Gleiss Lutz: Allgemeines Erstaunen über Last-Minute-Änderung des WpÜG - Drohender Stimmrechtsverlust in vielen Aktiengesellschaften

24.08.2006

Gleiss Lutz

Im Juli 2006 ist das Übernahmerichtlinien-Umsetzungsgesetz in Kraft getreten. In letzter Sekunde hat der Finanzausschuss des Bundestages das Gesetz in einem entscheidenden Punkt noch verändert. Erst langsam tritt die Brisanz dieser Änderung zu Tage. Leidtragende sind insbesondere große, verschachtelte Konzerne.

Hält ein Unternehmen - unmittelbar oder mittelbar - 30 % oder mehr der Stimmrechte an einer deutschen börsennotierten Aktiengesellschaft, gilt dies übernahmerechtlich als "Kontrolle". Erlangt ein Unternehmen Kontrolle, muss es allen außen stehenden Aktionären das Angebot machen, ihnen die Aktien zu einem gesetzlich definierten Preis abzukaufen ("Pflichtangebot"). Die Neufassung des § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) sieht nun überraschenderweise vor, dass nicht nur wie bisher den Muttergesellschaften die Stimmrechte ihrer Tochtergesellschaften zugerechnet werden. Nunmehr werden umgekehrt auch jeder Tochtergesellschaft - weltweit! - die Stimmrechte der Muttergesellschaft und aller Schwestergesellschaften zugerechnet. Die Auswirkungen sind fatal. Hält ein Konzern 30 % an einer deutschen börsennotierten Aktiengesellschaft und erwirbt oder gründet dieser Konzern irgendwo auf der Welt - und sei es in Indonesien - ein neues Unternehmen, so werden diesem Unternehmen sämtliche im Konzern gehaltenen Stimmrechte der deutschen Aktiengesellschaft zugerechnet. Das skurrile Ergebnis ist, dass die neu gegründete oder erworbene indonesische Gesellschaft allen anderen Aktionären der deutschen Aktiengesellschaft ein Pflichtangebot machen muss, obwohl die indonesische Gesellschaft über keinerlei gesellschaftsrechtlichen Einfluss auf sie verfügt.

Das alles wäre nicht so brisant, wenn nicht die Folgen eines Verstoßes so einschneidend wären: Nach den Regelungen des WpÜG verliert, wer entgegen dem Gesetz ein Pflichtangebot unterlässt, seine sämtlichen Stimmrechte in der Hauptversammlung, und zwar auf einen Schlag für alle im Konzern gehaltenen Aktien.

Der einzige Ausweg: Um einem Pflichtangebot zu entgehen, ist ein Antrag bei der BaFin zu stellen. Die BaFin wird voraussichtlich in den nächsten Wochen mit Hunderten solcher Anträge überschwemmt werden. Wie die BaFin mit diesen Anträgen umgehen wird, steht noch in den Sternen.

Dr. Michael Arnold, Partner im Gesellschaftsrecht bei Gleiss Lutz, hat die Problematik in einem Beitrag für die Zeitschrift "Die Aktiengesellschaft" (2006, S. 567 ff.) näher beleuchtet. Er befürchtet im Umgang mit der Neuregelung nicht nur eine hohe Fehlerquote, sondern sieht auch Probleme für den Finanzplatz Deutschland: "Derart exzessive bürokratische Fesseln machen den Finanzplatz Deutschland für Investoren äußerst unattraktiv und stoßen insbesondere im Ausland auf großes Unverständnis." Er empfiehlt daher, die Ausweitung des Übernahmerichtlinien-Umsetzungsgesetzes bei nächster Gelegenheit auf das Vernünftige zu reduzieren oder ganz zu streichen.

Weitere Informationen zu diesem Komplex: Arnold, Michael, Die neue konzernweite Stimmrechtszurechnung gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WpÜG - eine neue Dimension der Zurechnung im Konzern, in: Die Aktiengesellschaft 2006, S. 567 ff.

Bei Fragen und für weitere Informationen stehen wir gerne zur Verfügung.

Katharina Albrecht

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