Schultze & Braun: Interview mit Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter Tilo Kolb zu Risiken für Krankenhäuser in der aktuellen Krankenhauslandschaft

26.05.2008

Schultze & Braun

Die aktuelle Gesetzgebung hat den Rahmen für die Leistungsfähigkeit der Krankenhäuser in Deutschland stark beeinflusst und dies nicht nur in positiver Richtung. Gerade unter dem betriebswirtschaftlichen Blickwinkel sind in den Krankenhäusern bei stagnierenden Umsätzen erheblich steigende Kosten zu beobachten. Dies ist vor allem die Folge von beschlossenen Tariferhöhungen für Klinikärzte und Pflegekräfte, die für die einzelnen Krankenhäuser verbindlich sind. Ferner werden das Ende der Konvergenzphase zum Jahresende 2008 und damit die erheblichen Auswirkungen der vollständigen Einführung des Fallpauschalengesetzes zum 1. Januar 2009 (DRGs) die Krankenhäuser zu einem besonders kostenbewussten Wirtschaften zwingen. Weitere Veränderungen, wie etwa die letzte Umsatzsteuererhöhung sowie die Umgestaltung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes, steigende Energiekosten und ein in Kürze bevorstehender Sanierungsbeitrag an die Krankenkassen treiben die Kosten für die Krankenhäuser. Damit werden die Chancen insbesondere für kleinere Krankenhäuser, kostendeckend arbeiten zu können, geringer.

Frage: Erwarten Sie eine steigende Zahl von Krankenhäusern, die wirtschaftlich nicht überlebensfähig sind?

Kolb: In der Tat wird für den Bereich der Krankenhäuser eine Zunahme der Insolvenzen nach dem 1. Januar 2009 erwartet. Es wird im Krankenhausratingreport von 2007 davon ausgegangen, dass die Politik eine Marktbereinigung nach wirtschaftlichen Kriterien zulassen wird, es wird mit der Schließung von fast 22 Prozent der derzeit 2104 Krankenhäuser, also über 400 Krankenhäusern, gerechnet.

Frage: Sehen Sie die Gründe für mögliche Existenzgefahren für die Krankenhäuser auch im Verhalten der jeweiligen Geschäftsführung?

Kolb: Natürlich kommt es für kostendeckendes Arbeiten auch ganz wesentlich auf die Reaktion der Klinikleitung auf den neuen Gesetzgebungsrahmen und auf den sich insgesamt verändernden Markt im Gesundheitswesen an. Die Klinikleitung muss mögliche Risiken für den Fortbestand des Hauses zeitig erkennen, Schlüsse daraus ziehen und die notwendigen Maßnahmen umsetzen. Geschieht dies nicht, ist der Weg in das Insolvenzverfahren unvermeidlich. Soll die Insolvenz vermieden werden, ist es Aufgabe der Klinikleitung, ein entsprechendes Risikofrüherkennungssystem zu installieren und in diesem Zusammenhang auch über ein Insolvenz-Controlling zu verfügen, um auf der Basis der Auswertungsergebnisse die wirtschaftliche Lage zutreffend beurteilen zu können.

Frage: Was genau hat man sich unter einem Insolvenz-Controlling vorzustellen?

Kolb: Das Insolvenz-Controlling sollte ein fester Bestandteil des Risikofrüherkennungssystems in einer Klinik oder auch in einem Pflegeheim sein. Neben den normalen Aufgaben des Controllings – Erstellen und Auswerten von Daten, Schaffen der entsprechenden Steuerungsmöglichkeiten – soll es im Rahmen einer Prophylaxe mögliche Insolvenzgefahren und insoweit die Insolvenzgründe der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung rechtzeitig erkennen und damit Entscheidungen zur Vermeidung des Entstehens eines Krisenszenarios vorzubereiten helfen. Ferner soll das Insolvenz-Controlling die Basis dafür bereiten, dass im Falle des Vorliegens der Insolvenzgründe Strategien für deren Beseitigung entwickelt und damit die Insolvenzgefahr wieder beseitigt werden kann.

Frage: Im Rahmen der Insolvenzordnung wurde auch die Möglichkeit geschaffen, bereits wegen drohender Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag stellen zu können. Wird diese Möglichkeit der frühzeitigen Antragstellung von krisenbefangenen Krankenhäusern genutzt?

Kolb: Nein, leider nicht, wobei es ganz wesentlich davon abhängt, wie die Klinikleitung im Vorfeld des Insolvenzverfahrens beraten und unterstützt wird. Wenn sich die Klinikleitung rechtzeitig diese Unterstützung gesichert hat und gegebenenfalls auch schon im Vorfeld mit der Erstellung eines Insolvenzplanentwurfs begonnen wird, steigen die Chancen, dass es zu einer frühzeitigen Insolvenzantragstellung, insoweit wegen drohender Zahlungsunfähigkeit, kommt. Damit kann auch vermieden werden, dass zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits Löhne und Gehälter der Beschäftigten über einen oder mehrere Monate nicht beglichen sind.

Frage: Welche Chancen hat ein Krankenhaus noch im Insolvenzverfahren, und auf welche Veränderungen müssen sich etwa die stationären Patienten einstellen?

