Vor-Ort-Apotheken dürfen „lokalen Versand“ durchführen / FGvW erstreitet Grundsatzurteil am Bundesverwaltungsgericht

28.04.2020

Freiburg, 27.04.2020: Apotheken können in ihrem Umfeld im Rahmen des Versandhandels stationäre Einrichtungen zum Sammeln von Verschreibungen und Arzneimittel-Bestellungen errichten und die bestellten Medikamente durch eigene Boten ausliefern lassen. Ein solches Angebot ist über die Versandhandelserlaubnis gedeckt und stellt keine genehmigungspflichtige Rezeptsammelstelle dar. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem ersten Verfahren nach dem coronabedingten Lockdown in einem Grundsatzurteil entschieden (Az.: 3 C 16.18). Die Leipziger Richter klären damit das Verhältnis von lokalem Versand von Arzneimitteln zu genehmigungspflichtigen Rezeptsammelstellen.

Im Dezember 2014 hatte die Inhaberin der Pinguin Apotheke im westfälischen Herne eine stationäre Einrichtung in einem Edeka-Supermarkt zum Sammeln von Arzneimittelbestellungen sowie Verschreibungen installiert. Hiergegen schritt die Stadt Herne als Aufsichtsbehörde ein. Aus ihrer Sicht handelte es sich um eine nicht genehmigte Rezeptsammelstelle in einem Gewerbebetrieb.

Gegen die im Oktober 2015 erlassene Ordnungsverfügung klagte die Apothekerin. Nach ihrer Auffassung handelt es sich um eine „erlaubnisfreie Pick-up-Stelle“, die sie im Wege des Versandhandels betreibe. Insoweit berief sie sich auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2008, die solche Einrichtungen einer niederländischen Versandapotheke in einer deutschen Drogeriemarktkette für zulässig erachtet hatte.

Zunächst hatte die Apothekerin weder vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen noch vor dem Oberverwaltungsgericht Münster (OVG) Erfolg. Nach Auffassung des OVG komme es auf den Gesamteindruck an. Da die Bestellungen durch eigenes Personal der Apotheke abgeholt und im Einzugsgebiet der Apotheke auch die Arzneimittel durch diese Boten ausgeliefert würden läge kein Versandhandel vor. Dafür spreche auch, dass durch die Einrichtung nur die Kunden angesprochen werden würden, die im Einzugsgebiet des Edeka-Marktes leben würden. Demgegenüber sei ein Versandhandel auf eine bundesweite Belieferung von Patienten ausgerichtet. Aus diesem Grund könne sich die Klägerin auch nicht auf die Entscheidung aus dem Jahr 2008 berufen, zumal insoweit fraglich sei, ob diese nach der Änderung der ApoBetrO im Jahr 2012 noch einschlägig sei.

Das BVerwG gab der Revision statt und hob die Instanzurteile sowie Ordnungsverfügung auf. Zunächst stellte das Gericht klar, dass es keine Gründe gäbe, warum die Entscheidung aus dem Jahr 2008 nicht mehr einschlägig sein solle. Soweit Instanzgerichte dies vereinzelt anders gesehen hätten, sei dies nicht zu begründen. Die von der Klägerin betriebene Einrichtung zum Sammeln von Rezepten und Bestellungen von Arzneimitteln sei von ihrer Versandhandelserlaubnis umfasst. Die Vorschriften des Apotheken- und des Arzneimittelrechts über den Versand von apothekenpflichtigen Arzneimitteln schlössen eine Zustellung durch eigene Boten der Apotheke weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Regelungszweck aus. Dem Begriff des Versandhandels unterfalle auch ein Vertriebsmodell, das auf einen Versand im örtlichen Einzugsbereich der Apotheke ausgerichtet ist und hierfür eigene Boten der Apotheke einsetzt. Die Arzneimittelsicherheit sei nicht mehr gefährdet als beim Versand über größere Entfernungen mittels externer Versanddienstleister. Gerade in der aktuellen Situation bestünde, so der Senat in der mündlichen Verhandlung, für derartige Leistungen ein Bedürfnis. Dass eine Zulassung dieses Vertriebsmodells zu einem signifikanten Rückgang der Apothekendichte und einer Gefährdung der Arzneimittelversorgung führen könnte, sei ebenfalls nicht ersichtlich.

Mit dieser Entscheidung dürfte auch ein zivilrechtliches Parallelverfahren, das von einer Mitbewerberin der nunmehr vor dem BVerwG erfolgreichen Apothekerin eingeleitet worden war, zum Abschluss kommen. Das OLG Hamm hatte in einer wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzung das Verfahren mit Blick auf das anhängige Revisionsverfahren vor dem BVerwG ausgesetzt.

Die Apothekerin der Pinguin-Apotheke setzte in diesem Verfahren auf das auf Apotheken-, Wettbewerbs- und Arzneimittelrecht spezialisierten Team der Wirtschaftskanzlei Friedrich Graf von Westphalen & Partner in Freiburg unter Führung des Partners Dr. Morton Douglas und Associate Ilva Schiessel. FGvW-Partner Dr. Morton Douglas berät bundesweit Apotheken und Apothekenkooperationen in apothekenrechtlichen und arzneimittelrechtlichen Fragestellungen. Auch die klagende Apothekerin wird bereits seit Jahren umfassend beraten. Zuletzt erwirkte Dr. Douglas im Februar 2020 eine Vorlage des BGH an den EuGH zu der Frage, ob die 2016 getroffene EuGH-Entscheidung zur Anwendbarkeit des Arzneimittelpreisrechts auf im Ausland ansässige Versandapotheken sich auch auf die Anwendung der Vorschriften auf das HWG durchschlägt.

Berater/Vertreter Pinguin-Apotheke

Friedrich Graf von Westphalen & Partner, Freiburg
Dr. Morton Douglas, Partner (Apothekenrecht, Wettbewerbsrecht, Arzneimittelrecht)
Ilva Schiessel, Associate (Apothekenrecht, Wettbewerbsrecht, Arzneimittelrecht)

Berater/Vertreter Stadt Herne

Barbara Schulte-Heinrichs (Leiterin Rechtsamt)
Tanja Pixberg (Amtsapothekerin)
Bettina Spitzenberger (Amtsapothekerin)

Bundesverwaltungsgericht (3. Senat)

Dr. Renate Philipp (Vorsitzende)
Stefan Liebler, Prof. Dr. Peter Wysk, Dr. Kirsten Kuhlmann, Dr. Markus Kenntner

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