Bundesgerichtshof entscheidet zu kreditfinanzierten sogenannten „Schrottimmobilien“

17.05.2006

Bundesgerichtshof

Der u. a. für das Bankrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs

hatte darüber zu entscheiden, welche Rechte Verbrauchern zustehen, die ihren

zur Finan-zierung einer Eigentumswohnung geschlossenen Realkreditvertrag

nach den Vor-schriften des Haustürwiderrufsgesetzes widerrufen haben.

Die Kläger waren 1995 von einem Vermittler in ihrer Privatwohnung geworben

wor-den, zum Zwecke der Steuerersparnis ohne nennenswertes Eigenkapital eine

Eigen-tumswohnung zu kaufen. Sie schlossen deshalb zunächst einen

entsprechenden notariellen Kaufvertrag ab und traten einer

Mieteinnahmegesellschaft bei. Zur Finan-zierung des Kaufpreises schloss

sodann die beklagte Bausparkasse als Vertreterin einer Bank mit den Käufern

einen Darlehensvertrag, wobei das den Käufern gewähr-te Vorausdarlehen mit

Hilfe von zwei bei der Beklagten abgeschlossenen anzuspa-renden

Bausparverträgen getilgt werden sollte. Eine Belehrung der Käufer und

Dar-lehensnehmer nach dem Haustürwiderrufsgesetz erfolgte nicht. Die Käufer

bestellten für die Bausparkasse eine Grundschuld an der gekauften

Eigentumswohnung über die Darlehenssumme, übernahmen dafür die persönliche

Haftung und unterwarfen sich der Zwangsvollstreckung in ihr gesamtes

Vermögen. Nachdem die Kläger das aufgenommene Vorausdarlehen einige Jahre

bedient hatten, widerriefen sie ihre Darlehensvertragserklärungen, da sie

über ihr Widerrufsrecht nach dem Haustürwi-derrufsgesetz nicht belehrt

worden seien. Mit ihrer Klage wenden sie sich gegen die Zwangsvollstreckung

der beklagten Bausparkasse, an die die darlehensgebende Bank ihre Ansprüche

abgetreten hat. Sie machen insbesondere geltend, mit Rück-sicht auf die

unterbliebene Widerrufsbelehrung nach dem Haustürwiderrufsgesetz könnten sie

die Rückzahlung des Darlehens verweigern und die Bausparkasse auf die

gekaufte Eigentumswohnung verweisen. Außerdem behaupten sie, über die mit

der Eigentumswohnung verbundenen Risiken, insbesondere die tatsächlich zu

erzie-lende Miete und den Wert der Wohnung getäuscht bzw. nicht hinreichend

aufgeklärt worden zu sein. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Das

Berufungsge-richt hat aber die Revision zugelassen.

Der XI. Zivilsenat hatte die Verhandlung zunächst zurückgestellt, um die

Entschei-dung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) auf

die Vorlage des Landgerichts Bochum (WM 2003, 1609) in einer Sache

abzuwarten, an der die beklagte Bausparkasse beteiligt ist. Nachdem die

Entscheidung des EuGH am 25. Oktober 2005 (WM 2005, 2079) ergangen ist,

hatte der XI. Zivilsenat nun unter an-derem zu entscheiden, welche

Konsequenzen aus dem Urteil des EuGH zu ziehen sind. Er ist hierbei zu

folgendem Ergebnis gelangt:

Es besteht auch im Hinblick auf die Europäische Haustürgeschäfterichtlinie

kein An-lass, die ständige Rechtsprechung des Senats zu ändern, nach welcher

der Verbraucher nach dem Widerruf des Darlehensvertrages gemäß § 3

Haustürwider-rufsgesetz (HWiG) zur sofortigen Rückzahlung der

Darlehensvaluta zuzüglich markt-üblicher Zinsen verpflichtet ist. Der EuGH

hat ausdrücklich betont, dass dies auch in Fällen, in denen die

Darlehensvaluta nach dem für die Kapitalanlage entwickelten Konzept

unmittelbar an den Verkäufer zum Erwerb der Immobilie ausgezahlt wird, der

Haustürgeschäfterichtlinie entspricht. Auch soweit der EuGH gemeint hat,

Art. 4 der Haustürgeschäfterichtlinie verpflichte die Mitgliedstaaten, dafür

zu sorgen, den Verbraucher vor den Risiken einer kreditfinanzierten

Kapitalanlage zu schützen, die er im Falle einer Widerrufsbelehrung der

kreditgebenden Bank hätte vermeiden kön-nen, bestehen weder Grund noch

Möglichkeit zu einer anderslautenden richtlinien-konformen Auslegung des § 3

HWiG.