Kolb: Nach der Insolvenzantragstellung ergeben sich ganz unterschiedliche Möglichkeiten. Je nachdem, wie gut oder schlecht der Insolvenzantrag vorbereitet ist, ob er vom insolventen Krankenhaus selbst oder nur von einem Gläubiger im Rahmen eines Fremdantrages gestellt wurde, können sich günstige oder ungünstige Aussichten für die Fortführung des Krankenhausbetriebes ergeben. Voraussetzung für eine Fortführung des Hauses durch den Insolvenzverwalter ist zunächst die Feststellung im Rahmen einer so genannten Planrechnung, ob das Haus künftig kostendeckend geführt werden kann. Wird voraussichtlich keine Kostendeckung erreicht, kann der Klinikbetrieb zumindest auf Dauer so nicht fortgesetzt werden. Dann wird ein Insolvenzverwalter nach möglichen Partnern, Übernahmeinteressenten oder Investoren suchen, die am Erwerb des Krankenhauses Interesse haben.

Soweit sich aus der Planrechnung des Insolvenzverwalters positive Prognosen für den wirtschaftlichen Bestand des Krankenhauses ergeben, kann auch über die Möglichkeit des Insolvenzplanverfahrens am Ziel des Fortbestandes des Krankenhauses und des wesentlichen Teils der Arbeitsplätze gearbeitet werden. Die Kunst des vorläufigen Insolvenzverwalters bzw. nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens besteht dann darin, alle Beteiligten – dazu zählen als Insolvenzgläubiger insbesondere die Lieferanten und im Falle von offenen Löhnen und Gehältern auch die Mitarbeiter des Krankenhauses, der Krankenhausträger, die Krankenkassen und natürlich auch die Patienten – davon zu überzeugen, dass ein Fortbestand des Krankenhauses mit seinem medizinischen Angebot tatsächlich und wirtschaftlich sinnvoll ist. Der Charme des Insolvenzplanverfahrens liegt dabei im Fortbestand des Rechtsträgers, im Erhalt zumindest eines Teils der Arbeitsplätze und in einer erheblich kürzeren Dauer des Insolvenzverfahrens als im Falle eines Regelinsolvenzverfahrens. Bei einer guten Vorbereitung und Vorlage eines Planentwurfs zum Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung kann das Insolvenzplanverfahren bereits sechs Monate nach seiner Eröffnung erfolgreich beendet und ein entschuldetes und leistungsfähiges Krankenhaus hinterlassen werden.

Frage: Aus Ihrer Antwort ist zu entnehmen, dass Sie das Insolvenzplanverfahren für die beste Möglichkeit der Insolvenzabwicklung für ein Krankenhaus halten?

Kolb: Ja, das stimmt. Wenn eine Akzeptanz des Krankenhauses und seiner Leistungen bei den Krankenkassen und bei den Patienten gegeben ist sowie eine kostendeckende Arbeitsweise prognostiziert werden kann, ist das Ziel ganz klar der Erhalt und der Fortbestand des Krankenhauses. Für dieses Ziel sind häufig auch Sanierungsmaßnahmen durch den Insolvenzverwalter umzusetzen, um die kostendeckende Arbeitsweise erreichen zu können, dies lässt sich sehr gut mit Hilfe eines Insolvenzplanes erreichen.

Frage: Ein Blick in die Zukunft: Sehen Sie auch Chancen für die Krankenhäuser nach dem Ende der Konvergenzphase zum Jahresende 2008?

Kolb: Nach den bisherigen Erfahrungen in der Konvergenzphase haben Krankenhäuser auch unter den geänderten gesetzlichen Rahmenbedingungen ein erhebliches Entwicklungspotenzial. Dies gilt insbesondere im Bereich der verschiedenen medizinischen Leistungsangebote für die Patienten, des Images und insoweit auch des Marketings der Krankenhäuser. Wenn diese Chancen gesehen und ergriffen werden, bestehen gute Möglichkeiten, auch künftig am Markt zu bestehen und Krankenkassen wie Patienten von der eigenen Leistungsfähigkeit als Krankenhaus zu überzeugen. Viele Krankenhäuser haben sich bereits im Rahmen der Konvergenzphase auf die Veränderungen eingestellt und dürften deshalb auch gute Aussichten haben, künftig am Markt erfolgreich zu bestehen und kostendeckend arbeiten zu können.

In Gebieten, wo dafür keine Aussicht besteht, etwa weil eine Überversorgung mit medizinischen Leistungen besteht oder aufgrund einer Bevölkerungsabwanderung immer weniger potenzielle Patienten im Einzugsbereich des Krankenhauses leben, sollten die Möglichkeiten eines Insolvenz- bzw. eines Insolvenzplanverfahrens von der Klinikleitung erkannt werden.

Der Text ist zur Verwendung und zum Zitat freigegeben. Fotomaterial zu Tilo Kolb unter: www.schubra.de/de/presse/presseservice/presseaps/p_kolb_tilo.php

Kontakt:

Rechtsanwältin und Pressesprecherin Ronja Sebode, Schultze & Braun, Niederlassung Achern, RSebode@schubra.de, Tel.: 07841/708-0

Die Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH ist eine Gesellschaft von Rechtsanwälten, die sich seit über 20 Jahren mit allen Fragen der Insolvenz- und Zwangsverwaltung beschäftigt. Bundesweit sind bei Schultze & Braun über 40 Insolvenzverwalter an 29 Standorten tätig, es werden jährlich Hunderte von Insolvenzverfahren bearbeitet. Dabei wird die gesamte Spannbreite von der Insolvenz der natürlichen Person bis zur internationalen Großinsolvenz abgewickelt. Darüber hinaus verfügt Schultze & Braun über eine internationale Abteilung und Niederlassungen im Ausland und damit über das Know-how, auch grenzüberschreitende Insolvenzverfahren effektiv zu betreuen.

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