BVerfG: Ausschluss der Speisegaststätten von der Erlaubnis zur Einrichtung abgetrennter Raucherräume nach dem Hamburgischen Passivraucherschutzgesetz verfassungswidrig

22.02.2012

Nach dem Hamburgischen Passivraucherschutzgesetz (HmbPSchG) ist das Rauchen in Gaststätten grundsätzlich verboten. Vom Rauchverbot ausgenommen sind Einraumgaststätten mit einer Gastfläche von weniger als 75 m2, die als reine Schankwirtschaften betrieben werden, d. h. in denen keine zubereiteten Speisen angeboten werden und die nicht über eine entsprechende gaststättenrechtliche Erlaubnis verfügen.

Des Weiteren erlaubt die im Vorlageverfahren maßgebliche Vorschrift des § 2 Abs. 4 HmbPSchG für alle übrigen (reinen) Schankgaststätten, nicht aber für Speisegaststätten die Einrichtung von abgetrennten Raucherräumen. Eine vergleichbare Regelung zur Zulassung von Raucherräumen in Gaststätten findet sich auch in anderen Ländern nicht. Entweder gilt dort ein striktes Rauchverbot oder die Einrichtung von abgeschlossenen Raucherräumen wird unabhängig davon zugelassen, ob in den jeweiligen Gaststätten zubereitete Speisen angeboten werden oder nicht.

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens betreibt eine an einer Autobahn gelegene Gaststätte, die neben einer Gaststube einen „Clubraum“ umfasst. Für diese Gaststätte ist die Klägerin im Besitz einer gaststättenrechtlichen Erlaubnis zum Betrieb einer Schank- und Speisewirtschaft. Ihr Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung vom Rauchverbot, um den Clubraum als Raucherraum auszuweisen, lehnte die zuständige Verwaltungsbehörde mit der Begründung ab, dass die gesetzliche Regelung für Speisewirtschaften keine Ausnahme vom Rauchverbot vorsehe. Die hiergegen erhobene Klage führte zur Vorlage durch das Verwaltungsgericht, das die Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 4 HmbPSchG für verfassungswidrig hält. Sie verstoße gegen die Berufsausübungsfreiheit in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz, weil danach ohne rechtfertigenden Grund Speisewirtschaften anders als Schankwirtschaften die Möglichkeit versagt bleibe, abgeschlossene Raucherräume einzurichten.

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass § 2 Abs. 4 HmbPSchG mit der in Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Berufsausübungsfreiheit in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG insoweit unvereinbar ist, als die Regelung Betreibende von Speisewirtschaften anders als Betreibende von Schankwirtschaften von der Möglichkeit ausschließt, in abgeschlossenen Nebenräumen ihrer Gaststätten das Rauchen zu gestatten. Bis zu einer gesetzlichen Neuregelung gilt die Vorschrift mit der Maßgabe fort, dass auch für Speisewirtschaften abgeschlossene Raucherräume eingerichtet werden dürfen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Wie der Senat im Grundsatz schon in seinem Urteil vom 30. Juli 2008 (1 BvR 3262/07 u. a., vgl. Pressemitteilung Nr. 78/2008 vom 30. Juli 2008) entschieden hat, greift das Rauchverbot in Gaststätten in die Berufsausübungsfreiheit der Betreiber ein. Die in § 2 Abs. 4 Satz 1 HmbPSchG bestimmte Unterscheidung zwischen Schank- und Speisewirtschaften hat zur Folge, dass Betreibende von Speisewirtschaften nicht in freier Ausübung ihres Berufs das Angebot ihrer Gaststätten auch für rauchende Gäste attraktiv gestalten können, was erhebliche wirtschaftliche Nachteile insbesondere für eher getränkegeprägte Speisegaststätten nach sich ziehen kann. Diese Ungleichbehandlung ist sachlich nicht gerechtfertigt, weil es an einem hinreichend gewichtigen Grund für die Differenzierung fehlt.

