Bundesverfassungsgericht: Regelungen des Risikostrukturausgleichs verfassungsgemäß
Bundesverfassungsgericht
Die Regelungen des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung sind mit dem
Grundgesetz vereinbar. Der Risikostrukturausgleich verwirklicht den sozialen Ausgleich in der gesetzlichen
Krankenversicherung im Einklang mit dem allgemeinen Gleichheitssatz kassenübergreifend und
bundesweit. Auch die Einbeziehung der ostdeutschen Versicherten in den gesamtdeutschen Solidarverband
der gesetzlichen Krankenversicherung dient der Verwirklichung des für die Krankenversicherung
charakteristischen sozialen Ausgleichs. Dies entschied der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts.
Damit war der Normenkontrollantrag der Länder Baden-Württemberg, Bayern und Hessen ohne Erfolg.
Rechtlicher Hintergrund:
In der Bundesrepublik Deutschland ist der überwiegende Teil der Bevölkerung in der gesetzlichen Krankenversicherung
versichert. Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung sah bis 1994 nur sehr
stark eingeschränkte Möglichkeiten der Wahl einer gesetzlichen Krankenkasse für die Versicherten vor.
Im Regelfall war die Mitgliedschaft bei einer bestimmten Krankenkasse durch äußere Umstände, zum
Beispiel den Sitz des Arbeitgebers, vorherbestimmt. Eine Folge dieser starren Mitgliederzuweisung waren
Verwerfungen in der Mitgliederstruktur der einzelnen Krankenkassen: So hatten die Ersatz- und
Betriebskrankenkassen vielfach einen hohen Anteil von jungen Menschen mit hohen Beitragsleistungen
bei gleichzeitig geringer Leistungsinanspruchnahme unter ihren Versicherten, während vor allem die
Ortskrankenkassen einen hohen Anteil von Menschen mit geringer Beitragsleistung bei gleichzeitig hoher
Leistungsinanspruchnahme unter ihren Versicherten hatten. Diese unterschiedliche Risikoverteilung führte
zu erheblichen Unterschieden im Beitragssatz der Krankenkassen von bis 7,5% bei einem nahezu gleichen
Leistungsangebot.
Zur Förderung des Wettbewerbs zwischen den gesetzlichen Krankenkassen mit dem Ziel einer verbesserten
Qualität und Wirtschaftlichkeit der Versorgung entschloss sich der Gesetzgeber, ab 1994 Wahlmöglichkeiten
der Versicherten zu schaffen bzw. zu steigern. Zugleich trug er den unterschiedlichen Risi-
koverteilungen unter den einzelnen Krankenkassen durch die Schaffung des so genannten Risikostrukturausgleichs
Rechnung. Hierbei handelt es sich um ein komplexes Ausgleichsverfahren, an dem alle gesetzlichen
Krankenkassen beteiligt sind. Nach Ermittlung der jeweiligen Mitgliederstruktur der einzelnen
Krankenkasse wird dadurch unter Berücksichtigung von zuvor ermittelten Durchschnittswerten ein ausgleichender
Finanztransfer unter den Krankenkassen bewirkt.
Ursprünglich war die Durchführung des Risikostrukturausgleichs nach Ost- und Westdeutschland getrennt.
Mit der Abschottung der Ausgleichssysteme kam es zu einer gegenläufigen finanziellen Entwicklung
in Ost und West. Die Krankenkassen in den neuen Ländern wurden auf der Einnahmenseite insbesondere
durch die hohe Arbeitslosigkeit und einen hohen Rentenanteil belastet, während in einigen Leistungsbereichen
die Ausgaben je Versichertem deutlich über dem Westniveau lagen. Defizitäre Entwicklungen
und Beitragssatzerhöhungen im Osten waren die Konsequenz. Der Gesetzgeber reagierte hierauf
mit der stufenweisen Einführung des gesamtdeutschen Risikostrukturausgleichs. Dieser führte zu einem
finanziellen West-Ost-Transfer. Der Finanzkraftausgleich erreichte im Jahr 2001 ein Volumen von rund
1,5 Mrd. Euro, was zu einer durchschnittlichen Entlastung der ostdeutschen Krankenkassen von rund
einem Beitragssatzpunkt führte. Die korrespondierende Belastung der Kassen im Westen belief sich auf
0, 19 Beitragssatzpunkte.
Der Risikostrukturausgleich wurde durch das Gesetz zur Reform des Risikostrukturausgleichs in der
gesetzlichen Krankenversicherung vom 10. Dezember 2001 (Reformgesetz) fortentwickelt, um Fehlentwicklungen
des bisherigen Risikostrukturausgleichs zu korrigieren. Es hatte sich gezeigt, dass für die
Kassen weiterhin Anreize bestanden, ihre Geschäftspolitik an unterschiedlichen Risiken zu orientieren.
