Insolvenzreport: Antragszahlen eingebrochen – dafür mehr Verfahrenslösungen
30. Mai 2023. München. Der Anstieg der Großinsolvenzen hat bereits nach einem halben Jahr ein schnelles Ende gefunden. Zum Jahresbeginn haben sich die Anträge fast halbiert, wie aus dem Insolvenzreport der Unternehmensberatung Falkensteg hervorgeht. Lediglich 24 Insolvenzen registrierten die Amtsgerichte in den ersten drei Monaten 2023 und damit 20 weniger als noch zum Ende des vergangenen Jahres. Aufwind gab es dagegen bei den Verfahrensausgängen. Für 26 insolvente Unternehmen wurde im ersten Quartal 2023 eine Lösung gefunden. Dies entspricht einem Plus von 53 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Als Großinsolvenzen zählt der Insolvenzreport Verfahren von Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 20 Millionen Euro.
„Das Risiko der Forderungsausfälle steigt und auch die Zahlungsmoral verschlechtert sich zusehends. Der Mittelstand zeigt sich mit guten Eigenkapitalquoten aber robust und Verluste werden noch aufgefangen. Das erklärt das derzeitige Insolvenzgeschehen“, so Studienautor und Falkensteg-Partner Jonas Eckhardt.
Entkopplung von der Gesamtwirtschaft
Im Vergleich zum Vorjahresquartal zeichnet sich auch bei den Antragszahlen eine Trendwende ab. Damals hatten mit 32 Unternehmen ein Viertel mehr den Gang zum Insolvenzgericht angetreten. Gleichzeitig koppeln sich die Großinsolvenzen mit ihrem Abwärtstrend von der Gesamtwirtschaft ab. Insgesamt wurden 3.471 Unternehmensinsolvenzen gemeldet – ein Plus von 10,4 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Im Vergleich zum Vorjahr beträgt der Anstieg sogar 20,1 Prozent. Spitzenreiter in der Gesamtschau ist das Baugewerbe vor dem Einzelhandel und der Lebensmittelindustrie. Bei den Großinsolvenzen hat das Baugewerbe allerdings bisher keinen großen Einfluss.
In der Branchenauswertung der Großverfahren lösen die Hersteller und Zulieferer des Maschinenbaus mit sechs Verfahren die Autozulieferer ab. Der Fahrzeugbau verbucht fünf Pleiten. Dahinter folgen Pflegeheimbetreiber, Einzelhändler und Kunststoff-Hersteller mit jeweils drei Verfahren.
„Vor allem Unternehmen, die schon vor der Pandemie in der Krise steckten, konnten ihre Verluste durch Überbrückungshilfen ausgleichen. Sie sind jetzt mit dem anstehenden Tilgungsbeginn der staatlichen Gelder gefährdet. Zudem dürften massive Kostensteigerungen bei Energie, Rohstoffen und Personal sowie höhere Refinanzierungskosten den Druck auf alle Unternehmen erhöhen“, so Jonas Eckhardt. Vor allem in der Immobilienwirtschaft, im Gesundheitswesen, der Investitionsgüterindustrie und im Handel seien mehr Insolvenzen zu erwarten.
Wieder mehr Neustarts insolventer Unternehmen
Nach der Talfahrt im Vorquartal (17 Lösungen) ging es bei den Verfahrensausgängen im ersten Quartal 2023 steil bergauf. Bei 26 insolventen Unternehmen gelang ein Neustart. Dies entspricht einem Plus von 53 Prozent gegenüber den drei Monaten zuvor. Dennoch sind die Verfahrensausgänge im ersten Quartal noch weit von den Spitzenwerten der vergangenen drei Jahre entfernt. Die höchsten Werte wurden im dritten Quartal 2020 mit 54 und im ersten Quartal 2021 mit 47 Lösungen erreicht.
Das bevorzugte Sanierungsmittel zwischen Januar und März 2023 bleibt weiterhin der Asset Deal. Mehr als drei Viertel der Unternehmen (20) haben einen neuen Investor gefunden. Von den neuen Gesellschaftern kamen fünf aus dem Ausland. Bei zwei Firmen konnte das Verfahren nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans aufgehoben werden und vier Unternehmen stellten den Geschäftsbetrieb ein.
Stefan Bratzel (CAM): 2030 rollt das letzte Verbrennerauto in Deutschland vom Band
Bei E-Mobilität und Konnektivität haben die deutschen Automobilhersteller und Zulieferer noch Nachholbedarf, so Professor Dr. Stefan Bratzel, Gründer und Direktor des Center of Automotive Management (CAM) im Interview mit dem Insolvenzreport. Der Abschied vom Verbrennungsmotor, die richtige Standortwahl für die Produktion und geopolitische Veränderungen werden die nächsten Jahre prägen. Viele Zulieferer müssen sich deshalb neu aufstellen oder gar aufgeben.
Software und Daten seien die Kompetenzen der Zukunft, um sich bei Fahrerassistenz-, Bedien- und Anzeigesystemen sowie autonomes Fahren zu positionieren, so Prof. Bratzel. Bei Standortüberlegungen müsse sich der Zulieferer zudem den geopolitischen Veränderungen stellen. Solle er beispielsweise, um die US-Förderung zu erhalten, mit den Herstellern in die USA gehen und dort mehr Wertschöpfung generieren? Und wenn der China-Taiwan-Konflikt eskaliert, könne der Zulieferer dann noch im Reich der Mitte und den USA tätig sein? „Unser Petitum ist, China nicht zu vergessen, denn es geht nicht ohne diesen Markt, aber der USA-Anteil muss unbedingt erhöht werden“, erklärt Automobilexperte Prof. Bratzel.
Der größte Umbruch kommt auf die Zulieferer zu, die noch in der Verbrennungstechnik tätig sind. Da kaum ein Hersteller alte Modelle weiterentwickeln wird oder gar neue Generationen dieser Motoren auf den Markt bringt, könnte das letzte Verbrenner-Auto bereits 2030 in Deutschland vom Band laufen. Die Zulieferer müssen sich daher auf den kleinen Markt konzentrieren, in dem die Elektromobilität nicht zu 100 Prozent umsetzbar ist, oder in andere Branchen wie die Luftfahrt oder die Schifffahrt ausweichen. „Bereits heute ist absehbar, dass diese verbleibenden Nischen nicht Platz genug für alle Zulieferer bieten werde. Damit sollte der vorausschauende Unternehmer bereits heute auch sein Ausproduktionsszenario für die nächsten sieben bis zehn Jahre planen“, so Restrukturierungsexperte Jonas Eckhardt.
Über den Insolvenzreport „5 nach 12“
Die Restrukturierungsberatung Falkensteg recherchiert für den Insolvenzreport alle drei Monate das Insolvenzgeschehen. Dazu werden Informationen des Insolvenz-Portals, der Creditreform, des Statistischen Bundesamtes sowie von Insolvenzverwaltern ausgewertet und mit eigenen Analysen ergänzt. Während andere Statistiken die eröffneten Insolvenzzahlen auswerten, konzentriert sich der Insolvenzreport auf den früheren Zeitpunkt der Insolvenzanmeldung. Durchschnittlich liegt zwischen der Anmeldung und der Eröffnung ein Zeitraum von zwei bis drei Monaten. Damit dient der Insolvenzreport als Frühindikator bei den Großinsolvenzen.