den Antragsteller selbst, für den Ehe- oder den Lebenspartner sowie für Kinder, und nach Abzug der Warmmiete und Schulden noch frei verfügbares Einkommen bleibt, soll dafür künftig die Hälfte zur Rückzahlung gewährter Prozesskostenhilfe aufgewendet werden. Die Neuberechnung der Raten führt dazu, dass künftig sogar geringere Raten als heute zu zahlen sind, wenn das Einkommen im untersten Bereich liegt. Ab einem einzusetzenden Einkommen von 30 Euro steigen die Raten moderat an. Durch die neue Berechnungsmethode werden ungerechte Sprünge bei der Ratenhöhe, die bisher bei knapper Überschreitung von Schwellenwerten auftreten, vermieden.

• Erhöhung der maximalen Ratenzahlungsdauer von 48 auf 72 Monate: Nach wie vor sind Raten nur bis zur Höhe der Prozesskosten zu zahlen. Die längere Rückzahlungspflicht entspricht einem Gebot der Gleichbehandlung gegenüber dem Selbstzahler, der die Prozesskosten alleine aufbringen muss.

• Keine mutwillige Rechtsverfolgung: Bereits nach der bisherigen Rechtslage darf Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Verteidigung mutwillig erscheint. Mutwilligkeit liegt nach gefestigter Rechtsprechung immer dann vor, wenn eine verständige, selbstzahlende Partei von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung auch bei Erfolgsaussichten absehen würde. Das ist etwa dann der Fall, wenn es einfachere Wege gibt, sein Recht durchzusetzen, z.B. durch Inanspruchnahme nicht obligatorischer Schiedsstellen.

• Beiordnung bleibt im Wesentlichen unverändert: Die Einschränkung bei der Beiordnung von Rechtsanwälten betreffen ausschließlich einvernehmliche Ehescheidungen und arbeitsgerichtliche Verfahren, im Übrigen bleibt das bisherige Recht unverändert: o In einvernehmlichen Scheidungsverfahren, in denen der Antragsgegner lediglich eine Zustimmungserklärung abgibt, soll die bisher gesetzlich vorgesehene automatische Beiordnung auf Seiten des Antragsgegners durch eine Einzelfallprüfung des Gerichts ersetzt werden. Sofern die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erfordert, wird dem Antragsgegner weiterhin ein Rechtsanwalt beigeordnet. In allen anderen (streitigen) Ehesachen und Folgesachen, für die Anwaltszwang besteht, wird weiterhin automatisch ohne Einzelfallprüfung ein Anwalt beigeordnet. Die Waffengleichheit wird damit im familienrechtlichen Verfahren nicht eingeschränkt.

o Im arbeitsgerichtlichen Verfahren ist der Partei auf ihren Antrag unverändert ein Anwalt beizuordnen, wenn die Vertretung erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten wird, was sich nach dem Entwurf lediglich aus anderen Vorschriften ergeben soll. Im Hinblick auf das Erfordernis bestehender Erfolgsaussichten erfolgt eine Anpassung an das allgemeine Zivilprozessrecht.

Auch hier gibt es also keine Einschränkung der Waffengleichheit.

• Bewilligung der Beratungshilfe wie bisher: die Beratungshilfe wird wie bisher unter der Voraussetzung bewilligt, dass dem Rechtsuchenden Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsverpflichtung zu gewähren wäre. Änderungen des Gesetzes sind in erster Linie dahingehend vorgesehen, dass einige Bewilligungsvoraussetzungen konkretisiert werden. Dies dient im Interesse aller Beteiligten der Rechtssicherheit. Darüber hinaus soll der Verfahrensablauf besser strukturiert werden. Insbesondere ist vorgesehen, dass der Antrag auf Beratungshilfe bei Gericht grundsätzlich vor der Beratung zu stellen ist. Für eilige Angelegenheiten bleibt die Möglichkeit gewahrt, sich zunächst anwaltlich beraten zu lassen und den Antrag nachträglich zu stellen.

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