BVerfG: Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt im Herrschaftsbereich des Teilnehmers gespeicherte Telekommunikationsverbindungsdaten

02.03.2006

Bundesverfassungsgericht

Die Verfassungsbeschwerde einer Richterin, die sich gegen die Anordnung der Durchsuchung ihrer

Wohnung wegen des Verdachts der Verletzung von Dienstgeheimnissen gewandt hatte, war erfolgreich.

Im Rahmen der Durchsuchung war unter anderem auf die im Computer der Beschwerdeführerin gespeicherten

Daten sowie auf die Einzelverbindungsnachweise ihres Mobilfunktelefons Zugriff genommen

worden (vgl. Pressemitteilung Nr. 107/2005 vom 28. Oktober 2005). Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts

hob mit Urteil vom 2. März 2006 einstimmig die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts

auf. Zwar sei nicht das Fernmeldegeheimnis verletzt, da nach Abschluss des Übertragungsvorgangs

im Herrschaftsbereich des Kommunikationsteilnehmers gespeicherte Verbindungsdaten nicht vom

Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG umfasst würden. Die Daten seien jedoch durch das Recht auf

informationelle Selbstbestimmung und gegebenenfalls durch das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung

geschützt. Danach darf auf die beim Kommunikationsteilnehmer gespeicherten Daten nur unter

bestimmten Voraussetzungen und insbesondere nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes

zugegriffen werden. Im vorliegenden Fall sei die Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten verletzt, da

die Durchsuchungsanordnung des Landgerichts dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht hinreichend

Rechnung trage. Der fragliche Tatverdacht und die erheblichen Zweifel an der Geeignetheit der Durchsuchung

stünden außer Verhältnis zu dem Eingriff in die Grundrechte der Beschwerdeführerin.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

1. Die angegriffenen Beschlüsse greifen nicht in das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) ein.

Die gerichtlichen Anordnungen betrafen ausschließlich in der Privatsphäre der Beschwerdeführerin

gespeicherte Daten über einen bereits abgeschlossenen Kommunikationsvorgang. Die nach Abschluss

des Übertragungsvorgangs im Herrschaftsbereich des Kommunikationsteilnehmers gespeicherten

Verbindungsdaten werden nicht durch das Fernmeldegeheimnis, sondern durch das Recht

auf informationelle Selbstbestimmung und gegebenenfalls durch das Recht auf Unverletzlichkeit der

Wohnung geschützt. Der Schutz des Fernmeldegeheimnisses endet in dem Moment, in dem die

Nachricht bei dem Empfänger angekommen und der Übertragungsvorgang beendet ist. Während für

den Kommunikationsteilnehmer keine technischen Möglichkeiten vorhanden sind, das Entstehen und

die Speicherung von Verbindungsdaten durch den Nachrichtenmittler zu verhindern oder auch nur zu

beeinflussen, ändern sich die Einflussmöglichkeiten, wenn sich die Daten in der Sphäre des Teilnehmers

befinden. Der Nutzer kann sich bei den seiner Verfügungsmacht unterliegenden Geräten gegen

den unerwünschten Zugriff Dritter durch vielfältige technische Vorkehrungen schützen. Insoweit besteht

eine Vergleichbarkeit mit den sonst in der Privatsphäre des Nutzers gespeicherten Daten. Die

spezifischen Risiken eines der Kontroll- und Einwirkungsmöglichkeit des Teilnehmers entzogenen

Übertragungsvorgangs, denen Art. 10 Abs. 1 GG begegnen will, bestehen im Herrschaftsbereich

des Kommunikationsteilnehmers nicht mehr.

2. Die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts verletzen die Beschwerdeführerin aber in ihrem

Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG)

sowie in ihrem Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG).

a) Ein Durchsuchungsbeschluss, der – wie hier – zielgerichtet und ausdrücklich die Sicherstellung

von Datenträgern bezweckt, auf denen Telekommunikationsverbindungsdaten gespeichert sein

sollen, greift in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Fernmeldegeheimnis und

Recht auf informationelle Selbstbestimmung stehen, soweit es den Schutz der Telekommunikationsverbindungsdaten

betrifft, in einem Ergänzungsverhältnis. Greift Art. 10 GG nicht ein, werden

die in der Herrschaftssphäre des Betroffenen gespeicherten personenbezogenen Verbindungsdaten durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit

Art. 1 Abs. 1 GG geschützt. Damit wird der besonderen Schutzwürdigkeit der Telekommunikationsumstände

Rechnung getragen und die Vertraulichkeit räumlich distanzierter Kommunikation

auch nach Beendigung des Übertragungsvorgangs gewahrt.

