BVerfG: Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt im Herrschaftsbereich des Teilnehmers gespeicherte Telekommunikationsverbindungsdaten
Bundesverfassungsgericht
Die Verfassungsbeschwerde einer Richterin, die sich gegen die Anordnung der Durchsuchung ihrer
Wohnung wegen des Verdachts der Verletzung von Dienstgeheimnissen gewandt hatte, war erfolgreich.
Im Rahmen der Durchsuchung war unter anderem auf die im Computer der Beschwerdeführerin gespeicherten
Daten sowie auf die Einzelverbindungsnachweise ihres Mobilfunktelefons Zugriff genommen
worden (vgl. Pressemitteilung Nr. 107/2005 vom 28. Oktober 2005). Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts
hob mit Urteil vom 2. März 2006 einstimmig die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts
auf. Zwar sei nicht das Fernmeldegeheimnis verletzt, da nach Abschluss des Übertragungsvorgangs
im Herrschaftsbereich des Kommunikationsteilnehmers gespeicherte Verbindungsdaten nicht vom
Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG umfasst würden. Die Daten seien jedoch durch das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung und gegebenenfalls durch das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung
geschützt. Danach darf auf die beim Kommunikationsteilnehmer gespeicherten Daten nur unter
bestimmten Voraussetzungen und insbesondere nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
zugegriffen werden. Im vorliegenden Fall sei die Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten verletzt, da
die Durchsuchungsanordnung des Landgerichts dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht hinreichend
Rechnung trage. Der fragliche Tatverdacht und die erheblichen Zweifel an der Geeignetheit der Durchsuchung
stünden außer Verhältnis zu dem Eingriff in die Grundrechte der Beschwerdeführerin.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
1. Die angegriffenen Beschlüsse greifen nicht in das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) ein.
Die gerichtlichen Anordnungen betrafen ausschließlich in der Privatsphäre der Beschwerdeführerin
gespeicherte Daten über einen bereits abgeschlossenen Kommunikationsvorgang. Die nach Abschluss
des Übertragungsvorgangs im Herrschaftsbereich des Kommunikationsteilnehmers gespeicherten
Verbindungsdaten werden nicht durch das Fernmeldegeheimnis, sondern durch das Recht
auf informationelle Selbstbestimmung und gegebenenfalls durch das Recht auf Unverletzlichkeit der
Wohnung geschützt. Der Schutz des Fernmeldegeheimnisses endet in dem Moment, in dem die
Nachricht bei dem Empfänger angekommen und der Übertragungsvorgang beendet ist. Während für
den Kommunikationsteilnehmer keine technischen Möglichkeiten vorhanden sind, das Entstehen und
die Speicherung von Verbindungsdaten durch den Nachrichtenmittler zu verhindern oder auch nur zu
beeinflussen, ändern sich die Einflussmöglichkeiten, wenn sich die Daten in der Sphäre des Teilnehmers
befinden. Der Nutzer kann sich bei den seiner Verfügungsmacht unterliegenden Geräten gegen
den unerwünschten Zugriff Dritter durch vielfältige technische Vorkehrungen schützen. Insoweit besteht
eine Vergleichbarkeit mit den sonst in der Privatsphäre des Nutzers gespeicherten Daten. Die
spezifischen Risiken eines der Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeit des Teilnehmers entzogenen
Übertragungsvorgangs, denen Art. 10 Abs. 1 GG begegnen will, bestehen im Herrschaftsbereich
des Kommunikationsteilnehmers nicht mehr.
2. Die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts verletzen die Beschwerdeführerin aber in ihrem
Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG)
sowie in ihrem Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG).
a) Ein Durchsuchungsbeschluss, der wie hier zielgerichtet und ausdrücklich die Sicherstellung
von Datenträgern bezweckt, auf denen Telekommunikationsverbindungsdaten gespeichert sein
sollen, greift in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Fernmeldegeheimnis und
Recht auf informationelle Selbstbestimmung stehen, soweit es den Schutz der Telekommunikationsverbindungsdaten
betrifft, in einem Ergänzungsverhältnis. Greift Art. 10 GG nicht ein, werden
die in der Herrschaftssphäre des Betroffenen gespeicherten personenbezogenen Verbindungsdaten durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit
Art. 1 Abs. 1 GG geschützt. Damit wird der besonderen Schutzwürdigkeit der Telekommunikationsumstände
Rechnung getragen und die Vertraulichkeit räumlich distanzierter Kommunikation
auch nach Beendigung des Übertragungsvorgangs gewahrt.