Die Ursache lag im Wesentlichen darin, dass der Risikostrukturausgleich verschiedene Krankheitszustände
(Morbiditätsunterschiede), die einen unterschiedlichen Versorgungsbedarf mit sich bringen, nur
indirekt über grobe Raster wie Alter und Geschlecht berücksichtigte. Eine Kasse konnte daher Beitragssatzvorteile
erzielen, wenn sie viele gesunde und wenige chronisch kranke Versicherte hatte. Dieser
Entwicklung begegnete der Gesetzgeber mit der Einführung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs
ab dem 1. Januar 2007. Durch eine bessere Abbildung der Risikostrukturen einer Krankenkasse
in einem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich soll für die Kasse der Nutzen einer Risikoselektion
verringert werden.
Die Länder Baden-Württemberg, Bayern und Hessen haben sich im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle
sowohl gegen die gesamte Regelung des Risikostrukturausgleichs mit länderübergreifender
Wirkung durch zwingendes Bundesgesetz als auch gegen seine Ausgestaltung, die gezielt Transfers von
den Krankenkassen des alten Bundesgebiets zu denen des Beitrittsgebiets hervorrufe, gewandt. Zudem
haben sie beantragt, das Reformgesetz vom 10. Dezember 2001 für nichtig zu erklären.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
A.
Die gesetzlichen Grundlagen des Risikostrukturausgleichs sind mit dem Grundgesetz vereinbar.
I. Der Bund hat das Gesetzgebungsrecht für den Risikostrukturausgleich.
Die Einführung des Risikostrukturausgleichs ist als Maßnahme der Sozialversicherung Gegenstand
der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG). Eine bundesgesetzliche
Regelung war zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse und zur Wahrung der Rechts-
und Wirtschaftseinheit erforderlich (Art. 72 Abs. 2 GG). Eine in allen Landesteilen gleich funktionsfähige
Sozialversicherung ist auf der Basis unterschiedlicher Ländergesetze praktisch kaum
denkbar. Insbesondere die gleichheitsrechtlich gebotene bundesweite Angleichung der Beitragssätze
der gesetzlichen Krankenversicherungen lässt sich mit unterschiedlichen landesrechtlichen
Regelungen nicht erreichen. Der Risikostrukturausgleich ist ein integraler Bestandteil der vom
Bundesgesetzgeber im SGB V einheitlich normierten und aufeinander abgestimmten Regelungen
der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Tragfähigkeit der Gesamtkonstruktion wäre durch
abweichende landesgesetzliche Regelungen gefährdet.
II. Die Bestimmungen der bundesstaatlichen Finanzverfassung (Art. 104a ff. GG) stehen dem Risikostrukturausgleich
in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht entgegen.
Dies ergibt sich insbesondere aus der Zusammenschau des besonderen rechtlichen Charakters
des Sozialversicherungsbeitrags mit den von den Normen über das Finanzwesen verfolgten Zielen.
Sozialversicherungsbeiträge zeichnen sich durch eine strenge grundrechtlich und kompetenzrechtlich
begründete Zweckbindung aus. Die unter Eingriff in das Grundrecht auf allgemeine
Handlungsfreiheit zustande gekommene Zwangsmitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung
vermag die Auferlegung nur solcher Geldleistungspflichten zu rechtfertigen, die ihren
Grund und ihre Grenze in den Aufgaben der Sozialversicherung finden. Die erhobenen Geldmittel
dürfen daher allein zur Finanzierung der Aufgaben der Sozialversicherung eingesetzt werden.
Demgegenüber tragen die Regelungen der Finanzverfassung Sorge dafür, dass Bund und Länder
durch eine sachgerechte Verteilung des Finanzaufkommens im Bundesstaat finanziell in die Lage
versetzt werden, die ihnen verfassungsrechtlich zukommenden Aufgaben eigenständig wahrzunehmen.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Sozialversicherungsbeiträge wegen ihrer strengen
Zweckbindung weder den Bund oder die Länder noch sonstige staatliche Aufgabenträger zu eigenverantwortlichen
finanziellen Entscheidungen befähigen sollen. Für Bund und Länder handelt
es sich um Fremdgelder, die der eigenen Haushaltsgewalt entzogen sind. Der grundrechtlich gebundene
Sozialversicherungsbeitrag ist damit als indisponible Finanzmasse generell kein tauglicher
Gegenstand finanzverfassungsrechtlicher Verteilungsmechanismen.
