Meinungsverschiedenheiten zwischen dem II. und XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in Fällen kreditfinanzierten Erwerbs von Anteilen an geschlossenen Immobilienfonds beigelegt

25.04.2006

Bundesgerichtshof

Der für das Bank- und Börsenrecht zuständige XI. Zivilsenat des

Bundesge-richtshofs hatte über verschiedene Klagen zu entscheiden, in denen

es um kreditfinanzierte Beteiligungen von Verbrauchern an geschlossenen

Immobi-lienfonds ging. Die Fonds waren in der Rechtsform von Gesellschaften

bür-gerlichen Rechts gegründet worden. Geschäftsgegenstand war die

Errichtung und Vermietung von Gebäuden. Die Anleger waren jeweils von

Vermittlern geworben worden, sich zu Steuersparzwecken an den Fonds zu

beteiligen. Der Beitritt sollte über Bankkredite finanziert werden.

In zwei Fällen erfolgten der Fondsbeitritt und die Aufnahme der

Finanzie-rungskredite, die durch Grundschulden an Grundstücken des Fonds

gesichert waren, durch Treuhänder, denen die Anleger umfassende notarielle

Vollmach-ten erteilt hatten. Außerdem hatten sie die Treuhänder zusätzlich

in einem von ihnen selbst unterzeichneten Zeichnungsschein beauftragt, den

Beitritt zu dem Immobilienfonds zu bewirken und die erforderlichen

Finanzierungskredite aufzunehmen. Die Treuhänder verfügten nicht über eine

Erlaubnis nach dem Rechtsberatungsgesetz, soweit diese erforderlich war.

In zwei Fällen wurden die Darlehensverträge durch die Anleger selbst

abge-schlossen. Bei diesen Darlehen handelte es sich nicht um durch

Grundschul-den gesicherte Kredite. Nur in einem Fall erfolgte der Abschluss

durch den Anleger in einer Haustürsituation.

In den zur Entscheidung stehenden Fällen haben sich Rechtsfragen gestellt,

die der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs aus seiner Zuständigkeit für

das Darlehens- und Verbraucherkreditrecht und der II. Zivilsenat als der für

das Gesellschaftsrecht zuständige Senat des Bundesgerichtshofs in der

Vergan-genheit unterschiedlich gesehen haben. Beide Senate haben die dadurch

hervorgerufenen Differenzen und Lösungsmöglichkeiten miteinander einge-hend

erörtert. Dabei hat sich erwiesen, dass die spezifisch

gesellschaftsrecht-lichen Fragen, die nach Meinung beider Senate in der

Vergangenheit zu der Befassung des II. Zivilsenats mit Fällen der

kreditfinanzierten Fondsbeteili-gungen geführt haben, zwischenzeitlich

geklärt worden sind (BGHZ 156, 46 ff.) und nunmehr – auch in den heute

entschiedenen Fällen – die die Primär-zuständigkeit des XI. Zivilsenats

begründenden darlehens- und verbraucher-kreditrechtlichen Probleme im

Vordergrund stehen. Den hierzu von dem XI. Zivilsenat entwickelten Lösungen

widerspricht der II. Zivilsenat vor allem im Hinblick auf die Ausführungen

des XI. Zivilsenats in dem Rechtsstreit XI ZR 106/05 (unter IV 3. – 5.), die

die mögliche Haftung der Bank für bestimmte Fallkonstellationen betreffen,

nicht.

Dementsprechend werden die in den heute entschiedenen Fällen aufgetrete-nen

einschlägigen Fragen von dem XI. Zivilsenat wie folgt beantwortet:

1. Der Erwerb eines Immobilienfondsanteils und das Darlehen, das zur

Finan-zierung dieses Erwerbes dient und nicht von der Sicherung durch ein

Grund-pfandrecht abhängig ist, sind ein verbundenes Geschäft im Sinne von §

9 Abs. 1 VerbrKrG, wenn zwischen beiden Verträgen eine wirtschaftliche

Ein-heit besteht. Eine wirtschaftliche Einheit wird unwiderleglich vermutet,

wenn der Kreditvertrag nicht aufgrund eigener Initiative des Kreditnehmers

zustan-de kommt, der von sich aus die Bank um Finanzierung seines

Anlagege-schäfts ersucht, sondern deshalb, weil der Vertriebsbeauftragte des

Anlage-vertreibers dem Interessenten zugleich mit den Anlageunterlagen einen

Kre-ditantrag des Finanzierungsinstituts vorgelegt hat, das sich zuvor dem

Anla-gevertreiber gegenüber zur Finanzierung bereit erklärt hatte

(Bestätigung von BGHZ 156, 46 ff. (II. Zivilsenat) und Senatsurteil vom 23.

September 2003 XI ZR 135/02, WM 2003, 2232 f.).

Ist ein Darlehensnehmer durch falsche Angaben zum Erwerb einer

Fondsbe-teiligung bewogen worden, kann er bei Vorliegen eines verbundenen

Ge-schäfts im Sinne von § 9 Abs. 1 VerbrKrG auch der die Fondsbeteiligung

fi-nanzierenden Bank seine Ansprüche gegen die Fondsgesellschaft

entgegen-halten und gemäß § 9 Abs. 3 VerbrKrG die Rückzahlung des Kredits

verwei-gern, soweit ihm gegen die Fondsgesellschaft ein Abfindungsanspruch

zu-steht (Bestätigung von BGHZ 156, 46 ff. (II. Zivilsenat) und Senatsurteil

vom 23. September 2003 XI ZR 135/02, WM 2003, 2232 f.).

