B&L Rechtsanwälte: Zahnärzte handeln - entgegen der Auffassung des LG München I - nicht wettbewerbswidrig, wenn sie werbende Berichterstattung über sich zulassen

17.05.2005

B&L Rechtsanwälte

Das LG München I hat in einem jetzt veröfentlichten Urteil entschieden, dass ein Zahnarzt, der es zulässt, dass Artikel mit werbendem Charakter über ihn erscheinen, wettbewerbswidrig handelt. Ein solcher Zahnarzt müsse damit rechnen, von der zuständigen Berufsvertretung auf Unterlassung in Anspruch genommen zu werden. (Az.: 33 O 7812/04).

Dieses Urteil ist schlicht falsch und lässt die ständige Rechtsprechung des BVerfG sowie des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vollständig unberücksichtigt.

Dem betroffenen Zahnarzt wird vorgeworfen, entgegen der für ihn einschlägigen Berufsordnung die Veröffentlichung von Zeitungs- und Bildberichten geduldet zu haben.

Bei der Bewertung dieses Sachverhalts sind aber – und dies hat das LG München I offenbar übersehen - die werberechtliche Bestimmungen der einschlägigen Berufsordnung verfassungskonform auszulegen. Dies deshalb, weil die Rechtsprechung und insbesondere das Bundesverfassungsgericht in jüngster Vergangenheit regelmäßig Werbeverbote und entsprechende Sanktionsmaßnahmen der (zahn-)ärztlichen Berufsvertretungen für unzulässig erklärt hat, da sie einen Verstoß gegen die Grundrechte der Berufs- oder Meinungsfreiheit darstellen.

Gerade im Zusammenhang mit der Frage, ob ein Arzt Presseberichte unterbinden muss, die zumindest auch werbenden Charakter für ihn haben, fordert das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung eine besonders sorgfältige Abwägung zwischen dem Rechtsgut der Gesundheit, welches durch das in den einschlägigen Regelungen der jeweiligen Berufsordnungen normierte Duldungsverbot geschützt werden soll, und dem Grundrecht auf Meinungs- und Pressefreiheit. In diesem Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1992 entschieden, dass die Presse im Rahmen ihrer Berichterstattung Aussagen über einen Arzt machen darf, die diesem u.U. aus Gründen standesrechtlicher Werbebeschränkungen untersagt wären (vgl. BVerfG NJW 1992, 2341).

Unter Berücksichtigung der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung können die jeweiligen Regelungen der Berufsordnungen – wenn überhaupt – nur so gelesen werden, dass der Arzt nicht dulden darf, dass Berichte oder Bildberichte veröffentlicht werden, die seine ärztliche Tätigkeit oder seine Person berufswidrig werbend, also anpreisend, irreführend oder vergleichend herausstellen. Dies hat das Bundesverfassungsgericht bereits in seiner Entscheidung BVerfGE 71,162 festgestellt und in Bezug auf § 21 Abs. 1 der bayerischen BO ausdrücklich wiederholt (vgl. BVerfG Beschluss vom 11.02.1992, 1 BvR 1531/90).

Würde hingegen aus den Berufsordnungen ein absolutes Verbot solcher Presseartikel hergeleitet, würde demzufolge in unzumutbarer und damit verfassungswidriger Weise der Sicherung des Werbeverbots ein unangemessener Vorrang vor dem Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit gem. Art 12 GG eingeräumt.

Eine solche Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit ist jedoch nicht zumutbar und damit rechts- und verfassungswidrig.

Demnach darf ein Arzt in einem Presseartikel ohne Weiteres auch namentlich benannt werden. Selbst eine mehrfache Nennung und Bezugnahme auf den Arzt dient lediglich einer lebendigen Berichterstattung und dokumentiert die Authentizität der Berichterstattung. Stilmittel dieser Art ändern nichts am informierenden Charakter eines Presseartikels. Ebenso verhält es sich mit Fotos, die den Arzt abbilden. Dies stellt heutzutage in Zeitungen und Zeitschriften auch bei sachlich-informativen Artikeln eine weitgehend übliche Form der Aufmachung dar, durch die derartige Berichte aufgelockert und für ein breites Publikum lesbar gemacht werden (vgl. Berufsgericht für Heilberufe beim Verwaltungsgericht Greifswald, Urt. v. 27.11.1997 –BG 43/95-, ebenso BGH WRP 1990, 270)).

Ein solcher Presseartikel ist, auch wenn er zugleich einen Werbeeffekt zugunsten des Arztes bewirkt, nicht angreifbar.

Wenn also ein Presseartikel keine übersteigerte persönliche Schilderung der ärztlichen Leistung enthält und die medizinische Information zur Befriedigung des Informationsbedürfnisses der geneigten Leserschaft im Vordergrund steht, so kann ein solcher Presseartikel keinen Wettbewerbsverstoß darstellen.

In diesem Zusammenhang ist außerdem auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vom 17.10.2002 hinzuweisen. In dieser Entscheidung ging es um die Verurteilung eines Arztes, dem die zuständige Kammer verbotene Eigenwerbung zur Last legte, als er in einem Zeitungsinterview von einem neuen Operationsverfahren berichtete und in diesem Zusammenhang eine 100%ige Erfolgsquote behauptete. Dem Artikel war ein 12x19cm großes Foto beigefügt. Diese Verurteilung bewertete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte als Verstoß gegen Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der ebenfalls das Recht auf freie Meinungsäußerung kodifiziert.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte dabei § 25 Abs. 2 BOÄ Baden-Württemberg zu bewerten.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte führt in seiner Entscheidung aus:

„Dem Bericht kann durchaus ein Werbeeffekt zugunsten des Beschwerdeführers und seiner Praxis zugesprochen werden, aber gemessen am Hauptinhalt des Artikels erweist sich diese Werbewirkung als zweitrangig. Unter diesen Umständen war der gerügte Eingriff (das berufsrechtliche Ermittlungsverfahren, Anm. des Verf.) gemessen an den verfolgten legitimen Zielen nicht verhältnismäßig und dementsprechend „in einer demokratischern Gesellschaft“ zum „Schutz der Gesundheit“ und zum „Schutz des Rechts anderer“ nicht notwendig. Alles in Allem liegt eine Verletzung von Artikel 10 der Konvention vor.“

Das Urteil des LG München I hat mithin auch übersehen, dass die in Bezug genommene und dem Urteil zu Grunde gelegte berufsrechtliche Regelung bei der vom LG München I vorgenommenen Auslegung eine Verletzung von Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention begründet.

RA Jens Pätzold

 

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