Hogan Lovells: Drei Fragen, drei Antworten zur Prozessführung vor staatlichen Gerichten in Zeiten von Corona

13.05.2020

Die politisch angeordneten Restriktionen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie führen zu erheblichen Beeinträchtigungen in der Zivilgerichtsbarkeit. Während der einstweilige Rechtsschutz weiterhin funktioniert, so dass in dringenden Eilrechtsfällen Entscheidungen getroffen werden können, ist die sonstige Zivilgerichtsbarkeit stark betroffen. Der Kern des Problems ist die mündliche Verhandlung. In der mündlichen Verhandlung kommen Richter, Parteien, Rechtsanwälte, Zeugen, Sachverständige und die Öffentlichkeit in einem Gerichtssaal zusammen. Alternativen dazu sind im deutschen Zivilprozessrecht vorhanden. Eine spannende Möglichkeit ist der Einsatz technischer Lösungen, wie insbesondere die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung über Video-Medien. Unsere Münchner Experten für Prozessführung Dr. Detlef Haß, Dr. Olaf Gärtner, Carolin Marx und Johannes Falter beleuchten die virulentesten Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Zivilprozess.

1. Wie wirkt sich die COVID 19-Pandemie auf die Arbeit der staatlichen Gerichte aus?

Wir sehen in unserer Prozesspraxis, dass die Zivilgerichte bislang sehr robust auf die Krise reagiert haben. Als Corona Mitte März auch in Deutschland erstmals akut wurde, herrschte für kurze Zeit eine gewisse Unklarheit bei den Gerichten. Aus dieser Zeit etwa stammt der überregional bekannt gewordene Fall eines nordrhein-westfälischen Amtsrichters, der alle Sitzungsteilnehmer durch Aushang vor dem Gerichtssaal verpflichtete, in seinen Verhandlungen eine Atemschutzmaske zu tragen. Es kristallisierte sich dann bundesweit die Tendenzen heraus, dass mündliche Verhandlungen, mit Ausnahme von Eilverfahren, flächendeckend abgesagt und Schriftsatzfristen für die Parteien weiträumig verlängert wurden. Im schriftlichen und telefonischen Verkehr agierten die Gerichte jedoch weiterhin sehr zügig. Im Laufe der Zeit haben die Gerichte begonnen, die bereits seit dem Jahr 2013 in der Zivilprozessordnung (ZPO) verankerte Möglichkeit zu nutzen, streitige Verfahren im Wege einer Video-Verhandlung fortzusetzen. Im Rückblick auf die letzten Wochen lässt sich sagen, dass das deutsche Gerichtssystem weit entfernt war von einem Stillstand der Rechtspflege.

Zeitlich einhergehend mit den politischen Lockerungen des Lockdown stellen wir nunmehr Schritt für Schritt auch bei den Gerichten fest, dass die mündlichen Verhandlungen im Gerichtssaal wieder aufgenommen werden.

2. Welche prozessualen Möglichkeiten haben die Gerichte, um auch zu Zeiten der Pandemie ihrer Aufgabe gerecht zu werden?

In der Praxis genießt die mündliche Verhandlung als Präsenztermin aller Verfahrensbeteiligter in einem Gerichtssaal einen herausragenden Stellenwert. In Zeiten der COVID 19-Pandemie erweist sie sich jedoch als Nadelöhr der streitigen Verfahren. Der Gesundheitsschutz durch Ausgangsbeschränkungen und Mindestabstandsgeboten zwingt dazu, Alternativen in den Blick zu nehmen. Die ZPO stellt mehrere Instrumente zur Verfügung, wie ein Verfahren auch ohne das Zusammenkommen aller Verfahrensbeteiligten in einem Gerichtssaal fortgesetzt werden kann.

Der Zivilprozess kann in das schriftliche Verfahren überführt werden. Das schriftliche Verfahren kommt nicht in allen Fällen in Betracht. Sind für die Entscheidung noch Zeugen zu vernehmen oder Augenschein zu nehmen, stößt das schriftliche Verfahren an seine Grenzen. Nach der bisherigen gesetzlichen Regelung setzt das schriftliche Verfahren die Zustimmung beider Parteien voraus. Ob die Gerichte dieses Verfahren zukünftig von Amts wegen einleiten dürfen, wird derzeit rechtspolitisch diskutiert.

Eine vielversprechende Option ist daneben die Video-Verhandlung. Das Gericht kann den Verfahrensbeteiligten dieses Format zwar nicht aufzwingen, sondern nur gestatten. Wer davon keinen Gebrauch machen will, muss – ebenso wie die Öffentlichkeit – die Möglichkeit haben, im Gerichtssaal zu erscheinen. Die Durchführung einer Video-Verhandlung setzt die erforderliche technische Ausstattung sowohl bei den Gerichten als auch bei den Parteien, Zeugen und Sachverständigen voraus. Derzeit beobachten wir, dass die Gerichte in ganz Deutschland als Reaktion auf die Corona-Beschränkungen bei der Videotechnik erheblich nachrüsten. Da die Erfahrungen mit der neuen Verhandlungsform weitgehend positiv sind, wird die Video-Verhandlung auch in der Zeit nach Corona eine interessante Option bleiben.

3. Sehen Sie bestimmte prozessuale Konstellationen, die durch die Corona-Pandemie an Bedeutung gewinnen?

Schon in der Anfangsphase der Corona-Pandemie, als noch vieles unklar war, haben die Zivilgerichte immer betont, dass Eilsachen uneingeschränkt bearbeitet würden. Damit ist nicht nur dem Justizgewährleistungsanspruch Rechnung getragen, sondern auch dem Umstand, dass der Eilrechtsschutz in der derzeitigen Krise stark an Bedeutung gewonnen hat. Man denke etwa an teilweise unterbrochene Lieferketten. In einer solche Konstellation, in der ein Unternehmen weiterproduzieren will und muss, kann eine sofortige Weiterbelieferung nur im Wege des Eilrechtsschutzes, konkret: einer Leistungsverfügung, erzwungen werden. Von großer Bedeutung für die Praxis sind auch Fälle, in denen mittels eines Arrests ein (Zahlungs-)Anspruch gesichert werden soll, wenn sich infolge der Corona-Pandemie die Zahlungsfähigkeit des Schuldners fortlaufend verschlechtert.

Einen Bedeutungszuwachs wird auch das selbständige Beweisverfahren erfahren. Da viele Wirtschaftszweige in der Krise brach legen, haben verschiedene Unternehmen ihre Produktion kurzfristig auf derzeit dringend benötigte und nachgefragte Güter umgestellt. Hier besteht die Gefahr, dass Nachweisschwierigkeiten entstehen, sobald die ursprüngliche Produktion wieder aufgenommen wird. Dem potentiellen Verlust von Beweismitteln kann mittels eines selbständigen Beweisverfahrens entgegengewirkt werden.

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