Beschränkungen dieses Rechts bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, die dem rechtsstaatlichen
Gebot der Normenklarheit entspricht. §§ 94 ff. StPO und insbesondere §§ 102 ff. StPO entsprechen
den verfassungsrechtlichen Vorgaben.
Die Möglichkeit, auf der Grundlage der §§ 94 ff. und §§ 102 ff. StPO auf die im Herrschaftsbereich
des Betroffenen gespeicherten Verbindungsdaten zuzugreifen, ist für eine wirksame Strafverfolgung
nicht nur geeignet und erforderlich, sondern auch angemessen. Insbesondere fordern
die besondere Schutzwürdigkeit der Verbindungsdaten und das darauf bezogene Ergänzungsverhältnis
zu Art. 10 GG nicht ein Schutzniveau, das einen Eingriff in das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung nur bei der Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung zuließe.
Soweit das Bundesverfassungsgericht bei Maßnahmen, die auf Erlangung der bei einem Telekommunikationsmittler
gespeicherten Verbindungsdaten gerichtet waren, eine Beschränkung auf
Ermittlungen in Bezug auf Straftaten von besonderer Bedeutung für notwendig gehalten hat, kann
dies auf die bei dem Betroffenen gespeicherten Verbindungsdaten nicht ohne Weiteres übertragen
werden. Beim Zugriff auf die Verbindungsdaten, die in der Sphäre des Betroffenen gespeichert
sind, fehlt es an der Heimlichkeit der Maßnahme. Eine offene Maßnahme bietet dem Betroffenen
grundsätzlich die Möglichkeit, bereits der Durchführung der Maßnahme entgegenzutreten,
wenn es an den gesetzlichen Voraussetzungen fehlt, oder aber zumindest die Einhaltung der
im Durchsuchungsbeschluss gezogenen Grenzen zu überwachen.
b) Der erhebliche Eingriff sowohl in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als auch in die
Unverletzlichkeit der Wohnung bedarf jeweils im konkreten Fall einer Rechtfertigung nach dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Beim Zugriff auf die bei dem Betroffenen gespeicherten
Verbindungsdaten ist auf deren erhöhte Schutzwürdigkeit Rücksicht zu nehmen. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung
muss dem Umstand Rechnung tragen, dass es sich um Daten handelt, die außerhalb der Sphäre des Betroffenen unter dem besonderen Schutz des Fernmeldegeheimnisses
stehen und denen im Herrschaftsbereich des Betroffenen ein ergänzender Schutz durch das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung zukommt.
Im Einzelfall können die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat, eine geringe Beweisbedeutung
der zu beschlagnahmenden Verbindungsdaten sowie die Vagheit des Auffindeverdachts der
Maßnahme entgegenstehen. Dem Schutz der Verbindungsdaten muss bereits in der Durchsuchungsanordnung,
soweit die konkreten Umstände dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks
erlauben, durch Vorgaben zur Beschränkung des Beweismaterials auf den tatsächlich erforderlichen
Umfang Rechnung getragen werden. Dabei ist vor allem an die zeitliche Eingrenzung
der zu suchenden Verbindungsdaten zu denken oder an die Beschränkung auf bestimmte Kommunikationsmittel,
wenn die Auffindung verfahrensrelevanter Daten in anderen Endgeräten des
Betroffenen von vornherein nicht in Betracht kommt.
3. Die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts tragen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht hinreichend
Rechnung.
Der gegen die Beschwerdeführerin bestehende Tatverdacht war allenfalls als äußerst gering zu bewerten
und vermochte keinesfalls die vorgenommenen schwerwiegenden Eingriffe in die Grundrechte
der Beschwerdeführerin zu rechtfertigen. Das geringe Gewicht des Tatverdachts folgt bereits aus der
Vielzahl von Personen, die für die fragliche Weitergabe der Informationen in Betracht kamen. Einige
von ihnen wurden allein aufgrund eigener Bekundungen als Verdächtige ausgeschlossen, andere
wurden überhaupt nicht in die Betrachtung einbezogen. Auch die Geeignetheit der Durchsuchung
zum Auffinden von Beweismitteln war von vorneherein zweifelhaft. Im Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung
waren bereits fast fünf Monate seit der mutmaßlichen Tat vergangen. Der fragliche
Tatverdacht und die erheblichen Zweifel an der Geeignetheit der Durchsuchung stehen außer Verhältnis
zu dem Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung und das Recht der Beschwerdeführerin
auf informationelle Selbstbestimmung. Das Landgericht hätte von Verfassungs wegen von der Anordnung
absehen müssen.