III. Auch Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG steht dem Risikostrukturausgleich nicht entgegen.
Nach Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG trägt der Bund die Zuschüsse zu den Lasten der Sozialversicherung.
Art. 120 GG ist eine reine Zuständigkeitsvorschrift, die das finanzwirtschaftliche Verhältnis
zwischen Bund und Ländern regelt. Mit der Zuweisung der alleinigen Finanzierungsverantwortung
an den Bund will das Grundgesetz lediglich sicherstellen, dass die Länder vor Sozialversicherungslasten
verschont werden. Die rechtlichen Beziehungen zu anderen Rechtsträgern
werden von der Vorschrift nicht berührt. Art. 120 Abs. 1 GG ist insbesondere keine Anspruchsnorm
zu Gunsten der Sozialversicherungsträger. Die ausgleichsverpflichteten Krankenkassen haben
keinen verfassungsrechtlichen Anspruch gegen den Bund, sie durch Gewährung von Bundeszuschüssen zu Gunsten finanzschwacher Krankenkassen von eigenen Ausgleichspflichten freizustellen.
Die sich aus Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG ergebende Stellung der Länder hat der Bund mit der
Einführung des Risikostrukturausgleichs nicht verletzt. Die gesetzlichen Regelungen des Risikostrukturausgleichs
begründen nämlich weder direkt noch indirekt eine Pflicht der Länder, Zuschüsse
zu den Lasten der Sozialversicherung zu leisten. Auch wenn einzelne landesunmittelbare
Krankenkassen auf Grund von Ausgleichspflichten in finanzielle Schwierigkeiten geraten sollten,
wird davon der finanzverfassungsrechtliche Status eines Landes nicht berührt, weil das Krankenkassenrecht
eine finanzielle Einstandspflicht des Landes für eine Not leidende Krankenkasse
nicht vorsieht.
IV. Im Verhältnis zur Gruppe der nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Steuerpflichtigen
werden Gleichheitsrechte der Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung nicht
verletzt.
Die wesentlichen Ungleichbehandlungen werden nicht durch die Regelungen des Risikostrukturausgleichs
herbeigeführt, sondern durch die auf der Grundentscheidung des Sozialgesetzgebers
beruhenden Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung sowie
durch die Regelungen über die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung durch Erhebung
einkommensbezogener, dem sozialen Ausgleich und der Umverteilung dienender Beiträge.
Danach haben insbesondere Beitragspflichtige mit hohen beitragspflichtigen Einnahmen und
niedrigem Krankheitsrisiko (gute Risiken) Solidarlasten zu tragen, gleich leistungsfähige Steuerpflichtige,
die nicht Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung sind, aber nicht.
Der Risikostrukturausgleich knüpft an die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Grundentscheidung des Sozialgesetzgebers
zur Abgrenzung des Mitgliederkreises und zur Beitragsfinanzierung der gesetzlichen
Krankenversicherung an. Er gestaltet nur die mit diesen Grundentscheidungen einhergehenden
Ungleichbehandlungen dadurch gleichmäßiger aus, dass der sich zunächst innerhalb der einzelnen
Kasse vollziehende Solidarausgleich kassenübergreifend bundesweit durchgeführt wird.
Soweit der kassenübergreifende und bundesweit wirkende Risikostrukturausgleich die Ungleichbehandlungen
zwischen Beitragspflichtigen und Steuerpflichtigen fortführt, ist dies von sachlichen
Gründen getragen und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Grundgesetz gebietet dem
Gesetzgeber nicht, den verfassungsrechtlich legitim sozialen Ausgleich jeweils an den Grenzen
der einzelnen Krankenkassen enden zu lassen.
Auch die Einführung des gesamtdeutschen Risikostrukturausgleichs ist verfassungsrechtlich nicht
zu beanstanden. Dieser verwirklicht den Solidargedanken länderübergreifend. Für das vom
Grundgesetz gebilligte System der gesetzlichen Krankenversicherung ist typisch, dass sich leistungsstärkere
Mitglieder an den Kosten des Krankenversicherungsschutzes von leistungsschwächeren
Mitgliedern ihrer größeren Leistungsfähigkeit entsprechend beteiligen. Derartige Umverteilungen,
wie sie der Risikostrukturausgleich im Verhältnis zu den Ostkassen vornimmt, sind
daher keine Fremdlasten, die als Staatsaufgabe von Verfassungs wegen zwingend aus dem Steueraufkommen
finanziert werden müssten. Eine andere Beurteilung ist auch nicht deshalb geboten,
weil die Finanzprobleme der gesetzlichen Krankenversicherung Ost mit der Deutschen Einheit
zusammen hängen. Mit der Verwirklichung eines in Ost und West gleich hohen Versicherungsniveaus
zu Beiträgen, die für alle Mitglieder tragbar sind, verwirklicht der Gesetzgeber den für die
Krankenversicherung charakteristischen Gedanken des sozialen Ausgleichs im Einklang mit dem
allgemeinen Gleichheitssatz.
