Bundesgerichtshof zur Verweigerung des Zugangs zum Fährhafen Puttgarden gegenüber konkurrierenden Fährdienstunternehmen

12.12.2012

Die Beschwerdeführerin (Scandlines Deutschland GmbH, im Folgenden: Scandlines) ist Eigentümerin des Fährhafens Puttgarden/Fehmarn. Sie bietet den einzigen Fährdienst von dort nach Rødby/Dänemark an (sogenannte Vogelfluglinie). Die Beigeladenen, zwei norwegische Gesellschaften, beabsichtigen, ebenfalls einen Fährdienst auf dieser Route einzurichten und möchten hierzu den Fährhafen Puttgarden mitbenutzen. Scandlines weigert sich, den Zugang zu land- und seeseitigen Hafeneinrichtungen zu gewähren.

Das Bundeskartellamt hat in dieser Weigerung einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch Scandlines gesehen, der gegen europäisches und deutsches Kartellrecht verstoße. Mit Beschluss vom 27. Januar 2010 hat es Scandlines verpflichtet, Verhandlungen mit den Beigeladenen aufzunehmen und einen Zugangsvorschlag zu unterbreiten.

Die hiergegen erhobene Beschwerde von Scandlines hatte vor dem Oberlandesgericht Erfolg. Das Oberlandesgericht hat angenommen, die Missbrauchstatbestände des § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB* und des Art. 102 AEUV** seien nicht erfüllt, weil die Zugangsverweigerung gerechtfertigt sei. Die Mitbenutzung des Fährhafens Puttgarden durch die Beigeladenen sei aus rechtlichen Gründen unmöglich, weil die von den Beigeladenen geplanten Park- und Vorstauflächen derzeit für den Eisenbahnverkehr gewidmet seien. Dass dieses Hindernis (durch eisenbahnrechtliche Entwidmung oder Planfeststellung) ausgeräumt werden kann, sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorherzusehen. Die Ungewissheit darüber, ob dieses Hindernis beseitigt werden kann, gehe nach Darlegungs- und Beweislastgrundsätzen zu Lasten des Bundeskartellamts und der Beigeladenen.

Auf die Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts hat der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs nach der heutigen mündlichen Verhandlung die Beschwerdeentscheidung aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Maßgeblich dafür waren die folgenden Erwägungen:

Die Prüfung der sachlichen Rechtfertigung der Verweigerung einer Mitbenutzung wegen Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit im Sinne von § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB erfordert stets ein Prognose. Daher ist nicht zwischen gegenwärtiger und künftiger rechtlicher Möglichkeit einer Mitbenutzung zu unterscheiden. In beiden Fällen geht die Ungewissheit darüber, ob das Mitbenutzungsvorhaben durchführbar ist, nach der gesetzlichen Beweislastverteilung zu Lasten des Inhabers der Infrastruktureinrichtung. Gerade komplexe Vorhaben sind kaum ohne Einholung behördlicher Entscheidungen durchzuführen, deren Ausgang regelmäßig nicht vorauszusehen ist. Dies gilt insbesondere für die Mitbenutzung von Seehafenanlagen zum Zwecke der Ermöglichung von Wettbewerb auf dem nachgelagerten Markt des Fährverkehrs, die ein vom Gesetzgeber ausdrücklich in Betracht gezogener Anwendungsfall des Regelbeispiels nach § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB ist.

Bei dem bislang vom Oberlandesgericht festgestellten Sachverhalt kann eine dauerhafte Unmöglichkeit der Mitbenutzung und somit eine sachliche Rechtfertigung der Zugangsverweigerung nach § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB nicht angenommen werden. Die vom Oberlandesgericht angeführte ernsthafte, nicht bloß vage Möglichkeit, dass die derzeit ungenutzten Teile der Eisenbahninfrastruktur im Zuge der Baumaßnahmen zur Errichtung der festen Fehmarnbeltquerung benötigt werden und daher die beabsichtigte Mitbenutzung des Hafens an den notwendigen behördlichen Entscheidungen scheitern kann, genügt dafür nicht.

Ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV kann daher mit der vom Oberlandesgericht gegebenen Begründung ebenso wenig ausgeschlossen werden.

Beschluss vom 11. Dezember 2012 - KVR 7/12

OLG Düsseldorf - Beschluss vom 7. Dezember 2011 - VI-Kart 1/10 (V)

Karlsruhe, den 11. Dezember 2012

*§ 19 GWBMissbrauch einer marktbeherrschenden Stellung [Auszug]

(1) Die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen ist verboten.

[…]

(4) Ein Missbrauch liegt insbesondere vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen

[…]

4. sich weigert, einem anderen Unternehmen gegen angemessenes Entgelt Zugang zu den eigenen Netzen oder anderen Infrastruktureinrichtungen zu gewähren, wenn es dem anderen Unternehmen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen ohne die Mitbenutzung nicht möglich ist, auf dem vor- oder nachgelagerten Markt als Wettbewerber des marktbeherrschenden Unternehmens tätig zu werden; dies gilt nicht, wenn das marktbeherrschende Unternehmen nachweist, dass die Mitbenutzung aus betriebsbedingten oder sonstigen Gründen nicht möglich oder nicht zumutbar ist.

**Art. 102 AEUV

Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten ist die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

[…]

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