Bundesgerichtshof lässt Revision betreffend die Lieferung von Corona-Schutzmasken zu
Nr. 183/2025 vom 07.10.2025
VIII ZR 131/24 und VIII ZR 152/24 - Beschlüsse vom 7. Oktober 2025
Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute in zwei ausgewählten, die Lieferung von Schutzmasken zu Beginn der Corona-Pandemie betreffenden Verfahren (VIII ZR 131/24 und VIII ZR 152/24) auf Nichtzulassungsbeschwerden der Bundesrepublik Deutschland hin die Revision zugelassen.
Sachverhalt:
Die Bundesrepublik Deutschland (Klägerin im Verfahren VIII ZR 131/24; Beklagte im Verfahren VIII ZR 152/24) führte im März/April 2020 zur kurzfristigen Beschaffung unter anderem von FFP2- und OP-Masken ein sogenanntes Open-House-Verfahren durch. Bei einem solchen - nicht den vergaberechtlichen Vorschriften unterliegenden - Verfahren veröffentlicht ein öffentlicher Auftraggeber zum Zwecke der Güterbeschaffung Rahmenvertragsvereinbarungen, zu deren Bedingungen jeder interessierte Lieferant ein vom Auftraggeber vorformuliertes Angebot abgeben kann. Dieses wird dann per "Zuschlag" angenommen.
Die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium für Gesundheit (im Folgenden auch: Auftraggeberin), veröffentlichte Ende März 2020 eine entsprechende Auftragsbekanntmachung über die Lieferung von FFP2- und OP-Masken sowie Schutzkitteln. In der Auftragsbekanntmachung ist unter anderem ausgeführt, das - den Abschluss von Lieferverträgen über Schutzausrüstung betreffende - Vertragssystem beginne ab sofort zu laufen und ende mit Ablauf des 30. April 2020. Als spätester Liefertermin wurde der 30. April 2020 innerhalb der üblichen Geschäftszeiten eines Logistikunternehmens, dessen sich die Auftraggeberin zur Durchführung bediente und an das die Lieferung zu erfolgen hatte, angegeben. Den Beitritt zum Vertragssystem sollten alle Lieferanten jederzeit während dessen gesamter Laufzeit beantragen können, indem sie ein Angebot einreichten, das mindestens eine der genannten Produktgruppen - zu der jeweils mindestens 250.000 Stück angeboten werden mussten - zu umfassen hatte.
Über einen Internetlink in der Auftragsbekanntmachung waren unter anderem das Angebotsformular, die Teilnahmebedingungen, das Vertragsformular über die Lieferung von Schutzausrüstung und die Leistungsbeschreibung abrufbar. Letztere sah - als Bestandteil des Liefervertrags - einen Preis von 4,50 € netto je FFP2-Maske und von 0,60 € netto je OP-Maske vor. Ferner ist in dem Vertragsformular unter anderem folgendes bestimmt:
"3.2 Die Lieferung der Produkte hat an (…) [das Logistikunternehmen] zu erfolgen (…); die üblichen Geschäftszeiten sind von dem AN [Auftragnehmer] bei (…) [dem Logistikunternehmen] zu erfragen. Die Lieferung ist (…) [dem Logistikunternehmen] in Textform mit einer Frist von mindestens drei Kalendertagen vor dem Liefertermin anzukündigen. Spätester Liefertermin ist der 30.04.2020 innerhalb der Geschäftszeiten gemäß S. 1. Bei Nichteinhaltung des spätesten Liefertermins entfallen die gegenseitigen Pflichten der Vertragspartner; eine verspätete Lieferung stellt keine Erfüllung des Vertrags durch den AN dar (absolutes Fixgeschäft)."
Die an den Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren beteiligten Unternehmen gaben jeweils fristgerecht Angebote über die Lieferung von FFP2- beziehungsweise OP-Masken ab und erhielten jeweils den "Zuschlag".
Ende April 2020 stellte die Auftraggeberin fest, dass ihr aufgrund der Vielzahl von Teilnehmern am Open-House-Verfahren die Annahme sämtlicher Lieferungen zum 30. April 2020 nicht möglich war. Sofern Lieferungen für den 30. April 2020 angekündigt und möglich waren, erhielten die Auftragnehmer - so auch die an den Beschwerdeverfahren beteiligten Unternehmen - spätere sogenannte Lieferslots.
An den jeweils mitgeteilten Terminen lieferten die Auftragnehmerin im Verfahren VIII ZR 131/24 die vereinbarte Menge von 1,8 Mio. FFP2-Masken und die Auftragnehmerin im Verfahren VIII ZR 152/24 statt der vereinbarten Menge von 15 Mio. FFP2-Masken und 10 Mio. OP-Masken lediglich 340.000 FFP2-Masken.
Im Verfahren VIII ZR 131/24 erklärte die Bundesrepublik Deutschland - ohne vorherige Fristsetzung - den teilweisen Rücktritt vom Vertrag, da die gelieferten Masken mangelhaft gewesen seien. Im Verfahren VIII ZR 152/24 erklärte die Bundesrepublik Deutschland - ebenfalls ohne vorherige Fristsetzung - den Rücktritt vom Vertrag hinsichtlich des noch ausstehenden Teils der Lieferung. Sie verwies auf den nicht vertragsgemäßen Umfang der erfolgten Lieferung und auf den Fixcharakter des Vertrags.
Bisheriger Prozessverlauf:
Im Verfahren VIII ZR 131/24 macht die Bundesrepublik Deutschland unter anderem die (teilweise) Rückzahlung des an die Auftragnehmerin gezahlten Kaufpreises geltend. Die Klage ist in den Vorinstanzen überwiegend ohne Erfolg geblieben.
