Entscheidung des Großen Senates für Zivilsachen: Haftung für unberechtigte Verwarnungen aus Immaterialgüterrechten
Bundesgerichtshof
Der Große Senat für Zivilsachen des Bundesgerichtshofes hatte aufgrund einer
Vor-lage des I. Zivilsenates über die Frage zu entscheiden, ob die
unberechtigte Verwar-nung aus Immaterialgüterrechten wie einem Kennzeichen-,
einem Patent-, Gebrauchsmuster- oder Geschmacksmusterrecht
haftungsrechtliche Folgen für den Verwarner auslösen kann.
In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes war anerkannt, dass die
Verwar-nung aus einem solchen Recht dann, wenn es nicht bestand oder keine
hinreichen-de Grundlage für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch
bildete, zu Ersatz-pflichten des Verwarners führen kann, wenn er vor der
Verwarnung Bestand und Umfang seines Rechtes nicht mit der von ihm zu
erwartenden Sorgfalt geprüft hatte. Art und Umfang der Sorgfaltspflichten
werden nach dieser Rechtsprechung danach bestimmt, in welchem Umfang der
Verwarner auf den Bestand und die Tragfähigkeit seines Schutzrechtes
vertrauen durfte. So darf er bei einem von der Prüfung durch eine Behörde
abhängigen Recht wie dem Patent grundsätzlich auf dessen Bestand vertrauen;
eine weitere Prüfung wird von ihm nur bei Hinzutreten weiterer Umstände wie
einer anhängigen Nichtigkeitsklage oder Anhaltspunkten verlangt, die Anlass
zu Zweifeln an der Aufrechterhaltung des Rechts geben. Eine Verwarnung aus
einem ungeprüften Recht kann demgegenüber zu weiterer Prüfung Anlass geben.
Von die-sen Grundsätzen war im wesentlichen bereits das Reichsgericht
ausgegangen. Sie finden ihre Rechtfertigung in den weit reichenden
wirtschaftlichen Folgen, die eine solche Verwarnung aus
Immaterialgüterrechten auslösen kann.
Verwarnungen aus Immaterialgüterrechten bilden für den Rechtsinhaber eine
einfa-che Möglichkeit, sein Recht über dessen rechtlichen Rahmen hinaus
faktisch aus-zuweiten, weil der Empfänger einer solchen Verwarnung vielfach
deren Berechtigung kurzfristig nicht überprüfen kann. Insbesondere wenn sich
die Verwarnung an einen Abnehmer richtet, wird er zudem wegen der im Markt
bestehenden Ausweichmög-lichkeiten auf Produkte anderer Anbieter wie des
Rechtsinhabers und seiner Lizenz-nehmer einer mit erheblichen Kosten und
Risiken verbundenen Auseinandersetzung über Bestand und Inhalt des
Immaterialgüterrechts aus dem Wege gehen. In glei-cher Weise kann auch der
Hersteller oder Lieferant durch die wirtschaftlichen Folgen einer solchen
Auseinandersetzung von einer Verteidigung berechtigter Positionen abgehalten
werden mit der Folge einer faktischen Erstreckung des Schutzes aus dem Recht
in Bereiche, die der Rechtsinhaber rechtlich nicht beanspruchen kann.
Der Große Senat für Zivilsachen hat entschieden, dass die Aufgabe dieser
Grund-sätze nicht geboten sei. Hinsichtlich der Gründe, die schon das
Reichsgericht bewo-gen hätten, im Interesse eines funktionierenden
Wettbewerbs den Verwarner mit Hilfe einer Sanktion zu veranlassen, vor der
Aufforderung zur Unterlassung die Be-standsfähigkeit seines Rechtes und die
Frage zu prüfen, ob und in welchem Umfang es eine hinreichende Grundlage für
sein Begehren bilde, sei eine Änderung nicht eingetreten. Die
vorgerichtliche Verwarnung könne nach Gegenstand und Interes-senlage auch
nicht mit der Klage gleichgesetzt werden; dass für deren Erhebung auch bei
fehlender Berechtigung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
deliktsrechtlich grundsätzlich nicht einzustehen sei, lasse sich wegen der
andersarti-gen Verhältnisse nicht auf die unberechtigte Verwarnung
übertragen. Wegen der von einer Verwarnung aus Immaterialgüterrechten
ausgehenden Gefahr für Wirtschaft und Wettbewerb bedürfe es weiterhin einer
Sanktion in Form einer Haftungsfolge für unberechtigte Verwarnungen, die den
Schutzrechtsinhaber anhalte, vor einer Unter-lassungsaufforderung die
gebotenen, von ihm zu erwartenden und ihm zumutbaren Prüfungen zur
Berechtigung seines Verlangens vorzunehmen. Auf diese Weise wür-den der
Schutz der geistigen Leistung einerseits und die Freiheit des Wettbewerbs
andererseits, die durch die Grenzen des Schutzbereichs objektiv voneinander
abge-grenzt werden, auch hinsichtlich der Mittel ihrer Durchsetzung und der
Haftung für die Überschreitung dieser Grenzen ins Gleichgewicht gebracht.
Beschluss vom 15. Juli 2005 - GSZ 1/04
LG Düsseldorf 4 O 217/98 ./. OLG Düsseldorf 2 U 33/01 ./. I ZR 98/02
Karlsruhe, den 14. September 2005
Bundesgerichtshof
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