V. Im Verhältnis der Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung untereinander liegt eine Verletzung
des Gleichheitssatzes nicht vor.
Zwar bewirkt der Risikostrukturausgleich zwischen den einzelnen Versichertengruppen innerhalb
der gesetzlichen Krankenversicherung vielfältige Ungleichbehandlungen. Insbesondere haben die
Mitglieder ausgleichsverpflichteter Krankenkassen höhere, die Mitglieder ausgleichsberechtigter
Krankenkassen niedrigere Beiträge zu zahlen, als sie ohne Risikostrukturausgleich zu entrichten
hätten. Die vom Risikostrukturausgleich ausgelösten Ungleichbehandlungen sind jedoch verfassungsrechtlich
gerechtfertigt, da der Gesetzgeber sein Ziel der Solidaritätssicherung durch einen
kassenübergreifenden sozialen Ausgleich bei gleichzeitigem Wettbewerb zwischen den Krankenkassen
mit verhältnismäßigen Mitteln verfolgte:
1. Die vom Risikostrukturausgleich eingesetzten Mittel sind zur Erreichung des gesetzgeberischen
Ziels geeignet. Der Gesetzgeber durfte sich bei der Wahl der zu berücksichtigenden
Ausgleichsfaktoren auf solche beschränken, von denen er annehmen konnte, dass
sie die beabsichtigten Auswirkungen auf den Beitragssatz haben:
Mit den Ausgleichsfaktoren Höhe der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder, Alter
und Zahl der Familienversicherten wird der klassische Solidarausgleich zwischen Einkommensstarken
und Einkommensschwachen, Jungen und Alten, Alleinstehenden und
Unterhaltspflichtigen kassenübergreifend umgesetzt. Ob die Ausgleichsfaktoren Alter,
Geschlecht und Rentenbezug wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit geeignet sind, das
Erkrankungsrisiko ausreichend abzubilden und so einen Solidarausgleich zwischen Gesunden
und Kranken sicher zu stellen, erscheint zwar fraglich. Dies kann jedoch dahin
stehen, weil bei der Schaffung des Risikostrukturausgleichs negative Erkenntnisse nicht
vorhanden waren. Der Gesetzgeber durfte die Entwicklung des neuartigen Ausgleichsinstruments
zunächst abwarten und beobachten. Schließlich hat er durch den direkt morbiditätsorientierten
Risikostrukturausgleich ab 2007 auf die Entwicklungen reagiert.
Dass sich der Ausgleich nicht an der tatsächlichen Ausgabenlast einer Krankenkasse,
sondern an standardisierten Ausgaben orientiert, ist ebenfalls legitim, da anderenfalls
Wirtschaftlichkeitsanreize bei den Krankenkassen gemindert würden.
Die Nichtberücksichtigung unterschiedlicher regionaler Kostenstrukturen ist ebenfalls
verfassungsrechtlich zulässig. Nicht zuletzt aus Praktikabilitätsgründen durfte der Gesetzgeber
auf eine entsprechende Differenzierung verzichten. Die Berücksichtigung regionaler
Besonderheiten setzt nicht nur eine komplizierte Datenerhebung voraus, sondern verlangt
die Beantwortung sehr schwieriger Fragen, auf die auch die gesundheitsökonomische
Wissenschaft noch keine befriedigenden Antworten gefunden hat.
Der West-Ost-Transfer stellt sich letztlich nur als Sonderfall der fehlenden Berücksichtigung
regionaler Differenzierung dar. Die durch größere Arbeitslosigkeit und geringere
Durchschnittsverdienste im Osten bedingten Finanzkraftunterschiede zwischen den Kassen
werden bundesweit durch den Finanzkraftausgleich beseitigt. Verfassungsrechtlich ist
ein solcher Ausgleich unproblematisch, denn er dient dem Solidarausgleich zwischen einkommensstarken
und einkommensschwachen Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung.
