Stellungnahme der Kanzlei Noerr zur morgigen Bundesratssitzung / „Vergaberechtliche Zeitenwende“
Am heutigen Freitag stehen drei für die Vergabe öffentlicher Aufträge wichtige Gesetzentwürfe auf der Agenda des Bundesrats – mit dem Vergabebeschleunigungsgesetz soll die öffentliche Vergabe einfacher, schneller und flexibler und mit dem Beschaffungsbeschleunigungsgesetz die Bundeswehr schneller neu ausgerüstet werden. Zudem steht das Tariftreuegesetz auf der Tagesordnung.
Hierzu nehmen unsere Rechtsanwälte Dr. Julian von Lucius und Salomo Ortega Sawal von der Kanzlei Noerr Stellung.
Zum Beschaffungsbeschleunigungsgesetz und zum Vergabebeschleunigungsgesetz teilt Dr. Julian von Lucius, Associated Partner der Kanzlei Noerr mit:
„Mit den beiden Gesetzentwürfen steht die größte Reform des Vergaberechts seit knapp zehn Jahren an – beinahe schon eine vergaberechtliche Zeitwende.
Das Vorhaben der Bundesregierung, Vergabeverfahren zu straffen und zu vereinfachen, ist begrüßenswert und kann dazu beitragen, die anstehenden Investitionsvorhaben zügig voranzutreiben. Der Gesetzgeber darf dabei aber nicht über das Ziel hinausschießen. Ohne funktionierenden Wettbewerb steigen für Kosten für die öffentlichen Haushalte, werden Innovationen verpasst und die Abhängigkeit zu einzelnen Anbietern vertieft.
Die geplante Einschränkung des gerichtlichen Rechtsschutzes ist daher sehr kritisch zu beurteilen. Gerade innovative, junge Unternehmen und Start-ups brauchen im Zweifel effektiven Rechtsschutz, den die Regierung hier unnötigerweise opfern will. Fälle, in denen lange Gerichtsverfahren geplante Beschaffung erheblich verzögern, sind sehr selten.
Das eigentliche Problem sind die (über-)langen Zeiträume zur Vorbereitung und Durchführung der Vergabeverfahren. Es ist daher wenig überraschend, dass auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme angemahnt hat, ein ausreichendes Rechtsschutzniveau müsse gewährleistet bleiben.“
Zum Tariftreuegesetz teilt Salomo Ortega Sawal, Rechtsanwalt bei der Kanzlei Noerr mit:
„Das geplante Tariftreuegesetz, welches eine Stärkung der Tarifautonomie bezweckt, ist Gegenstand kontroverser Diskussionen und kann für Unternehmen zu wesentlichen Herausforderungen, insbesondere bürokratischem Aufwand, sowie Rechtsunsicherheit führen. So begegnet insbesondere die Einbeziehung von Lieferleistungen in den Anwendungsbereich erheblichen Bedenken, welche auch der Bundesrat in seiner kommenden Sitzung aufgreift. So empfiehlt der federführende Ausschuss den Anwendungsbereich für das Bundestariftreuegesetz auf die Vergabe und Ausführung öffentlicher Bau- und Dienstleistungen zu beschränken und von der Einbeziehung von Lieferleistungen abzusehen, da sich der Leistungsbezug bei derartigen Aufträgen nur schwerlich herstellen lässt und Benachteiligungen für deutsche Unternehmen eintreten können, wenn die Lieferleistungen ein ausländisches Unternehmen ausführt, ohne selbst Zulieferer zu sein.
Darüber hinaus bietet der bisherige Gesetzentwurf keine Befreiungsmöglichkeit solcher Unternehmen, die ohnehin bereits tarifgebunden sind oder deren Bezahlung, Urlaubs- und Arbeitszeitregelungen in Anlehnung an einen Tarifvertrag erfolgen, sodass auch jene Unternehmen gleichsam den bürokratischen Belastungen der zu beachtenden Ausführungsbedingungen unterworfen wären.
Es bleibt daher im weiteren parlamentarischen Verfahren abzuwarten, ob der Bundestag diese Kritikpunkte zum Anlass nimmt, das Gesetz grundlegend zu überabeiten und auch den drohenden bürokratischen Aufwand für Unternehmen reduziert. Insbesondere wird er bei der Ausgestaltung die differenzierte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs – namentlich die Entscheidungen “Rüffert” – “Bundesdruckerei” und “RegioPost” – zu beobachten haben.”