BVerfG: Erfolglose Verfassungsbeschwerden von ehemaligen T-Online-Aktionären gegen die gerichtlich festgesetzte Zuzahlung nach Verschmelzung auf die Deutsche Telekom AG
Rechtsträger von Unternehmen, so unter anderem Aktiengesellschaften, können durch Aufnahme miteinander verschmolzen werden. In dem Verschmelzungsvertrag haben die beteiligten Rechtsträger unter anderem das Umtauschverhältnis der Anteile des übertragenden in Anteile des übernehmenden Rechtsträgers festzulegen. Sind Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers der Auffassung, das Umtauschverhältnis der Anteile sei zu niedrig bemessen, können sie von dem übernehmenden Rechtsträger einen Ausgleich durch bare Zuzahlung verlangen und auf Antrag im gerichtlichen Spruchverfahren bestimmen lassen.
Die elf Beschwerdeführer waren Aktionäre der T-Online International AG („T-Online“), die nach ihrem Börsengang im Jahre 2000 Verluste erlitt. Während der Emissionskurs ihrer Aktien bei 27 Euro pro Stück lag, lag der Aktienkurs im Herbst 2004 bei unter 9 Euro. Erstmals im Geschäftsjahr 2004 erwirtschaftete das Unternehmen einen Überschuss. Im Jahre 2005 schlossen die T-Online und ihre Muttergesellschaft, die Deutsche Telekom AG („Telekom“), einen Verschmelzungsvertrag, nach dem die T-Online auf die Telekom verschmolzen werden sollte. Das Umtauschverhältnis wurde aufgrund von Unternehmensbewertungen nach der Ertragswertmethode festgelegt. Die Aktionäre der T-Online sollten für 25 eigene Aktien 13 Aktien der Telekom erhalten. Die Verschmelzung wurde in das Handelsregister eingetragen.
Die Beschwerdeführer wandten sich im Spruchverfahren gegen die Angemessenheit des Umtauschverhältnisses, woraufhin das Landgericht auf eine bare Zuzahlung von 1,15 Euro für jede Aktie der T-Online erkannte. Dabei legte es eine marktorientierte Ermittlung der Unternehmenswerte anhand der Börsenkurse zugrunde, nach der die Börsenwerte anhand der Durchschnittskurse drei Monate vor Bekanntgabe der Verschmelzung ermittelt werden. Das Oberlandesgericht be¬stätigte diese Entscheidung und wies die dagegen erhobenen sofortigen Beschwerden der Beschwerdeführer zurück.
Die Beschwerdeführer sehen sich durch die von ihnen angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts in ihrem Eigentumsgrundrecht (Art. 14 GG) verletzt, weil die ihnen zuerkannte Entschädigung nicht angemessen sei. Bei der Bewertung des übertragenen Unternehmens hätte anstelle des Börsenwerts der höhere Ertragswert herangezogen werden müssen. Zudem rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung der durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Vertragsfreiheit, weil nicht die von den Vertragspartnern des Verschmelzungsvertrags gewählte Bewertungsmethode übernommen worden sei.
Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, da die Annahmevoraussetzungen nicht vorliegen, die Beschwerdeführer insbesondere nicht in ihren Verfassungsrechten verletzt sind.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
1. Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG mit der Begründung beanstanden, die angegriffenen Entscheidungen setzten sich über den Willen der Verschmelzungspartner zur Wertermittlung nach der Ertragswertmethode hinweg, ist ihre Verfassungsbeschwerde schon nicht hinreichend begründet. Denn sie übergeht die naheliegende Frage, inwieweit die von den Fachgerichten auszulegenden und anzuwendenden Regeln des Umwandlungsgesetzes zur Überprüfung des Umtauschverhältnisses eine eigenständige Bewertung durch die Fachgerichte voraussetzen.
2. Eine Verletzung des Eigentumsgrundrechts, das auch das in der Aktie verkörperte Anteilseigentum schützt, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Die vom Bundesverfassungsgericht für die Fallge¬staltungen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages sowie einer Eingliederung entwickelten Grundsätze lassen sich auf den Fall einer Verschmelzung durch Aufnahme übertragen. Danach muss ein Minderheitsaktionär, der seine mitgliedschaftliche Stellung verliert oder hierin durch eine Strukturmaßnahme in relevantem Maße eingeschränkt wird, wirtschaftlich voll entschädigt werden. Die Entschädigung hat den „wahren“ Wert des Anteilseigentums widerzuspiegeln.
Das Grundgesetz gibt keine bestimmte Methode zur Unternehmensbewertung vor. Es ist verfassungsrechtlich zulässig, die Unternehmenswerte der an der Verschmelzung beteiligten Rechtsträger, die hier in bedeutenden Aktienindizes notiert waren, anhand von Börsenwerten zu schätzen.
Des Weiteren lässt sich weder dem Grundgesetz noch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entnehmen, dass die Fachgerichte zur Bestimmung des Unternehmenswerts stets sämtliche denkbaren Methoden heranzuziehen und bei der Bestimmung des Umtauschverhältnisses die den Anteilsinhabern des übertragenden Rechtsträgers günstigste zugrunde zu legen haben. Daher ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn sich wie hier ein Fachgericht mit sorgfältiger und ausführlicher Begründung für eine Bewertung der Unternehmen beider Rechtsträger anhand des Börsenwerts entscheidet, ohne sich dabei den Blick dafür zu verstellen, dass die Frage nach der vorzuziehenden Methode grundsätzlich von den jeweiligen Umständen des Falles abhängt. Ein solches Vorgehen ist nach Art. 14 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden, zumal es den zu anderen Strukturmaßnahmen entwickelten Grundsatz, der Börsenwert - hier: des übertragenden Rechtsträgers - bilde regelmäßig die Untergrenze einer zu gewährenden Abfindung, nicht in Frage stellt.
Die Aussagekraft und die Tauglichkeit der marktorientierten Bewertungsmethode im konkreten Fall unterliegen der fachrichterlichen Prüfung und Würdigung, die hier verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Soweit die Beschwerdeführer eine Manipulation des Börsenwerts der T-Online durch die übernehmende Telekom behaupten, fehlt es an der gebotenen Auseinandersetzung mit der Wertung des Oberlandesgerichts, das auf diese Frage ausdrücklich näher eingegangen ist und Anhaltspunkte für eine Manipulation nicht festgestellt hat.