Bundesgerichtshof zur Überprüfung von Preisen für die Durchleitung elektrischer Energie durch fremde Stromnetze
Bundesgerichtshof
Ein Stromversorgungsunternehmen, das das Netz eines anderen zur Durchleitung
elektrischer Energie nutzt, kann eine zivilgerichtliche Überprüfung der Höhe
des ver-traglich vereinbarten Netznutzungsentgelts am Maßstab "guter
fachlicher Praxis" (§ 6 Abs. 1 EnWG) verlangen, wenn sich dieses Entgelt
nach der vertraglichen Vereinba-rung nach den jeweils aktuellen Preisen des
Netzbetreibers richten soll. Dies hat der Kartellsenat des
Bundesgerichtshofs heute entschieden.
In dem entschiedenen Fall hatte das klagende Stromversorgungsunternehmen,
das bundesweit Strom anbietet, aber über kein eigenes Netz verfügt, mit dem
Betreiber des Stromnetzes in der Stadt Mannheim einen Rahmenvertrag über die
Nutzung die-ses Stromnetzes geschlossen. Darin war vorgesehen, dass sich das
Durchleitungs-entgelt nach dem jeweils geltenden Preisblatt des
Netzbetreibers bestimmt. Das Stromversorgungsunternehmen hatte sich bei
Vertragsschluss vorbehalten, die in Rechnung gestellten Entgelte im
ganzen und in ihren einzelnen Bestandteilen ener-gie- und kartellrechtlich
überprüfen zu lassen.
Das Landgericht Mannheim hat die mit dem Ziel einer solchen Überprüfung
erhobe-ne Klage abgewiesen. Die Berufung zum Oberlandesgericht Karlsruhe
hatte keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht hat angenommen, die
Voraussetzungen für eine Ü-berprüfung der Höhe der Netznutzungsentgelte am
Maßstab "billigen Ermessens" (§ 315 Abs. 3 BGB) oder auf der Grundlage der
einschlägigen energiewirtschafts- und kartellrechtlichen Normen (§ 6 Abs. 1
EnWG a.F.; § 19 Abs. 4, § 20 Abs. 1 GWB) lägen nicht vor.
Dem ist der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs nicht gefolgt. Er sieht in
der ver-traglich vorgesehenen dynamischen Verweisung auf die jeweils
geltenden Preisblät-ter des Netzbetreibers ein einseitiges
Preisbestimmungsrecht im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB. Seine Ausübung ist
gemäß § 315 Abs. 3 BGB daraufhin zu überprüfen, ob sie billigem Ermessen
entspricht. Der Anwendung des § 315 Abs. 1 BGB steht nicht entgegen, dass §
6 Abs. 1 EnWG (i.d.F. vom 26.8.1998 bzw. vom 20.5.2003) die Bedingungen der
Netzüberlassung gesetzlich festlegt. Durch den vom Energie-wirtschaftsgesetz
vorgesehenen Maßstab "guter fachlicher Praxis" wird der allgemei-ne Maßstab
des "billigen Ermessens" vielmehr konkretisiert. Eine gute fachliche Pra-xis
soll dabei auch der Gewährleistung wirksamen Wettbewerbs dienen (§ 6 Abs. 1
Satz 4 EnWG a.F.) und muss sich an diesem Ziel messen lassen.
Der Bundesgerichtshof weist darauf hin, dass dem Netzbetreiber die
Darlegungslast für die Billigkeit seiner Preisbestimmung obliegt. Daran
ändert auch der Umstand nichts, dass die Tarife des beklagten Netzbetreibers
von der für die Preisgenehmi-gung nach § 12 BTOElt zuständigen Behörde nicht
beanstandet worden sind. Die öffentlich-rechtliche Wirkung der Genehmigung
beschränkt sich auf das Verhältnis der Behörde zum Genehmigungsempfänger und
ist für die privatrechtliche Überprü-fung eines einseitig festgesetzten
Entgelts am Maßstab des § 315 Abs. 3 BGB nicht vorgreiflich.