Soweit der Risikostrukturausgleich ostdeutschen Krankenkassen Vorteile belässt, die auf
geringeren Leistungsausgaben beruhen, ist dies nicht zu beanstanden. Ursache für die geringeren
Leistungsausgaben ist vor allem die geringere Vergütung der im Gesundheitsbereich
tätigen Personen. Da sich aber die Vergütung der im öffentlichen Dienst beschäftigten
Personen zunehmend dem Westniveau annähert und insgesamt eine zunehmende Angleichung
der Leistungsausgaben festgestellt werden kann, folgt aus der fehlenden Differenzierung
nicht die Sachwidrigkeit des Risikostrukturausgleichs. Hinzukommt, dass sich
die entsprechende Belastung der westdeutschen Krankenkassen nur im Rahmen von bis
zu 0,15 Beitragssatzpunkten bewegt.
2. Zum Risikostrukturausgleich existieren keine gleich wirksamen Mittel.
Insbesondere könnte ein völliger Verzicht auf einen Risikostrukturausgleich oder dessen
Befristung den beabsichtigten Kassenwettbewerb nicht gewährleisten. In einem System
ohne Risikostrukturausgleich ist es für eine Krankenkasse unter finanziellen Gesichtspunkten
sehr viel attraktiver, die Zusammensetzung der Versicherten durch Risikoselektion
(Anwerben von Menschen mit niedrigem Krankheitsrisiko) günstig zu gestalten, als
positive Kosteneffekte durch Effizienzverbesserung zu generieren. Der Gesetzgeber wollte
aber nicht einen Wettbewerb um die besten Risikoselektionsstrategien initiieren; die
Kassen sollten vielmehr ermuntert werden, über Möglichkeiten der Effizienzverbesserung
nachzudenken.
Auch die übrigen als Alternativen zum Risikostrukturausgleich diskutierten Maßnahmen
stellen keine gleich wirksamen Mittel dar: Bei einer Festlegung von Belastungsobergrenzen,
über die hinaus kein Transfer zwischen den Krankenkassen stattfinden soll, blieben
Unterschiede in der Risikostruktur der Krankenkassen (verbunden mit unterschiedlichen
Beitragssätzen) erhalten. Mit der Schaffung einer Einheitskrankenkasse wäre der Wettbewerbsgedanke
nicht zu realisieren. Die Zahlung von Bundeszuschüssen würde lediglich
zu einer Belastungsverlagerung auf die Allgemeinheit führen. Bei einem regionalisierten
Risikostrukturausgleich blieben vor allem länderübergreifende Unterschiede bestehen.
3. Mit dem Risikostrukturausgleich hat der Gesetzgeber auch eine angemessene Maßnahme
ergriffen. Er führt nicht zu übermäßigen und damit unzumutbaren Belastungen der
Mitglieder ausgleichspflichtiger Krankenkassen. Insbesondere steht die Belastung nicht
außer Verhältnis zu dem vom Risikostrukturausgleich verfolgten Zweck, jedem Versicherten,
gleich wo er versichert ist, die gleiche medizinische Versorgung zu Preisen, die
der jeweiligen individuellen Leistungsfähigkeit entsprechen, zukommen zu lassen.
B.
Auch das Gesetz zur Reform des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung vom
10. Dezember 2001 ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
I. Die mit dem Reformgesetz bewirkte Einführung des direkt morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs
begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gesetzgeber verfolgt legitime
Ziele, weil er hierdurch den Solidarausgleich zwischen Gesunden und Kranken verbessern
und insbesondere Risikoselektion zulasten von chronisch Kranken vermeiden will.
II. Auch die Einführung eines Risikopools ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Hierbei handelt es
sich um einen den Risikostrukturausgleich ergänzenden Finanzausgleich zur Verteilung der Lasten
besonders aufwändiger Leistungsfälle. Er ist zulässig, da er bis zur Einführung des direkt morbiditätsorientierten
Risikostrukturausgleichs den Solidarausgleich ergänzend sicherstellt.
III. An der Einführung strukturierter Behandlungsprogramme für chronisch kranke Menschen war
der Gesetzgeber ebenfalls verfassungsrechtlich nicht gehindert. Mit der Zuweisung eines speziellen
Beitragsbedarfs zur Durchführung der strukturierten Behandlungsprogramme haben die Kassen
einen finanziellen Anreiz, entsprechende Programme aufzulegen und so die Qualität der Versorgung
chronisch kranker Menschen zu verbessern.
IV. Die Ermächtigung zur Regelung der Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs durch
Rechtsverordnung hält einer verfassungsrechtlichen Prüfung stand. Ziele und Zwecke der Ermächtigung
hat der Gesetzgeber im Reformgesetz deutlich vorgegeben. Auch die inhaltlichen
Modalitäten der Verordnung sind im Gesetz hinreichend bestimmt.
Beschluss vom 18. Juli 2005 2 BvF 2/01
Karlsruhe, den 31. August 2005