Darüber hinaus kann er den mit dem Anlagevertrag gemäß § 9 Abs. 1 VerbrKrG

verbundenen Darlehensvertrag nach § 123 BGB anfechten, wenn die Täuschung

auch für dessen Abschluss kausal war. Den daneben beste-henden Anspruch aus

Verschulden bei Vertragsschluss gegen den Vermittler kann der

Darlehensnehmer ebenfalls gegen die kreditgebende Bank geltend machen, da

der Vermittler bei einem verbundenen Geschäft nicht Dritter im Sinne von §

123 Abs. 2 BGB ist.

Dagegen kann er Ansprüche gegen Gründungsgesellschafter, Fondsinitiato-ren,

maßgebliche Betreiber, Manager und Prospektherausgeber dem

Rück-zahlungsverlangen der Bank nicht gemäß § 9 Abs. 3 VerbrKrG

entgegenset-zen (Abweichung von BGHZ 159, 280 ff.; 159, 294 ff., II.

Zivilsenat).

Wird ein Darlehensvertrag nach § 1 Abs. 1 HWiG widerrufen und bildet er mit

dem finanzierten Fondsbeitritt ein verbundenes Geschäft im Sinne von § 9

Abs. 1 VerbrKrG, erfordert der Zweck der gesetzlichen Widerrufsregelung,

dass dem Darlehensgeber nach Widerruf kein Zahlungsanspruch gegen den

Darlehensnehmer zusteht. Die Rückabwicklung hat in diesem Falle unmittel-bar

zwischen dem Kreditgeber und dem Partner des finanzierten Geschäfts zu

erfolgen (Bestätigung von BGHZ 133, 254 ff., XI. Zivilsenat). Der

Kreditneh-mer kann die von ihm selbst auf das Darlehen gezahlten Beträge vom

Kredit-geber zurückverlangen, nicht aber die ihm zugeflossenen

Fondsausschüttun-gen.

2. Die Annahme eines verbundenen Geschäfts im Sinne des § 9 Abs. 1 VerbrKrG

scheidet aus, wenn es sich bei dem Darlehensvertrag um einen

Re-alkreditvertrag im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG handelt. Ein

solcher liegt auch dann vor, wenn nicht der Erwerber, sondern der Fonds das

Grund-pfandrecht bestellt hat (Abweichung von BGHZ 159, 294 ff., II.

Zivilsenat; Fortsetzung von BGHZ 161, 15 ff., XI. Zivilsenat).

3. Für den Empfang eines Darlehens im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 1 VerbrKrG

ist es unerheblich, ob ein verbundenes Geschäft vorliegt. Daher wird auch in

Fällen, in denen Darlehensvertrag und Fondsbeitritt ein verbun-denes

Geschäft gemäß § 9 Abs. 1 VerbrKrG darstellen, ein wegen fehlender

Gesamtbetragsangabe nichtiger Darlehensvertrag gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1

VerbrKrG gültig, wenn dem Kreditnehmer die Darlehensvaluta nicht direkt

zu-geflossen, sondern vertragsgemäß unmittelbar an einen Treuhänder zum

Er-werb des Fondsanteils ausgezahlt worden ist (Abweichung von BGHZ 159, 294

ff., II. Zivilsenat)

Auch für die Frage, ob in den Fällen nichtiger Vollmacht des gegen das

Rechtsberatungsgesetz verstoßenden Treuhänders zugunsten der kreditge-benden

Bank eine Rechtsscheinhaftung nach §§ 171, 172 BGB eingreift, kommt es nicht

darauf an, ob Kreditvertrag und Fondsbeitritt ein verbundenes Geschäft im

Sinne des § 9 VerbrKrG sind (Abweichung von BGHZ 159, 294 ff., II.

Zivilsenat; Fortsetzung von BGHZ 161, 15 ff., XI. Zivilsenat).

4. Sofern die dem Treuhänder erteilte umfassende Vollmacht wegen Versto-ßes

gegen das Rechtsberatungsgesetz unwirksam ist, kann der Treuhänder zum

Abschluss des Darlehensvertrages für den Anleger gleichwohl befugt sein,

wenn ihm in einem Zeichnungsschein gesondert Vollmacht erteilt ist und

dieser Zeichnungsschein der Bank vorgelegt worden ist.

Die Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 25.

Oktober 2005 (NJW 2005, 3551 ff. – Schulte und NJW 2005, 3555 ff. –

Crailsheimer Volksbank) zu den Folgen einer unterbliebenen

Widerrufsbeleh-rung nach der Haustürgeschäfterichtlinie waren für die

ergangenen Urteile nicht von Bedeutung, weil es sich in drei Fällen nicht um

Haustürgeschäfte gehandelt hat und weil der Anleger im vierten Fall bereits

nach der Securenta-Rechtsprechung des XI. Zivilsenats (BGHZ 133, 254 ff.)

vor den Risiken eines kreditfinanzierten verbundenen Geschäfts geschützt

wird.

Urteile vom 25. April 2006

XI ZR 193/04

 

LG Ravensburg, Urteil vom 29. Januar 2004 – 2 O 328/03

 

OLG Stuttgart, Urteil vom 18. Mai 2004 – 6 U 30/04

 

 

XI ZR 29/05

 

Amtsgericht Hamburg-Altona, Urteil vom 27. Juni 2002 – 317 C 90/02

 

Landgericht Hamburg, Urteil vom 20. Januar 2005 – 327 S 112/02

 

 

XI ZR 106/05

 

LG Mosbach, Urteil vom 26. Oktober 2004 – 2 O 155/04

 

OLG Karlsruhe, Urteil vom 23. Mai 2005 – 6 U 244/04

 

 

XI ZR 219/04

 

Landgericht München I, Urteil vom 23. September 2003 – 28 O 11074/03

 

OLG München, Urteil vom 17. Juni 2004 – 19 U 5236/03

 

Karlsruhe, den 25. April 2006

 

 

Bundesgerichtshof

 

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