„Kundenanlagen“ – Paukenschlag aus Luxemburg
Heute hat der EuGH auf Vorlage des Bundesgerichtshofs entschieden, dass die deutsche Regelung zu „Kundenanlagen“ nicht mit dem Unionsrecht im Einklang stehen – mit potenziell weitreichenden Konsequenzen für alle, die eine Kundenanlage betreiben.
Hintergrund
Nach deutscher Rechtslage gelten zahlreiche Leitungssysteme, aus denen Dritte Strom beziehen, wie sie beispielsweise in Immobilien mit verschiedenen Mietern, in Einkaufszentren oder an Flughäfen existieren, nicht als Netz, wenn und solange sie bestimmte Schwellen nicht überschreiten und für den Betrieb dieser Anlagen kein gesondertes Entgelt von den Nutzern erhoben wird. Damit sind solche Anlagen bislang nahezu vollständig von energiewirtschaftsrechtlichen Netzregulierung befreit.
Diese komfortable Rechtslage hat es den Betreibern bislang ermöglicht, die Leitungen selbst zu betreiben und gleichzeitig Strom an die Mieter (beispielsweise, wie im Fall, der zur Vorlage führte, aus einem eigenen Blockheizkraftwerk) zu verkaufen – was ein „normales“ Energieversorgungsunternehmen nur unter Einhaltung strenger Entflechtungsvorgaben und unter Beachtung zahlreicher weiterer Pflichten darf.
Das sagt der EuGH
Diese Unterscheidung verstößt nach Auffassung des EuGH gegen Unionsrecht. Auch wenn die Entscheidung auf den ersten Blick lediglich einen konkreten Einzelfall betrifft, auf den der BGH seine Vorlagefrage an den EuGH mit detaillierten Angaben zugeschnitten hatte, so ist zumindest die Begründung des EuGH sehr grundsätzlich ausgefallen – und reicht über den Einzelfall hinaus. Es ist unionsrechtswidrig, bestimmte Netze, die der Versorgung von Kunden mit Strom dienen, aus dem Netzbegriff herauszunehmen. Auch kann man den unionsrechtlich vorgegebenen Betreiberbegriff nicht durch nationales Recht verengen. Und was die Befreiung von bestimmten Pflichten für Netzbetreiber anbetrifft, so ist dies auf die im Unionsrecht ausdrücklich geregelten Ausnahmemöglichkeiten beschränkt, was aber Kundenanlagen nicht erfasst.
Mit der bisherigen Privilegierung „nebenberuflicher“ Netzbetreiber könnte es deswegen nun grundsätzlich vorbei sein – zumindest soweit es um solche Pflichten geht, die unionsrechtlich verbindlich vorgegeben sind. Künftig wird man bei jeder einzelnen Pflicht des Energiewirtschaftsrechts, die nicht für Betreiber von Kundenanlagen gilt, prüfen müssen, ob diese Unterscheidung aufgegeben werden muss, und welche Folgen das für die Betreiber hat.
Beispiel: Besteht die Pflicht zur buchhalterischen Entflechtung, die vertikal integrierte Energieversorgungsunternehmen jeder Größe trifft, und ab wann?
Gesetzgeber gefordert
Die Entscheidung wirft weitere Fragen auf: Was ist etwa mit den so genannten „Kundenanlagen zur betrieblichen Eigenversorgung“ – einer weiteren deutschen Erfindung ohne Entsprechung im Unionsrecht, die vor allem Industrie- und Gewerbestandorte betrifft, zu der der EuGH mangels Relevanz im Vorlageverfahren zumindest ausdrücklich nichts gesagt hat? Es spricht nach der Begründung einiges dafür, dass auch ihre Befreiung nicht im Einklang mit Unionsrecht steht.
Es drohen rechtliche Unsicherheiten und in der Folge Compliance-Verstöße. Das EuGH-Urteil und seine Auswirkungen werden uns lange beschäftigen. Deswegen ist auch der Gesetzgeber gefordert. Er muss prüfen, welche Erleichterungen das Europarecht zulässt, und das, was geht, klar im Energiewirtschaftsrecht regeln – aber das wird aus bekannten Gründen sicherlich noch ein bisschen dauern.
Rückblick
Es ist nicht das erste Mal, dass Deutschland in diesem Zusammenhang vor dem EuGH verliert. Bereits vor mehr als 15 Jahren hatte der EuGH eine deutsche Regelung gekippt, die „Objektnetze“ in einer ähnlichen Weise von den regulatorischen Pflichten befreite – was der EuGH damals für unionsrechtswidrig hielt. Weil sich der EuGH 2008 allerdings ausdrücklich nur mit der Netzzugangsverpflichtung beschäftigt hatte, hatte der deutsche Gesetzgeber als Reaktion unter anderem genau die Regelung erfunden, die der EuGH nun für europarechtswidrig erklärt hat.
Dr. Sebastian Helmes
Rechtsanwalt | Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Partner, Berlin
Dentons Europe (Germany) GmbH & Co KG
Urteil des Europäischen Gerichtshofs (Fünfte Kammer) vom 28. November 2024 (Rs C-293/23)