Im Verfahren VIII ZR 152/24 begehrt die Auftragnehmerin unter anderem die Zahlung des restlichen Kaufpreises. Die Klage hat in den Vorinstanzen im Wesentlichen Erfolg gehabt.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts sei die Bundesrepublik Deutschland in beiden Verfahren nicht nach § 323 Abs. 1 BGB wirksam von den jeweiligen Kaufverträgen zurückgetreten, weil es an einer vorherigen Fristsetzung zur Nacherfüllung fehle. Sie habe daher keinen Anspruch auf die teilweise Rückgewähr des bezahlten Kaufpreises (VIII ZR 131/24) beziehungsweise sei zur Zahlung des (restlichen) Kaufpreises verpflichtet (VIII ZR 152/24).
Zwar wäre eine solche Fristsetzung nach der jeweils in dem von der Bundesrepublik Deutschland vorgegebenen Liefervertrag enthaltenen Regelung zum Vorliegen eines absoluten beziehungsweise eines relativen Fixgeschäfts entbehrlich gewesen. Die entsprechende Vertragsklausel stelle aber eine Allgemeine Geschäftsbedingung dar und sei vorliegend unwirksam. Die völlige Freistellung eines Klauselverwenders - hier der Bundesrepublik Deutschland - von dem Erfordernis einer Fristsetzung stelle eine unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers (§ 307 Abs. 1, 2 Nr. 1 BGB) dar und sei daher auch im kaufmännischen Verkehr - jedenfalls in der vorliegend in Rede stehenden Sachverhaltsgestaltung - nicht wirksam.
Auch außerhalb der Vertragsklauseln hätten die Parteien ein relatives Fixgeschäft - bei welchem die Fristsetzung entbehrlich (§ 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB) und damit (bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen) ein sofortiger Rücktritt vom Kaufvertrag möglich gewesen wäre - nicht vereinbart. Insbesondere könne sich die Bundesrepublik Deutschland insoweit nicht mit Erfolg auf die Gesamtumstände - vor allem auf die Notwendigkeit einer zügigen Beschaffung der Masken unter den Bedingungen einer sich entwickelnden Pandemielage - berufen. Zwar habe für sie ein erkennbares Interesse an einer raschen Vertragsabwicklung bestanden. Angesichts der für beide Seiten ebenfalls erkennbar noch fortdauernden und nicht kurzfristig zum Abschluss kommenden Pandemie sei jedoch nicht davon auszugehen gewesen, dass bei einer - unter Umständen auch nur geringfügigen - Teil-, Schlecht- oder Nichtlieferung von Schutzmasken das Interesse der Bundesrepublik Deutschland an einer Lieferung entfallen würde. Dies belege letztlich auch die auf deren Veranlassung hin erfolgte zeitliche Verschiebung von Anlieferungen über den 30. April 2020 hinaus.
Das Berufungsgericht hat die Revision - in beiden Fällen - nicht zugelassen. Hiergegen wenden sich die Bundesrepublik Deutschland und im Verfahren VIII ZR 131/24 auch eine Auftragnehmerin mit ihren Nichtzulassungsbeschwerden.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:
Auf die jeweilige Nichtzulassungsbeschwerde der Bundesrepublik Deutschland hat der Senat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Im Verfahren VIII ZR 131/24 erfolgte die Zulassung nur teilweise. Ausgenommen ist der vor dem Berufungsgericht erfolglos gebliebene Hilfsantrag der Bundesrepublik Deutschland, mit dem sie die Nachlieferung (mangelfreier) Schutzmasken begehrt hat. Die in diesem Verfahren erhobene Nichtzulassungsbeschwerde der Auftragnehmerin hat der Senat ebenfalls zurückgewiesen. Insoweit war jeweils kein Revisionszulassungsgrund gegeben.
Über die Revisionen wird der Senat nach Vorliegen der schriftlichen Revisionsbegründungen und -erwiderungen mündlich verhandeln.
Vorinstanzen:
VIII ZR 131/24
Landgericht Bonn - Urteil vom 12. Juli 2023 - 20 O 49/22
Oberlandesgericht Köln - Urteil vom 21. Juni 2024 - 6 U 112/23
und
VIII ZR 152/24
Landgericht Bonn - Urteil vom 28. Juni 2023 - 1 O 221/22
Oberlandesgericht Köln - Urteil vom 19. Juli 2024 - 6 U 101/23
Die maßgeblichen Vorschriften lauten:
§ 307 BGB Inhaltskontrolle
(1) 1Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. 2Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder
2. wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.
[…]
§ 323 BGB Rücktritt wegen nicht oder nicht vertragsgemäß erbrachter Leistung
(1) Erbringt bei einem gegenseitigen Vertrag der Schuldner eine fällige Leistung nicht oder nicht vertragsgemäß, so kann der Gläubiger, wenn er dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt hat, vom Vertrag zurücktreten.
(2) Die Fristsetzung ist entbehrlich, wenn
1. der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert,
2. der Schuldner die Leistung bis zu einem im Vertrag bestimmten Termin oder innerhalb einer im Vertrag bestimmten Frist nicht bewirkt, obwohl die termin- oder fristgerechte Leistung nach einer Mitteilung des Gläubigers an den Schuldner vor Vertragsschluss oder auf Grund anderer den Vertragsabschluss begleitenden Umstände für den Gläubiger wesentlich ist, oder
3. im Falle einer nicht vertragsgemäß erbrachten Leistung besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen.
[…]
Karlsruhe, den 7. Oktober 2025