Rödl & Partner zu Bundesarbeitsgericht: Leiharbeiter zählen wie Arbeitnehmer / Mitbestimmung droht Ausweitung

05.11.2015

Erfurt/Nürnberg, 04.11.2015: Leiharbeiter sind bei der Berechnung der Mitarbeiterzahl zur Bestimmung der Schwellenwerte für die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder nach dem Mitbestimmungsgesetz mitzuzählen. Die hat das Bundesarbeitsgericht in einem heute veröffentlichten Urteil klargestellt (Az.: 7 ABR 42/13). Die Entscheidung könnte gravierende Auswirkungen auf die an die Mitarbeiterzahl gekoppelte Mitbestimmung in Deutschland haben.

„Die deutschen Gerichte stellen die Grundlagen für die Mitbestimmung sukzessive auf den Kopf. Zur Forderung des Landgericht Frankfurt, Arbeitnehmer im Ausland in die Mitarbeitersumme aufzunehmen, kommt nun die Addierung der Leiharbeiter“, erklärt der Gesellschaftsrechtsexperte Horst Grätz von Rödl & Partner. „Zwar haben die Erfurter Richter sich nicht konkret zu den Schwellenwerten bei der Mitbestimmung geäußert, die Entscheidung ist aber übertragbar. Viel mehr Unternehmen als bisher könnten künftig gezwungen sein, einen mitbestimmten Aufsichtsrat einzusetzen. Der Gesetzgeber ist gefragt, wieder für Rechtssicherheit zu sorgen.“

Hintergrund der heutigen Entscheidung ist die Klage der Arbeitnehmer eines Reifenherstellers zur Frage, ob in ihrem Unternehmen die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer als unmittelbare Wahl oder als Delegiertenwahl durchzuführen ist. Die Arbeitnehmer argumentierten, das Unternehmen beschäftige nicht mehr als 8.000 Arbeitnehmer, eine unmittelbare Wahl sei daher ausreichend.

Dem widersprach nun das Bundesarbeitsgericht. Die im Unternehmen beschäftigten wahlberechtigten Leiharbeitnehmer auf Stammarbeitsplätzen seien bei der Ermittlung des Schwellenwerts mitzuzählen. Da inklusive der Leiharbeiter eine Summe von 8.341 Mitarbeitern erreicht wurde, müsse eine Delegiertenwahl durchgeführt werden.

„Leiharbeitnehmer haben seit der Reform des Betriebsverfassungsgesetz zwar ein aktives Wahlrecht, wenn sie länger als 3 Monate beim Entleiher eingesetzt werden. Bei der Mitarbeitersumme blieben sie aber im Gesetz außen vor. Das BAG hat nun den Grundsatz: ‘Leiharbeiter wählen, aber zählen nicht mit!‘ auch im Mitbestimmungsrecht gekippt“, betont Dr. Christoph Kurzböck Arbeitsrechtsexperte bei Rödl & Partner in Nürnberg. „Damit wird die Mitbestimmung in Deutschland über den Hebel der Rechtsprechung immer stärker ausgeweitet.“

Schon 2011 hatte das Bundesarbeitsgericht einen Kurswechsel eingeleitet. Überlassene Arbeitnehmer, die länger als 3 Monate im Entleiherbetrieb arbeiten, müssten bei der Feststellung der Belegschaftsstärke nach dem Betriebsverfassungsgesetz mitgezählt werden (Az.: 1 AZR 335/10). Für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Unternehmens mache es keinen Unterschied, ob der Personalbedarf durch interne oder externe Mitarbeiter gedeckt wird, argumentierten die Erfurter Richter.

Seit 2013 werden Leiharbeiter auch für die Ermittlung des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes sowie bei der Ermittlung der Größe des Betriebsrats mitgezählt, weil die Aufgaben des Betriebsrats sich an den tatsächlich Beschäftigten, und nicht nur an den Arbeitnehmern des Betriebes orientiere. Im Februar entschied zudem das Landgericht Frankfurt, bei den Schwellenwerten zur Mitbestimmung im Aufsichtsrat seien auch Arbeitnehmer der ausländischen Gesellschaften zu berücksichtigen (Az.: 3-16 O 1/14).

„Die schleichende Erweiterung der Mitbestimmung widerspricht der ursprünglichen Intention des Gesetzgebers eine Stabilität der jeweiligen Mitbestimmungsform zu garantieren. Vorübergehend überlassene Leiharbeiter zu den Beschäftigten zu zählen, kann zu einem ständigen Wechsel der Mitbestimmungsform führen“, warnt Arbeitsrechtsexperte Kurzböck. „Leiharbeiter sind von den langfristigen Entscheidungen des Aufsichtsrates auch nicht so stark betroffen, wie die Stammbelegschaft. Sie haben zudem gegenüber dem Verleihunternehmen als ihrem Arbeitgeber sämtliche Arbeitnehmerrechte.“

Bis zu einer Korrektur durch den Gesetzgeber werden Unternehmen umdenken müssen. „Es ist davon auszugehen, dass Leiharbeitnehmer nun auch bei den weiteren Schwellenwerten nach dem Drittelbeteiligungsgesetz und dem Mitbestimmungsgesetz zu berücksichtigen sind“, betont Grätz. „Unternehmen, die bisher nach ihren Berechnungen weniger als 500 Arbeitnehmer – und somit keinen Aufsichtsrat – bzw. weniger als 2000 Arbeitnehmer – und somit keinen paritätisch besetzten Aufsichtsrat hatten – müssen ihre Corporate Governance anpassen. Es ist mit zahlreichen Statusverfahren seitens der Gewerkschaften bzw. Betriebsräten zu rechnen. Die Bundesregierung sollte diese Rechtsunsicherheit schnellstmöglich beseitigen.“

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