Entscheidung des Großen Senates für Zivilsachen: Haftung für unberechtigte Verwarnungen aus Immaterialgüterrechten

14.09.2005

Bundesgerichtshof

Der Große Senat für Zivilsachen des Bundesgerichtshofes hatte aufgrund einer

Vor-lage des I. Zivilsenates über die Frage zu entscheiden, ob die

unberechtigte Verwar-nung aus Immaterialgüterrechten wie einem Kennzeichen-,

einem Patent-, Gebrauchsmuster- oder Geschmacksmusterrecht

haftungsrechtliche Folgen für den Verwarner auslösen kann.

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes war anerkannt, dass die

Verwar-nung aus einem solchen Recht dann, wenn es nicht bestand oder keine

hinreichen-de Grundlage für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch

bildete, zu Ersatz-pflichten des Verwarners führen kann, wenn er vor der

Verwarnung Bestand und Umfang seines Rechtes nicht mit der von ihm zu

erwartenden Sorgfalt geprüft hatte. Art und Umfang der Sorgfaltspflichten

werden nach dieser Rechtsprechung danach bestimmt, in welchem Umfang der

Verwarner auf den Bestand und die Tragfähigkeit seines Schutzrechtes

vertrauen durfte. So darf er bei einem von der Prüfung durch eine Behörde

abhängigen Recht wie dem Patent grundsätzlich auf dessen Bestand vertrauen;

eine weitere Prüfung wird von ihm nur bei Hinzutreten weiterer Umstände wie

einer anhängigen Nichtigkeitsklage oder Anhaltspunkten verlangt, die Anlass

zu Zweifeln an der Aufrechterhaltung des Rechts geben. Eine Verwarnung aus

einem ungeprüften Recht kann demgegenüber zu weiterer Prüfung Anlass geben.

Von die-sen Grundsätzen war im wesentlichen bereits das Reichsgericht

ausgegangen. Sie finden ihre Rechtfertigung in den weit reichenden

wirtschaftlichen Folgen, die eine solche Verwarnung aus

Immaterialgüterrechten auslösen kann.

Verwarnungen aus Immaterialgüterrechten bilden für den Rechtsinhaber eine

einfa-che Möglichkeit, sein Recht über dessen rechtlichen Rahmen hinaus

faktisch aus-zuweiten, weil der Empfänger einer solchen Verwarnung vielfach

deren Berechtigung kurzfristig nicht überprüfen kann. Insbesondere wenn sich

die Verwarnung an einen Abnehmer richtet, wird er zudem wegen der im Markt

bestehenden Ausweichmög-lichkeiten auf Produkte anderer Anbieter wie des

Rechtsinhabers und seiner Lizenz-nehmer einer mit erheblichen Kosten und

Risiken verbundenen Auseinandersetzung über Bestand und Inhalt des

Immaterialgüterrechts aus dem Wege gehen. In glei-cher Weise kann auch der

Hersteller oder Lieferant durch die wirtschaftlichen Folgen einer solchen

Auseinandersetzung von einer Verteidigung berechtigter Positionen abgehalten

werden mit der Folge einer faktischen Erstreckung des Schutzes aus dem Recht

in Bereiche, die der Rechtsinhaber rechtlich nicht beanspruchen kann.

Der Große Senat für Zivilsachen hat entschieden, dass die Aufgabe dieser

Grund-sätze nicht geboten sei. Hinsichtlich der Gründe, die schon das

Reichsgericht bewo-gen hätten, im Interesse eines funktionierenden

Wettbewerbs den Verwarner mit Hilfe einer Sanktion zu veranlassen, vor der

Aufforderung zur Unterlassung die Be-standsfähigkeit seines Rechtes und die

Frage zu prüfen, ob und in welchem Umfang es eine hinreichende Grundlage für

sein Begehren bilde, sei eine Änderung nicht eingetreten. Die

vorgerichtliche Verwarnung könne nach Gegenstand und Interes-senlage auch

nicht mit der Klage gleichgesetzt werden; dass für deren Erhebung auch bei

fehlender Berechtigung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes

deliktsrechtlich grundsätzlich nicht einzustehen sei, lasse sich wegen der

andersarti-gen Verhältnisse nicht auf die unberechtigte Verwarnung

übertragen. Wegen der von einer Verwarnung aus Immaterialgüterrechten

ausgehenden Gefahr für Wirtschaft und Wettbewerb bedürfe es weiterhin einer

Sanktion in Form einer Haftungsfolge für unberechtigte Verwarnungen, die den

Schutzrechtsinhaber anhalte, vor einer Unter-lassungsaufforderung die

gebotenen, von ihm zu erwartenden und ihm zumutbaren Prüfungen zur

Berechtigung seines Verlangens vorzunehmen. Auf diese Weise wür-den der

Schutz der geistigen Leistung einerseits und die Freiheit des Wettbewerbs

andererseits, die durch die Grenzen des Schutzbereichs objektiv voneinander

abge-grenzt werden, auch hinsichtlich der Mittel ihrer Durchsetzung und der

Haftung für die Überschreitung dieser Grenzen ins Gleichgewicht gebracht.

Beschluss vom 15. Juli 2005 - GSZ 1/04

 

LG Düsseldorf – 4 O 217/98 ./. OLG Düsseldorf – 2 U 33/01 ./. I ZR 98/02

 

Karlsruhe, den 14. September 2005

 

 

Bundesgerichtshof

 

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