1. Als Differenzierungsgrund reicht nicht allein die Tatsache aus, dass die unterschiedliche Regelung für Schank- und Speisewirtschaften das Ergebnis eines politischen Kompromisses der damaligen Regierungsfraktionen der Hamburgischen Bürgerschaft war.

2. Die unterschiedliche Behandlung lässt sich ferner nicht durch Gründe des Gesundheitsschutzes rechtfertigen. Im Hinblick auf den Schutz der Gesundheit des Gaststättenpersonals fehlt es an dem erforderlichen Zusammenhang zwischen diesem Regelungsziel und der vom Gesetzgeber gewählten Differenzierung zwischen Speise- und Schankgaststätten. Denn nicht nur in Speise-, sondern auch in Schankwirtschaften sind Angestellte beschäftigt, die die Gäste in dort zulässigen Raucherräumen bedienen und hierbei den Gefahren des Passivrauchens ausgesetzt werden.

Mit dem Schutz der Gesundheit der nichtrauchenden Gäste kann die Ungleichbehandlung ebenfalls nicht gerechtfertigt werden. Es wurden keine wissenschaftlichen Erkenntnisse vorgebracht, nach denen die Verbindung von Essen und Passivrauchen zu einer besonderen Schadstoffbelastung der nichtrauchenden Gäste führt. Aber selbst wenn man dies unterstellte, ergäbe sich daraus keine Rechtfertigung, den Betreibenden von Speisewirtschaften die für andere Gaststätten bestehende Möglichkeit vorzuenthalten, Raucherräume einzurichten. Die Gäste können sich zum Essen in Nichtraucherbereichen aufhalten, von denen nach den gesetzlichen Vorgaben die Raucherräume so wirksam abzutrennen sind, dass eine Gefährdung durch Passivrauchen ausgeschlossen wird.

Die Erwägung, dass durch den Ausschluss von Raucherräumen in Speisegaststätten eine größere Anzahl von Menschen den Gefahren des Passivrauchens entzogen wird, könnte ebenfalls keinen sachlich vertretbaren Differenzierungsgrund liefern. Denn das Regelungsziel, die Anzahl der Gelegenheiten zum Rauchen zu reduzieren, stünde in keinem inneren Zusammenhang mit der Unterscheidung von Speise- und Schankwirtschaften.

3. Die Ungleichbehandlung von Speise- und Schankgaststätten ließe sich auch nicht mit einer etwaigen unterschiedlichen wirtschaftlichen Betroffenheit durch ein Rauchverbot rechtfertigen. Insoweit fehlt es bereits an einer hinreichenden Tatsachengrundlage. Für den - allein von der Regelung betroffenen - Bereich derjenigen Gaststätten, die über die baulichen Möglichkeiten zur Einrichtung eines Nebenraums für rauchende Gäste verfügen, lässt sich nicht feststellen, dass reine Schankwirtschaften typischerweise in erheblichem Umfang wirtschaftlich stärker durch ein Rauchverbot belastet würden als Gaststätten, in denen auch zubereitete Speisen angeboten werden oder angeboten werden dürfen.

Die Annahme einer generell wirtschaftlich stärkeren Belastung der Schankwirtschaften im Vergleich zu den Speisewirtschaften als Differenzierungsgrund kann auch nicht auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juli 2008 gestützt werden, mit dem es Regelungen über Rauchverbote in Gaststätten für unvereinbar mit der Berufsausübungsfreiheit erklärt hatte, weil sie die getränkegeprägte Kleingastronomie unverhältnismäßig belasteten. Maßgebend für die Unterscheidung war ausdrücklich nicht die Ausrichtung solcher Eckkneipen bzw. Einraumgaststätten als Schwankwirtschaften, sondern dieser spezielle Gaststättentypus, der in besonderer Weise durch rauchende Stammgäste geprägt ist und für den daher bei einem Rauchverbot existentielle Umsatzeinbußen zu befürchten sind. Allein in diesem Zusammenhang wurde das unterschiedliche gastronomische Angebot als eines von mehreren Unterscheidungsmerkmalen herangezogen und bei der Schilderung der Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers wieder aufgenommen.

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