Bundesgerichtshof zur Überprüfung von Preisen für die Durchleitung elektrischer Energie durch fremde Stromnetze

19.10.2005

Bundesgerichtshof

Ein Stromversorgungsunternehmen, das das Netz eines anderen zur Durchleitung

elektrischer Energie nutzt, kann eine zivilgerichtliche Überprüfung der Höhe

des ver-traglich vereinbarten Netznutzungsentgelts am Maßstab "guter

fachlicher Praxis" (§ 6 Abs. 1 EnWG) verlangen, wenn sich dieses Entgelt

nach der vertraglichen Vereinba-rung nach den jeweils aktuellen Preisen des

Netzbetreibers richten soll. Dies hat der Kartellsenat des

Bundesgerichtshofs heute entschieden.

In dem entschiedenen Fall hatte das klagende Stromversorgungsunternehmen,

das bundesweit Strom anbietet, aber über kein eigenes Netz verfügt, mit dem

Betreiber des Stromnetzes in der Stadt Mannheim einen Rahmenvertrag über die

Nutzung die-ses Stromnetzes geschlossen. Darin war vorgesehen, dass sich das

Durchleitungs-entgelt nach dem jeweils geltenden Preisblatt des

Netzbetreibers bestimmt. Das Stromversorgungsunternehmen hatte sich bei

Vertragsschluss vorbehalten, „die … in Rechnung gestellten Entgelte im

ganzen und in ihren einzelnen Bestandteilen ener-gie- und kartellrechtlich

überprüfen zu lassen“.

Das Landgericht Mannheim hat die mit dem Ziel einer solchen Überprüfung

erhobe-ne Klage abgewiesen. Die Berufung zum Oberlandesgericht Karlsruhe

hatte keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht hat angenommen, die

Voraussetzungen für eine Ü-berprüfung der Höhe der Netznutzungsentgelte am

Maßstab "billigen Ermessens" (§ 315 Abs. 3 BGB) oder auf der Grundlage der

einschlägigen energiewirtschafts- und kartellrechtlichen Normen (§ 6 Abs. 1

EnWG a.F.; § 19 Abs. 4, § 20 Abs. 1 GWB) lägen nicht vor.

Dem ist der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs nicht gefolgt. Er sieht in

der ver-traglich vorgesehenen dynamischen Verweisung auf die jeweils

geltenden Preisblät-ter des Netzbetreibers ein einseitiges

Preisbestimmungsrecht im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB. Seine Ausübung ist

gemäß § 315 Abs. 3 BGB daraufhin zu überprüfen, ob sie billigem Ermessen

entspricht. Der Anwendung des § 315 Abs. 1 BGB steht nicht entgegen, dass §

6 Abs. 1 EnWG (i.d.F. vom 26.8.1998 bzw. vom 20.5.2003) die Bedingungen der

Netzüberlassung gesetzlich festlegt. Durch den vom Energie-wirtschaftsgesetz

vorgesehenen Maßstab "guter fachlicher Praxis" wird der allgemei-ne Maßstab

des "billigen Ermessens" vielmehr konkretisiert. Eine gute fachliche Pra-xis

soll dabei auch der Gewährleistung wirksamen Wettbewerbs dienen (§ 6 Abs. 1

Satz 4 EnWG a.F.) und muss sich an diesem Ziel messen lassen.

Der Bundesgerichtshof weist darauf hin, dass dem Netzbetreiber die

Darlegungslast für die Billigkeit seiner Preisbestimmung obliegt. Daran

ändert auch der Umstand nichts, dass die Tarife des beklagten Netzbetreibers

von der für die Preisgenehmi-gung nach § 12 BTOElt zuständigen Behörde nicht

beanstandet worden sind. Die öffentlich-rechtliche Wirkung der Genehmigung

beschränkt sich auf das Verhältnis der Behörde zum Genehmigungsempfänger und

ist für die privatrechtliche Überprü-fung eines einseitig festgesetzten

Entgelts am Maßstab des § 315 Abs. 3 BGB nicht vorgreiflich.