Die Frage, ob im Hinblick auf die genannte Vorgabe des EuGH aus der

unterbliebe-nen Widerrufsbelehrung – wie in Literatur und Rechtsprechung zum

Teil vertreten - ein Schadensersatzanspruch der Kläger folgen könnte, hat

der Senat offen gelas-sen. Ein derartiger Schadensersatzanspruch wegen

unterbliebener Widerrufsbeleh-rung scheidet hier nämlich schon wegen Fehlens

der erforderlichen Kausalität aus, weil die Kläger den Kaufvertrag bereits

geschlossen hatten, bevor es zum Abschluss des Darlehensvertrages kam. Die

Erteilung einer Widerrufsbelehrung konnte sie da-her vor den Risiken ihres

Immobilienkaufs nicht mehr schützen.

Der XI. Zivilsenat hat aber im Interesse der Effektivierung des

Verbraucherschutzes bei realkreditfinanzierten Wohnungskäufen und

Immobilienfondsbeteiligungen, die nicht als verbundene Geschäfte behandelt

werden können, und um dem in den Ent-scheidungen des Gerichtshofs der

Europäischen Gemeinschaften vom 25. Oktober 2005 zum Ausdruck kommenden

Gedanken des Verbraucherschutzes vor Risiken von Kapitalanlagemodellen im

nationalen Recht Rechnung zu tragen, seine Recht-sprechung zum Bestehen von

eigenen Aufklärungspflichten der kreditgebenden Bank in diesen Fällen

ergänzt. Danach können sich die Anleger in Fällen eines

insti-tutionalisierten Zusammenwirkens der kreditgebenden Bank mit dem

Verkäufer oder Vertreiber des finanzierten Objekts unter erleichterten

Voraussetzungen mit Erfolg auf einen die Aufklärungspflicht auslösenden

konkreten Wissensvorsprung der fi-nanzierenden Bank im Zusammenhang mit

einer arglistigen Täuschung des Anle-gers durch unrichtige Angaben der

Vermittler, Verkäufer oder Fondsinitiatoren bzw. des Fondsprospekts über das

Anlageobjekt berufen. Die eine eigene Aufklärungs-pflicht auslösende

Kenntnis der Bank von einer solchen arglistigen Täuschung wird widerleglich

vermutet, wenn Verkäufer oder Fondsinitiatoren, die von ihnen beauf-tragten

Vermittler und die finanzierende Bank in institutionalisierter Art und Weise

zusammenwirken, auch die Finanzierung der Kapitalanlage vom Verkäufer oder

Vermittler angeboten wurde und die Unrichtigkeit der Angaben des Verkäufers,

Fondsinitiators oder der für sie tätigen Vermittler bzw. des Verkaufs- oder

Fonds-prospekts nach den Umständen des Falles evident ist, so dass sich

aufdrängt, die Bank habe sich der Kenntnis der arglistigen Täuschung

geradezu verschlossen.

Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an

das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit dieses Feststellungen zu der von

den Klä-gern behaupteten arglistigen Täuschung und der Frage eines

institutionalisierten Zu-sammenwirkens der beklagten Bausparkasse mit den

Vermittlern treffen kann.

Urteil vom 16. Mai 2006 – XI ZR 6/04

 

OLG Hamm, Urteil vom 1. Dezember 2003 – 5 U 125/03

 

LG Dortmund, Urteil vom 4. April 2003 – 6 O 504/02

 

Karlsruhe, den 16. Mai 2006

Bundesgerichtshof

 

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