BVerfG: Zur Berechnung des Rückkaufswertes einer kapitalbildenden Lebensversicherung bei vorzeitiger Kündigung

08.03.2006

Bundesverfassungsgericht

Die Verfassungsbeschwerde eines Versicherungsnehmers, der im Jahr 1992 seine kapitalbildende Lebensversicherung

vorzeitig gekündigt hatte, war jedenfalls im Kern erfolgreich. Dieser hatte sich gegen

die im Wege der „Zillmerung“ erfolgte Berechnung des Rückkaufswertes seiner Lebensversicherung

gewandt. Lebensversicherungen mit „gezillmerter“ Prämie weisen die Grundstruktur auf, dass dem Versicherungsnehmer

die Vertragsabschlusskosten (insbesondere Vermittlungsprovision) nicht gesondert in

Rechnung gestellt werden, sondern mit der insgesamt zu zahlenden Prämie verrechnet werden. Die Prämienhöhe

wird so berechnet, dass sie über die Gesamtlaufzeit des Vertrags gleich bleibt und dass Prämienzahlungen

zunächst dazu verwendet werden, die Abschlusskosten zu decken. Dies führt dazu, dass

der Rückkaufswert des Lebensversicherungsvertrags in den ersten Jahren sehr niedrig ist oder sogar

entfällt. Die Rechtslage zur Zeit des hier streitgegenständlichen Vertragsschlusses war zudem dadurch

gekennzeichnet, dass die genaue Berechnung der Zillmerung in dem den Versicherungsnehmern nicht

bekannten von der Aufsichtsbehörde genehmigten Geschäftsplan des Versicherungsunternehmens dargestellt

worden war. Für nach dem 28. Juli 1994 abgeschlossene Lebensversicherungsverträge gilt eine

veränderte Rechtslage. Allerdings hat die Neuregelung des Versicherungsrechts im Jahr 1994 die Anwendbarkeit

der vorliegend angegriffenen Berechnung des Rückkaufswertes nach der Methode Zillmer

nicht beseitigt.

Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts stellte fest, dass der verfassungsrechtliche

Schutzauftrag Vorkehrungen dafür erfordere, dass die Versicherungsnehmer einer kapitalbildenden

Lebensversicherung erkennen können, in welcher Höhe Abschlusskosten mit der Prämie verrechnet

werden dürfen und dass sie bei einer vorzeitigen Beendigung des Lebensversicherungsverhältnisses eine

Rückvergütung erhalten, deren Wert auch unter Berücksichtigung in Rechnung gestellter Abschlusskosten

in einem angemessenen Verhältnis zu den bis zu diesem Zeitpunkt gezahlten Versicherungsprämien

steht. Die Kammer hat die Verfassungsbeschwerde gleichwohl nicht zur Entscheidung angenommen, da

ihr aufgrund der vorangegangenen Urteile des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juli

2005 (Pressemitteilungen Nr. 66 und 67/2005 vom 26. Juli 2005) keine grundsätzliche Bedeutung mehr

zukomme.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

1. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Urteilen vom 26. Juli 2005 verfassungsrechtliche

Schutzdefizite im Recht der kapitalbildenden Lebensversicherung mit Überschussbeteiligung festgestellt.

Entsprechende Schutzdefizite sind auch bei der Verrechnung von Abschlusskosten für den Fall

vorzeitiger Vertragsauslösung nach dem seinerzeit maßgeblichen Recht festzustellen:

Die in Art. 2 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG enthaltenen objektivrechtlichen Schutzaufträge erfordern

Vorkehrungen dafür, dass die Versicherungsnehmer über effektive Möglichkeiten zur Durchsetzung

ihrer Interessen verfügen. Bleiben den Versicherungsnehmern Art und Höhe der zu verrechnenden

Abschlusskosten und der Verrechnungsmodus unbekannt, ist ihnen eine eigenbestimmte Entscheidung

darüber unmöglich, ob sie einen Vertrag zu den konkreten Konditionen abschließen wollen.