Beschränkungen dieses Rechts bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, die dem rechtsstaatlichen

Gebot der Normenklarheit entspricht. §§ 94 ff. StPO und insbesondere §§ 102 ff. StPO entsprechen

den verfassungsrechtlichen Vorgaben.

Die Möglichkeit, auf der Grundlage der §§ 94 ff. und §§ 102 ff. StPO auf die im Herrschaftsbereich

des Betroffenen gespeicherten Verbindungsdaten zuzugreifen, ist für eine wirksame Strafverfolgung

nicht nur geeignet und erforderlich, sondern auch angemessen. Insbesondere fordern

die besondere Schutzwürdigkeit der Verbindungsdaten und das darauf bezogene Ergänzungsverhältnis

zu Art. 10 GG nicht ein Schutzniveau, das einen Eingriff in das Recht auf informationelle

Selbstbestimmung nur bei der Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung zuließe.

Soweit das Bundesverfassungsgericht bei Maßnahmen, die auf Erlangung der bei einem Telekommunikationsmittler

gespeicherten Verbindungsdaten gerichtet waren, eine Beschränkung auf

Ermittlungen in Bezug auf Straftaten von besonderer Bedeutung für notwendig gehalten hat, kann

dies auf die bei dem Betroffenen gespeicherten Verbindungsdaten nicht ohne Weiteres übertragen

werden. Beim Zugriff auf die Verbindungsdaten, die in der Sphäre des Betroffenen gespeichert

sind, fehlt es an der Heimlichkeit der Maßnahme. Eine offene Maßnahme bietet dem Betroffenen

grundsätzlich die Möglichkeit, bereits der Durchführung der Maßnahme entgegenzutreten,

wenn es an den gesetzlichen Voraussetzungen fehlt, oder aber zumindest die Einhaltung der

im Durchsuchungsbeschluss gezogenen Grenzen zu überwachen.

b) Der erhebliche Eingriff sowohl in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als auch in die

Unverletzlichkeit der Wohnung bedarf jeweils im konkreten Fall einer Rechtfertigung nach dem

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Beim Zugriff auf die bei dem Betroffenen gespeicherten

Verbindungsdaten ist auf deren erhöhte Schutzwürdigkeit Rücksicht zu nehmen. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung

muss dem Umstand Rechnung tragen, dass es sich um Daten handelt, die außerhalb der Sphäre des Betroffenen unter dem besonderen Schutz des Fernmeldegeheimnisses

stehen und denen im Herrschaftsbereich des Betroffenen ein ergänzender Schutz durch das

Recht auf informationelle Selbstbestimmung zukommt.

Im Einzelfall können die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat, eine geringe Beweisbedeutung

der zu beschlagnahmenden Verbindungsdaten sowie die Vagheit des Auffindeverdachts der

Maßnahme entgegenstehen. Dem Schutz der Verbindungsdaten muss bereits in der Durchsuchungsanordnung,

soweit die konkreten Umstände dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks

erlauben, durch Vorgaben zur Beschränkung des Beweismaterials auf den tatsächlich erforderlichen

Umfang Rechnung getragen werden. Dabei ist vor allem an die zeitliche Eingrenzung

der zu suchenden Verbindungsdaten zu denken oder an die Beschränkung auf bestimmte Kommunikationsmittel,

wenn die Auffindung verfahrensrelevanter Daten in anderen Endgeräten des

Betroffenen von vornherein nicht in Betracht kommt.

3. Die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts tragen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht hinreichend

Rechnung.

Der gegen die Beschwerdeführerin bestehende Tatverdacht war allenfalls als äußerst gering zu bewerten

und vermochte keinesfalls die vorgenommenen schwerwiegenden Eingriffe in die Grundrechte

der Beschwerdeführerin zu rechtfertigen. Das geringe Gewicht des Tatverdachts folgt bereits aus der

Vielzahl von Personen, die für die fragliche Weitergabe der Informationen in Betracht kamen. Einige

von ihnen wurden allein aufgrund eigener Bekundungen als Verdächtige ausgeschlossen, andere

wurden überhaupt nicht in die Betrachtung einbezogen. Auch die Geeignetheit der Durchsuchung

zum Auffinden von Beweismitteln war von vorneherein zweifelhaft. Im Zeitpunkt der Durchsuchungsanordnung

waren bereits fast fünf Monate seit der mutmaßlichen Tat vergangen. Der fragliche

Tatverdacht und die erheblichen Zweifel an der Geeignetheit der Durchsuchung stehen außer Verhältnis

zu dem Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung und das Recht der Beschwerdeführerin

auf informationelle Selbstbestimmung. Das Landgericht hätte von Verfassungs wegen von der Anordnung

absehen müssen.

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