Bundesverfassungsgericht: Klage der FAMILIEN-PARTEI DEUTSCHLANDS und der Ökologisch-Demokratischen Partei (ödp) gegen Bundestagsauflösung und Unterschriftenquorum ohne Erfolg
Bundesverfassungsgericht
Die Organklage der FAMILIEN-PARTEI DEUTSCHLANDS (unter Beitritt der ödp), die sich gegen
die Entscheidung des Bundespräsidenten, den 15. Deutschen Bundestag aufzulösen, sowie gegen Bestimmungen
des Bundeswahlgesetzes über die Beibringung von Unterstützungsunterschriften richtet, ist
vom Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts als unzulässig verworfen worden. Durch eine etwaige
verfassungswidrige Auflösung des Parlaments könne die Antragstellerin nicht in eigenen Rechten verletzt
werden, denn Art. 68 GG diene nicht dem Schutz der im Parlament nicht vertretenen Parteien, sondern
sei darauf angelegt, zu politischer Stabilität im Verhältnis von Bundeskanzler und Bundestag beizutragen.
Soweit sich die Antragstellerin gegen das im Bundeswahlgesetz festgelegte Erfordernis einer bestimmten
Anzahl von Unterstützungsunterschriften und das Fehlen von Ausnahmetatbeständen im Falle des vorzeitigen
Endes der Wahlperiode wendet, sei der Antrag nicht innerhalb der für Organklagen geltenden
Sechsmonatsfrist erhoben worden und daher verfristet. Die maßgeblichen Regelungen des Gesetzes seien
in der gegenwärtig geltenden Fassung bereits vor Jahren verkündet worden.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Die Organklage ist unzulässig.
I. Soweit sich die Antragstellerin gegen die Auflösungsentscheidung des Bundespräsidenten wehrt,
ist sie nicht antragsbefugt. Art. 68 GG ist darauf angelegt, zu politischer Stabilität im Verhältnis
von Bundeskanzler und Bundestag beizutragen. Die Norm bezweckt dagegen nicht, den im
Deutschen Bundestag nicht vertretenen Parteien eine hinreichend lange Wahlvorbereitungszeit zu
gewährleisten. Sie können folglich durch eine etwaige verfassungswidrige Auflösung des Parlaments
nicht in eigenen Rechten verletzt werden.
Die Antragstellerin kann die Auflösungsentscheidung auch nicht auf dem Umweg der Rüge einer
Verletzung ihres Rechts auf Chancengleichheit zur verfassungsgerichtlichen Prüfung stellen. Die
Frage, ob sie durch das Erfordernis der Beibringung von Unterstützungsunterschriften innerhalb
eines verkürzten Zeitraums in eigenen Rechten verletzt ist, beantwortet sich unabhängig von der
Frage der Verfassungsmäßigkeit der Auflösungsentscheidung. Die Auswirkungen sind für die
Antragstellerin im Fall der verfassungswidrigen wie der grundgesetzkonformen Auflösungsentscheidung
die gleichen.
II. Die beiden gegen die Vorschriften des Bundeswahlgesetzes gerichteten (Hilfs-) Anträge wahren
nicht die Sechsmonatsfrist, innerhalb deren eine Organklage erhoben werden muss.
1. Zum einen wendet sich die Antragstellerin gegen die Bestimmungen des Bundeswahlgesetzes
zu den Unterschriftenquoren, die keine Erleichterung vom Unterschriftenerfordernis
für den Fall vorsehen, dass der Deutsche Bundestag nach Art. 68 GG aufgelöst wird
und Neuwahlen innerhalb von 60 Tagen stattfinden müssen. Der Bundesgesetzgeber regelte
bereits im Bundeswahlgesetz vom 7. Mai 1956 das Erfordernis von Unterstützungsunterschriften
für parlamentarisch nicht vertretene Parteien. Die damals festgelegten
Vorgaben haben bis heute Gültigkeit. Die mit der Verkündung des Gesetzes beginnende
Sechsmonatsfrist zur Erhebung der Organklage ist damit verstrichen. Auch das Gesetz
zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 11. März 2005 setzt die Antragsfrist nicht
neuerlich in Lauf. Die mit dieser Änderung vorgenommenen Wahlkreiszuschnitte stehen
erkennbar in keinem inhaltlichen oder systematischen Wirkungszusammenhang zu den
Vorschriften über das Erfordernis von Unterstützungsunterschriften. Schließlich setzte
auch die Verordnung über die Abkürzung von Fristen im Bundeswahlgesetz für die Wahl
zum 16. Deutschen Bundestag vom 21. Juli 2005 die Antragsfrist nicht neuerlich in
Gang, weil ihr ein gegenüber der 60-Tage-Frist des Grundgesetzes (Art. 39 Abs. 1 Satz
4) eigenständiger belastender Gehalt fehlt.
2. Zum anderen macht die Antragstellerin geltend, der Gesetzgeber habe es pflichtwidrig
unterlassen, für den Fall einer Auflösung des Deutschen Bundestages Ausnahmen vom
Unterschriftenquorum zu regeln. Dabei kann offen bleiben, ob ein gesetzgeberisches Unterlassen
überhaupt im Wege einer Organklage angreifbar ist. Jedenfalls hat die Antragstellerin
die Sechsmonatsfrist für die Einleitung eines Organstreits nicht eingehalten. Die
Frist beginnt in diesem Fall mit der erkennbaren Weigerung des Gesetzgebers, in der von
der Antragstellerin begehrten Weise tätig zu werden. Dies ist vorliegend mit der Einfügung
verschiedener Regelungen in das Bundeswahlgesetz durch das Gesetz vom
24. Juni 1975 und vom 15. März 1985 geschehen. Mit den vorgenommenen Änderungen
hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass er den Besonderheiten bei der Wahlvorbereitung
im Fall der Bundestagsauflösung zwar durch die Verkürzung von Fristen,
nicht aber durch den Verzicht auf die Unterschriftenquoren oder deren Absenkung
Rechnung tragen wollte.
Beschluss vom 23. August 2005 2 BvE 5/05
Karlsruhe, den 23. August 2005