Darf – wie es der seinerzeitigen Rechtslage entsprach – für die Berechnung auf den den Versicherungsnehmern

nicht bekannten Geschäftsplan verwiesen werden, fehlt es auch insofern an der für

eine autonome Entscheidung unabdingbaren Transparenz.

Darüber hinaus muss gesichert werden, dass die Versicherungsnehmer bei einer vorzeitigen Beendigung

des Lebensversicherungsverhältnisses eine Rückvergütung erhalten, deren Wert auch unter Berücksichtigung

in Rechnung gestellter Abschlusskosten sowie des Risiko- und Verwaltungskostenanteils

in einem angemessenen Verhältnis zu den bis zu diesem Zeitpunkt gezahlten Versicherungsprämien

steht. Die mit dem Abschluss eines Versicherungsvertrages verfolgte Zielsetzung der Vermögensbildung

darf nicht dadurch teilweise vereitelt werden, dass hohe Abschlusskosten, deren konkrete

Berechnung zudem den Versicherungsnehmern nicht bekannt ist und deren Höhe von ihnen

auch nicht beeinflusst werden kann, in den ersten Jahren mit der Prämie so verrechnet werden können,

dass der Rückkaufswert in dieser Zeit unverhältnismäßig gering ist oder gar gegen Null tendiert.

Fehlen Möglichkeiten der Versicherungsnehmer, ihre Belange insoweit selbst effektiv zu verfolgen,

trifft den Gesetzgeber ein verfassungsrechtlicher Schutzauftrag. Diesem Auftrag ist er nicht in ausreichendem

Maße nachgekommen. Weder zivilrechtlich noch mit Hilfe des Aufsichtsrechts konnte der

Versicherungsnehmer nach dem für den Versicherungsvertrag des Beschwerdeführers maßgebenden

Recht eine angemessene Berücksichtigung seiner Belange erwirken. Die Zivilgerichte verwiesen auf

die öffentlichrechtliche Genehmigung des Geschäftsplans und nahmen insoweit eine eigene inhaltliche

Prüfung nicht vor. Eine Kompensation dieses Rechtsschutzdefizits durch das Versicherungsaufsichtsrecht

fand nicht statt. Die Aufsichtsbehörde beschränkte sich grundsätzlich auf eine – nicht auf das

einzelne Versicherungsvertragsverhältnis bezogene – Missbrauchsaufsicht.

2. Für die aktuell geltende Rechtslage hat sich allerdings dadurch eine Änderung ergeben, dass der

Bundesgerichtshof mit Urteil vom 12. Oktober 2005 im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung

Grenzen der Verrechung der Abschlusskosten bei vorzeitiger Vertragsauflösung festgelegt hat. Er hat

damit eine zivilrechtliche Lösung bereitgestellt, die auch Rechtsschutz im Rahmen der Zivilgerichtsbarkeit

ermöglicht. Nach dieser Rechtslage verbleibt es zwar grundsätzlich bei der Verrechnung der

geleisteten einmaligen Abschlusskosten nach dem Zillmerungsverfahren. Für den Fall der vorzeitigen

Beendigung der Beitragszahlung ist jedenfalls die versprochene Leistung geschuldet; der vereinbarte

Beitrag der beitragsfreien Versicherungssumme und des Rückkaufswertes darf aber einen vom Bundesgerichtshof

näher umschriebenen Mindestbetrag nicht unterschreiten.

Aufgrund dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sowie aufgrund der Urteile des Ersten Senats

des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juli 2005 haben die in der Verfassungsbeschwerde

aufgeworfenen Rechtsfragen keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung mehr. Das Bundesverfassungsgericht

hatte dem Gesetzgeber aufgegeben, bis zum 31. Dezember 2007 eine mit den

grundrechtlichen Vorgaben vereinbare Regelung des Rechts der Lebensversicherung zu treffen. Es

ist zu erwarten, dass die vom Gesetzgeber zu schaffende Lösung auch Sicherungen für größere Transparenz enthalten und Auswirkungen auf die Be- und Verrechnung von Abschlusskosten haben

wird.

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