Um dem beklagten Netzbetreiber Gelegenheit zu geben, zur Angemessenheit
seiner Tarife vorzutragen, hat der Bundesgerichtshof das angefochtene Urteil
aufgehoben und den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an das
Berufungsgericht zurückverwie-sen. Der Bundesgerichtshof tritt dabei der
Auffassung entgegen, bei Beachtung der Preisfindungsprinzipien der Anlage 3
zur Verbändevereinbarung Strom II plus könne auch für die Zeit nach dem 31.
Dezember 2003 die Erfüllung der Bedingungen guter fachlicher Praxis vermutet
werden. Eine solche Vermutung sieht § 6 Abs. 1 Satz 5 EnWG a. F. nur für den
Zeitraum bis zum 31. Dezember 2003 vor. Die Erwägung, der Gesetzgeber habe
für eine Übergangszeit Rechtssicherheit schaffen wollen, ver-bietet es, die
Vermutungswirkung entgegen dem Wortlaut des Gesetzes über das Jahr 2003
hinaus auszudehnen.
Der Bundesgerichtshof bestätigt ferner seine Rechtsprechung, dass die
Vermutung der Einhaltung guter fachlicher Praxis auch für ihren zeitlichen
Geltungsbereich den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne
des § 19 Abs. 4 Nr. 1 GWB oder eine Diskriminierung gemäß § 20 Abs. 1 GWB
nicht ausschließt. Die kar-tellrechtliche Prüfung ist vielmehr von der
energiewirtschaftsrechtlichen grundsätzlich unabhängig.
Urteil vom 18. Oktober 2005 KZR 36/04
LG Mannheim Entscheidung vom 30.12.2003 22 O 64/02 (Kart) ./.
Oberlandes-gericht Karlsruhe Entscheidung vom 27.10.2004 6 U 22/04
Karlsruhe, den 18. Oktober 2005
§ 315 BGB hat folgenden Inhalt:
Bestimmung der Leistung durch eine Partei
(1) Soll die Leistung durch einen der Vertragsschließenden bestimmt
werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem
Ermessen zu tref-fen ist.
(2) Die Bestimmung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil.
(3) Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die
getroffene Be-stimmung für den anderen Teil nur dann verbindlich, wenn sie
der Billigkeit ent-spricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die
Bestimmung durch Urteil ge-troffen; das Gleiche gilt, wenn die Bestimmung
verzögert wird.
§ 6 Abs. 1 EnWG a. F. hat folgenden Inhalt:
1Betreiber von Elektrizitätsversorgungsnetzen haben anderen Unternehmen das
Versorgungsnetz für Durchleitungen zu Bedingungen zur Verfügung zu stellen,
die guter fachlicher Praxis entsprechen und nicht ungünstiger sind, als sie
von ihnen in vergleichbaren Fällen für Leistungen innerhalb ihres
Unternehmens oder gegenüber verbundenen oder assoziierten Unternehmen
tatsächlich oder kalkulatorisch in Rechnung gestellt werden. 2Dies gilt
nicht, soweit der Betreiber nachweist, dass ihm die Durchleitung aus
betriebsbedingten oder sonstigen Gründen unter Berücksichti-gung der Ziele
des § 1 nicht möglich oder nicht zumutbar ist. 3Die Ablehnung ist
schriftlich zu begründen. 4Die Bedingungen guter fachlicher Praxis im Sinne
des Sat-zes 1 dienen der Erreichung der Ziele des § 1 und der Gewährleistung
wirksamen Wettbewerbs. 5Bei Einhaltung der Verbändevereinbarung über
Kriterien zur Bestim-mung von Netznutzungsentgelten für elektrische Energie
und über Prinzipien der Netznutzung vom 13. Dezember 2001 (BAnz. Nr. 85 b
vom 8. Mai 2002) wird bis zum 31. Dezember 2003 die Erfüllung der
Bedingungen guter fachlicher Praxis ver-mutet, es sei denn, dass die
Anwendung der Vereinbarung insgesamt oder die An-wendung einzelner
Regelungen der Vereinbarung nicht geeignet ist, wirksamen Wettbewerb zu
gewährleisten. 6§ 19 Abs. 4 und § 20 Abs. 1 und 2 des Gesetzes ge-gen
Wettbewerbsbeschränkungen bleibt unberührt.
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