BVerfG: Richtervorlagen zur Kostendämpfungspauschale in der Beihilfeverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen unzulässig

17.10.2005

Bundesverfassungsgericht

Die Vorlagen des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen zur Frage, ob die in der Beihilfeverordnung des Landes Nordrhein-Westfalen geregelte Kostendämpfungspauschale (§ 12a NW BVO) mit dem Grundgesetz vereinbar ist, sind unzulässig. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gem. Art. 100 Abs. 1 GG ist nur dann einzuholen, wenn das Gericht ein formelles Gesetz für verfassungswidrig hält, während die verfassungsrechtliche Nachprüfung von Rechtsverordnungen dem erkennenden Gericht obliegt. Über die Vereinbarkeit von § 12a NW BVO mit höherrangigem (Bundes-) Recht kann das Verwaltungsgericht selbst entscheiden; denn die Norm ist als im parlamentarischen Verfahren geschaffenes Verordnungsrecht zu qualifizieren. Die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts ist deshalb unzulässig. Dies entschied der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts.

Rechtlicher Hintergrund und Sachverhalt:

Durch das Haushaltssicherungsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen vom 17. Dezember 1998 wurde die Landesbeihilfenverordnung um einen § 12a ergänzt. Danach muss jeder beihilfeberechtigte Landesbeamte je Kalenderjahr einen bestimmten Betrag seiner an sich beihilfefähigen krankheitsbedingten Ausgaben selbst tragen. Die Höhe dieses Betrages ist unter anderem nach Besoldungsgruppen gestaffelt.

Die Kläger der vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen anhängigen Ausgangsverfahren sind Beamte, Richter und Richter im Ruhestand im Dienste des Landes Nordrhein-Westfalen. Sie beantragten Anfang 1999 jeweils Beihilfe zu Kosten für in Anspruch genommene ärztliche Leistungen. Der Dienstherr erkannte die Beträge im Grundsatz ganz oder teilweise als beihilfefähig an, zog aber die Kostendämpfungspauschale in der jeweils einschlägigen Höhe ab. Dagegen richten sich die vor dem Verwaltungsgericht erhobenen Klagen. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen setzte die Verfahren aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vor, ob § 12a NW BVO mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das Verwaltungsgericht hält die Regelung unter anderem deshalb für verfassungswidrig, weil den Beihilfeberechtigten unter Verstoß gegen die Alimentationspflicht nicht versicherbare Selbstbehalte auferlegt würden und die Regelung mit den Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes unvereinbar sei, da sie in das bundesrechtlich abschließend geregelte Recht der Beamtenbesoldung eingreife.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Vorlagen für unzulässig erklärt.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Das Verwaltungsgericht kann über die Vereinbarkeit des § 12a NW BVO mit höherrangigem (Bundes-) Recht selbst entscheiden, da die Norm nicht als formelles Gesetz, sondern als im parlamentarischen Verfahren geschaffenes Verordnungsrecht zu qualifizieren ist.

Werden – wie hier durch das Haushaltssicherungsgesetz 1998 – Verordnungen durch förmliche Gesetze geändert oder ergänzt, so könnte dies zu einem missverständlichen, irreführenden Normgebilde führen, dessen Bezeichnung (Verordnung) zu ihrem tatsächlichen Rang (förmliches Gesetz) und den davon abhängigen Rechtsfolgen in Widerspruch stünde. Der Rechtscharakter der einzelnen Normteile wäre nur noch mit Rückgriff auf die Gesetzgebungsmaterialien oder auf die verkündeten Fassungen von Änderungsnormen erkennbar. Ein solcher Rechtszustand wäre mit rechtsstaatlichen Grundsätzen, namentlich der Normenklarheit und Normenwahrheit, nicht mehr vereinbar. Eine Norm darf die von ihr Betroffenen nicht im Unklaren darüber lassen, welchen Rang sie hat und wie gegen sie effektiver Rechtsschutz zu suchen ist. Die aufgezeigten Schwierigkeiten lassen sich nur dadurch vermeiden, dass einerseits der geänderten Verordnung ein einheitlicher Rang zugewiesen und andererseits sichergestellt wird, dass der Gesetzgeber von dieser Praxis nur in den generellen Grenzen einer Verordnungsermächtigung Gebrauch macht. Ändert das Parlament wegen des sachlichen Zusammenhangs eines Reformvorhabens bestehende Verordnungen oder fügt es in diese neue Regelungen ein, so ist das dadurch entstandene Normgebilde aus Gründen der Normenklarheit insgesamt als Verordnung zu qualifizieren (vgl. schon Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. September 2005 – 2 BvF 2/03; Pressemitteilung Nr. 99/2005 vom 13. Oktober 2005).

Die Verordnung und alle ihre Teile können durch jedes damit befasste Gericht umfassend überprüft werden. Art. 100 Abs. 1 GG ist insoweit nicht anwendbar, eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht ist unzulässig. Der (Landes-)Gesetzgeber wird dadurch nicht über Gebühr belastet. Will er den Schutz des Art. 100 Abs. 1 GG in Anspruch nehmen und verhindern, dass sich einzelne Gerichte über seinen Willen hinwegsetzen, so steht es ihm frei, ein formelles Gesetz zu erlassen. Andernfalls kann er den Schutz des Art. 100 Abs. 1 GG nicht beanspruchen und muss möglicherweise eine (vorübergehende) Rechtszersplitterung in Kauf nehmen. Er ist aber auch dann nicht schutzlos gestellt. Denn jedenfalls kann die Landesregierung für den Fall, dass die Verwaltungsgerichte entsprechende Verordnungsbestimmungen unangewendet lassen, einen Normenkontrollantrag beim Bundesverfassungsgericht stellen.

Beschluss vom 27. September 2005 – 2 BvL 11/02 u.a. –

Karlsruhe, den 14. Oktober 2005

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