Um dem beklagten Netzbetreiber Gelegenheit zu geben, zur Angemessenheit

seiner Tarife vorzutragen, hat der Bundesgerichtshof das angefochtene Urteil

aufgehoben und den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das

Berufungsgericht zurückverwie-sen. Der Bundesgerichtshof tritt dabei der

Auffassung entgegen, bei Beachtung der Preisfindungsprinzipien der Anlage 3

zur Verbändevereinbarung Strom II plus könne auch für die Zeit nach dem 31.

Dezember 2003 die Erfüllung der Bedingungen guter fachlicher Praxis vermutet

werden. Eine solche Vermutung sieht § 6 Abs. 1 Satz 5 EnWG a. F. nur für den

Zeitraum bis zum 31. Dezember 2003 vor. Die Erwägung, der Gesetzgeber habe

für eine Übergangszeit Rechtssicherheit schaffen wollen, ver-bietet es, die

Vermutungswirkung entgegen dem Wortlaut des Gesetzes über das Jahr 2003

hinaus auszudehnen.

Der Bundesgerichtshof bestätigt ferner seine Rechtsprechung, dass die

Vermutung der Einhaltung guter fachlicher Praxis auch für ihren zeitlichen

Geltungsbereich den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne

des § 19 Abs. 4 Nr. 1 GWB oder eine Diskriminierung gemäß § 20 Abs. 1 GWB

nicht ausschließt. Die kar-tellrechtliche Prüfung ist vielmehr von der

energiewirtschaftsrechtlichen grundsätzlich unabhängig.

Urteil vom 18. Oktober 2005 – KZR 36/04

 

LG Mannheim – Entscheidung vom 30.12.2003 – 22 O 64/02 (Kart) ./.

Oberlandes-gericht Karlsruhe – Entscheidung vom 27.10.2004 – 6 U 22/04

 

Karlsruhe, den 18. Oktober 2005

§ 315 BGB hat folgenden Inhalt:

Bestimmung der Leistung durch eine Partei

(1) Soll die Leistung durch einen der Vertragsschließenden bestimmt

werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem

Ermessen zu tref-fen ist.

(2) Die Bestimmung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil.

(3) Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die

getroffene Be-stimmung für den anderen Teil nur dann verbindlich, wenn sie

der Billigkeit ent-spricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die

Bestimmung durch Urteil ge-troffen; das Gleiche gilt, wenn die Bestimmung

verzögert wird.

§ 6 Abs. 1 EnWG a. F. hat folgenden Inhalt:

1Betreiber von Elektrizitätsversorgungsnetzen haben anderen Unternehmen das

Versorgungsnetz für Durchleitungen zu Bedingungen zur Verfügung zu stellen,

die guter fachlicher Praxis entsprechen und nicht ungünstiger sind, als sie

von ihnen in vergleichbaren Fällen für Leistungen innerhalb ihres

Unternehmens oder gegenüber verbundenen oder assoziierten Unternehmen

tatsächlich oder kalkulatorisch in Rechnung gestellt werden. 2Dies gilt

nicht, soweit der Betreiber nachweist, dass ihm die Durchleitung aus

betriebsbedingten oder sonstigen Gründen unter Berücksichti-gung der Ziele

des § 1 nicht möglich oder nicht zumutbar ist. 3Die Ablehnung ist

schriftlich zu begründen. 4Die Bedingungen guter fachlicher Praxis im Sinne

des Sat-zes 1 dienen der Erreichung der Ziele des § 1 und der Gewährleistung

wirksamen Wettbewerbs. 5Bei Einhaltung der Verbändevereinbarung über

Kriterien zur Bestim-mung von Netznutzungsentgelten für elektrische Energie

und über Prinzipien der Netznutzung vom 13. Dezember 2001 (BAnz. Nr. 85 b

vom 8. Mai 2002) wird bis zum 31. Dezember 2003 die Erfüllung der

Bedingungen guter fachlicher Praxis ver-mutet, es sei denn, dass die

Anwendung der Vereinbarung insgesamt oder die An-wendung einzelner

Regelungen der Vereinbarung nicht geeignet ist, wirksamen Wettbewerb zu

gewährleisten. 6§ 19 Abs. 4 und § 20 Abs. 1 und 2 des Gesetzes ge-gen

Wettbewerbsbeschränkungen bleibt unberührt.

Bundesgerichtshof

 

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