Bundesverfassungsgericht: Erfolgreiche Beschwerde eines Arztes gegen Verhängung eines vorläufigen Berufsverbots

27.12.2005

Bundesverfassungsgericht

Gegen den siebzigjährigen, wegen Nichtabgabe der Einkommensteuererklärung vorbestraften Beschwerdeführer, der in seiner ärztlichen Praxis drogensüchtige Patienten behandelt, ist ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Anstiftung von Patienten zu Diebstählen sowie der sexuellen Belästigung von Patienten anhängig. Die Erlöse aus den Diebstählen – so die Anklage – sollten als Bezahlung für entstandene Behandlungskosten dienen. Die Hauptverhandlung vor dem Schöffengericht wurde ausgesetzt, um ein Gutachten über die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Beschwerdeführers einzuholen. Zugleich ordnete das Gericht ein vorläufiges Berufsverbot gegen den Beschwerdeführer an. Die hiergegen gerichtete Beschwerde verwarf das Landgericht als unbegründet. Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers hatte Erfolg. Die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hob den Beschluss des Landgerichts auf, da er den Beschwerdeführer in seiner Berufsfreiheit verletzt. Die Sache wurde an das Landgericht zurückverwiesen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

§ 132 a StPO erlaubt im Strafverfahren die vorläufige Verhängung eines Berufsverbots gegen einen Beschuldigten, wenn dringende Gründe dafür sprechen, dass im Urteil ein „endgültiges“ Berufsverbot gegen ihn verhängt wird. Ein Berufsverbot kann unter anderem angeordnet werden, wenn ein Angeklagter wegen einer rechtswidrigen Tat verurteilt wird, die er unter Missbrauch seines Berufes begangen hat. Zudem muss eine Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat die Gefahr erkennen lassen, dass er bei fortgesetzter Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit weitere erhebliche Taten, die im Zusammenhang mit seiner Berufsausübung stehen, begehen wird. Aufgrund der überragenden Bedeutung der durch Art. 12 GG garantierten Berufsfreiheit rechtfertigt aber allein das Vorliegen dieser gesetzlichen Voraussetzungen die Verhängung eines vorläufigen Berufsverbots nicht. Hinzukommen muss, dass die Anordnung erforderlich ist, um bereits vor rechtskräftigem Abschluss des Hauptverfahrens Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter abzuwehren, die aus einer Berufsausübung durch den Beschuldigten resultieren können. Dies ist vom Gericht darzulegen und zu erörtern.

Das Landgericht benennt in den Gründen seiner Entscheidung nicht in hinreichendem Maße Tatsachen, aus denen auf das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr geschlossen werden könnte. Der Umstand, dass es den Beschwerdeführer für dringend verdächtig hält, zwei berufsbezogene Taten begangen zu haben, begründet für sich gesehen noch nicht die gesicherte Erwartung, er werde auch in Zukunft im Zusammenhang mit der von ihm ausgeübten Tätigkeit strafrechtlich erheblich in Erscheinung treten. Die abgeurteilten Steuervergehen waren keine berufsbezogenen Taten, weshalb sie keinen Rückschluss auf eine Neigung des Beschwerdeführers zulassen, die Ausübung seines Berufs zur Begehung von Straftaten auszunutzen.

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