BVerfG: Unzulässige Richtervorlage zur sogenannten Gutscheinlösung während der Corona-Pandemie
Pressemitteilung Nr. 112/2023 vom 5. Dezember 2023
Beschluss vom 07. November 2023
2 BvL 12/20
Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Unzulässigkeit einer Richtervorlage zu Art. 240 § 5 Abs. 1 Satz 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) festgestellt. Diese Vorschrift erlaubte es Veranstaltern von Freizeitveranstaltungen, anstelle einer Erstattung des Eintrittspreises einen Gutschein auszugeben, wenn Veranstaltungen aufgrund der Corona-Pandemie ausfielen (sogenannte Gutscheinlösung).
Der Kläger des Ausgangsverfahrens macht gegenüber der beklagten Veranstalterin Rückzahlungsansprüche für zwei von ihm im Januar 2020 zu einem Preis von 510 Euro erworbene Eintrittskarten für ein im Juni 2020 geplantes Konzert geltend, das wegen der Corona-Pandemie nicht stattfinden konnte. Die Veranstalterin hatte dem Kläger vorgerichtlich – während des laufenden Gesetzgebungsverfahrens, aber vor Inkrafttreten des Art. 240 EGBGB – statt einer Kaufpreisrückerstattung lediglich einen Ersatztermin oder einen Gutschein angeboten. Der Gesetzentwurf zu Art 240 EGBGB datiert vom 21. April 2020 und trat im Wesentlichen unverändert am 20. Mai 2020 in Kraft. Im September 2022 trat die Vorschrift wieder außer Kraft.
Die Richtervorlage ist unzulässig. Das Amtsgericht begründet nicht ausreichend, dass Art. 240 § 5 Abs. 1 Satz 1 EGBGB unverhältnismäßig in die von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Eigentumsgarantie eingreift. Auch legt es nicht hinreichend dar, dass die Vorschrift gegen den Vertrauensschutzgrundsatz verstößt.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
1. Es fehlt an einer hinreichenden Darlegung, dass der mit der Gutscheinlösung verbundene Eingriff in das Eigentumsrecht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG unverhältnismäßig ist.
a) Das vorlegende Gericht hat nicht genügend begründet, warum die Regelung des Art. 240 § 5 Abs. 1 Satz 1 EGBGB nicht erforderlich sein soll.
aa) Zum einen setzt es sich nicht mit dem dem parlamentarischen Gesetzgeber insoweit zukommenden Einschätzungsspielraum und dessen Grenzen auseinander. Dementsprechend geht es auch nicht darauf ein, wo die Grenze dieses Spielraums bei der vorliegend einschlägigen Regelungsmaterie verläuft und ob und gegebenenfalls warum die Einschätzung des Gesetzgebers, die Gutscheinlösung sei zur Vermeidung von Insolvenzen der Veranstalter und zur Verhinderung der nachteiligen Folgen für die Gesamtwirtschaft, das kulturelle Angebot sowie die Ticketinhaber erforderlich, den dem Gesetzgeber zustehenden Spielraum überschreitet.
bb) Auch die Ausführungen des Vorlagebeschlusses zu den angeblich milderen, gleich wirksamen Mitteln, nämlich einer finanziellen Absicherung durch den Staat, sind unzureichend. Insbesondere setzt sich der Vorlagebeschluss insoweit nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auseinander, wonach die Erforderlichkeit einer Regelung nicht schon deshalb entfällt, weil eine Finanzierung der Aufgabe aus Steuermitteln für den Betroffenen ein milderes Mittel wäre. Mildere Mittel sind nicht solche, die eine Kostenlast lediglich verschieben.
b) Der Vorlagebeschluss genügt auch insoweit nicht den Begründungserfordernissen, als er die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne verneint.
aa) Er identifiziert die einander gegenüberstehenden, miteinander abzuwägenden Interessen nicht vollständig. Insbesondere nimmt der Vorlagebeschluss nicht hinreichend in den Blick, dass die Gutscheinlösung nach dem Willen des Gesetzgebers gerade auch den Interessen der Ticketinhaber selbst dienen soll. Ein Rückerstattungsanspruch wäre ohne die Gutscheinlösung im Falle finanzieller Probleme der Veranstalter häufig nur schwer oder infolge einer Insolvenz des Veranstalters gar nicht durchsetzbar.
bb) Auch die Ausführungen zu Intensität, Schwere und Tragweite der Beeinträchtigungen der betroffenen Interessen sind unzureichend.
Hinsichtlich der mit der Regelung für Ticketinhaber einhergehenden Belastungen wird im Vorlagebeschluss nicht in den Blick genommen, dass der vom betroffenen Ticketinhaber im Einzelfall vorausgezahlte und von Art. 240 § 5 EGBGB erfasste Betrag der Höhe nach typischerweise überschaubar ist.
Im Vorlagebeschluss bleibt die gesetzgeberische Prognose unberücksichtigt, ohne die vom Vorlagegericht für verfassungswidrig erachtete Regelung würde eine Vielzahl von Ticketinhabern eine (sofortige) Rückerstattung verlangen. Gerade die Stundung vieler kleinerer Forderungen zum Zwecke der Verhinderung von auf der Seite der Veranstalter durch die Kumulation einer Vielzahl solcher Forderungen drohenden schwerwiegenden, potentiell existenzgefährdenden wirtschaftlichen Beeinträchtigungen macht aber den Kern der vom Gesetzgeber vorgenommenen Abwägung aus.
cc) Weiter setzt sich das vorlegende Gericht nicht hinreichend mit dem Gestaltungsspielraum, der dem Gesetzgeber auch bei der Abwägung der schutzwürdigen Interessen des Eigentümers und der Belange des Gemeinwohls zukommt, und dessen Weite beziehungsweise Grenzen auseinander. Unerörtert bleibt, dass der Gesetzgeber insofern die durch die Corona-Pandemie und die hiermit verbundenen Maßnahmen wie etwa Veranstaltungsverbote hervorgerufenen negativen wirtschaftlichen Folgen für die Veranstalter samt Folgeproblemen für die Gesamtwirtschaft, das kulturelle Angebot in Deutschland sowie die Ticketinhaber berücksichtigt hat.
2. Hinsichtlich eines Verstoßes gegen den Vertrauensschutzgrundsatz hat das vorlegende Gericht seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des Art. 240 § 5 Abs. 1 Satz 1 EGBGB ebenfalls nicht hinreichend dargelegt. Hierbei hätte sich insbesondere eine Auseinandersetzung mit der in der Literatur vertretenen Ansicht aufgedrängt, wonach eine – im Vorlagebeschluss angenommene – echte Rückwirkung etwa dann in Betracht kommt, wenn der Gesetzgeber nicht früh genug auf eine sich schnell entwickelnde Sachlage reagieren kann und vielmehr „nachziehen“ muss.