AG Hamburg: Bekanntmachung der Eröffnung eines vorläufigen Insolvenzverfahrens mit EU-Bezug als „Hauptinsolvenzverfahren“

09.06.2009

EuInsVO Art. 3, 16; EGInsO Art. 102 § 2; InsO § 9

Bekanntmachung der Eröffnung eines vorläufigen Insolvenzverfahrens mit EU-Bezug als „Hauptinsolvenzverfahren“

AG Hamburg, Beschl. v. 11. 2. 2009 – 67c IE 1/09

Leitsätze des Gerichts:

1. Im Anwendungsbereich der EuInsVO ist die Geltungswirkung des Art. 16 Abs. 1 EuInsVO durch die ergänzende Klarstellung herbeizuführen, dass das Insolvenzgericht mit der Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung ein Hauptinsolvenzverfahren gem. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO betreibt. Dies ist gem. Art. 102 § 2 EGInsO analog zur Zuständigkeit zu begründen. Der Beschluss ist gem. § 9 InsO bekanntzumachen.

2. Erkennt das Insolvenzgericht im Insolvenzeröffnungsverfahren einen grenzüberschreitenden Vermögensbezug der schuldnerischen Masse ins Ausland, ist das Verfahren als „IE“-Verfahren aktenzeichenmäßig umzutragen.

Gründe:

Der Ergänzungsbeschluss zum Anordnungsbeschluss betreffend die vorläufige Verwaltung mit Zustimmungsvorbehalt ist gem. Art. 102 EGInsO § 2 analog zu begründen (so zutreffend Reinhart, NZI 2009, 73, 76), da die Zuständigkeit für ein Hauptinsolvenzverfahren i.S.v. Art. 3, 16 EuInsVO damit reklamiert werden soll.

Das vorliegende Verfahren ist ein Verfahren mit Vermögensbezug in das der EuInsVO unterliegende europäische Ausland (hier konkret: Polen). Die hiesige Insolvenzschuldnerin hält die 100 %igen Anteile an einer polnischen Tochtergesellschaft. Das Verfahren hatte daher nunmehr, nachdem sich dies herausgestellt hat, das Aktenzeichen „IE“ nach der Aktenordnung zu erhalten und ist umgetragen worden.

Der Anwendungsanlass der EuInsVO ist gegeben: Das internationale Insolvenzrecht regelt Insolvenzen, bei denen das Schuldnervermögen auf mehrere Länder verteilt ist. Erforderlich ist ein „grenzüberschreitender Bezug“ des Insolvenzsachverhalts, d.h., dass sich ein Sachverhalt unter eine Regelung der EuInsVO subsumieren lässt, z.B. genügt bereits das Vorhandensein eines Gläubigers in einem anderen Mitgliedstaat zur Bejahung des Bezuges, Art. 39 EuInsVO (AG Hamburg ZIP 2007, 1767 = ZInsO 2007, 829 (Fischereifahrzeuge im Ausland); AG Hamburg ZIP 2006, 1642 = ZInsO 2006, 1006 (Gläubiger in Polen genügt für EuInsVO-Verfahren); so auch: Knof, NZI 2006, 653; Herchen, ZInsO 2003, 742, 743 f. m.w.N. Fußn. 22; MünchKomm-Reinhart, InsO, 2. Aufl., Art. 2 EuInsVO Rz. 21; Reinhart, NZI 2009, 73, 76: bereits wenn der Schuldner Drittschuldner mit COMI in einem anderen Land der EuInsVO habe).

Das Insolvenzgericht Hamburg ist für das Haupinsolvenzverfahren zuständig i.S.v. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO. Nach Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO sind für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens die Gerichte des Mitgliedstaates international zuständig, in dem der Schuldner den „Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen“ (= center of main interests = COMI) hat. Für Gesellschaften und juristische Personen gilt dabei die widerlegbare gesetzliche Vermutung, dass dieser Mittelpunkt der satzungsmäßige Sitz der Gesellschaft ist (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO). Dies wird auch durch die EuGH-Entscheidung vom 2.5.2006 (ZIP 2006, 907 = ZInsO 2006, 484 = NJW 2006, 2682 – Eurofood/Parmalat, dazu: Mankowski, BB 2006, 1753; zur Rezeption in Europa und den USA: J. Schmidt, ZIP 2007, 405; zusammenfassend: Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 896) bestätigt, wonach „Article 3 (1) of the Regulation provides that, in the case of company, the place of the registered office shall be presumed to be the centre of its main interests in the absence of proof to the contrary“.

Abzustellen ist bei der diesbezüglichen Untersuchungsfrage auf den Zeitpunkt der Antragstellung (EuGH ZIP 2006, 188 (m. Anm. Knof/Mock) = ZVI 2006, 108 = ZInsO 2006, 86 (m. ZIP 2009, Seite 1025zust. Anmerkung J. Schmidt), dazu EWiR 2006, 141 (Vogl); AG Celle NZI 2005, 410; OLG Köln NZI 2003, 567; OLG Frankfurt/M. ZIP 2002, 1956 = ZVI 2002, 319 = NZI 2002, 499; OLG Naumburg ZIP 2001, 753, dazu EWiR 2001, 875 (Voss); OLG Hamm NZI 2000, 220; Mankowski, NZI 2005, 368, 369 m.w.N.; EuGH-GA ZIP 2005, 1641 (m. Anm. Brenner) = ZVI 2005, 476). Zum Zeitpunkt der Antragstellung befanden sich die Geschäftsräumlichkeiten, sämtliche Arbeitnehmer, die operative Tätigkeit und die Geschäftsunterlagen der Schuldnerin in Hamburg. Damit ist die hiesige internationale Zuständigkeit im Sinne des center of main interests begründet. Zur Klarstellung der Kompetenzen des vorläufigen Verwalters ergeht der vorliegende Beschluss.

Gemäß Art. 25 Abs. 1 EuInsVO sind die Sicherungsmaßnahmen eines Insolvenzgerichts im Ausland anzuerkennen und deren Vollstreckung zu ermöglichen. Der vorläufige Insolvenzverwalter kann gem. Art. 38 EuInsVO jede Sicherungsmaßnahme beantragen, die nach dem Recht des Staates, wo diese beantragt werden soll, im Eröffnungsverfahren zulässig wäre.

Schwierigkeiten bereitet allerdings die gegenseitige Kenntnisnahme der Insolvenzgerichte, die der Geltung der EuInsVO unterworfen sind, von ihren jeweiligen Maßnahmen. Denn eine gemeinsame Internet-Seite zwecks Veröffentlichung von Sicherungsmaßnahmen und Eröffnungsentscheidungen gibt es derzeit nicht. Wenn also bereits eine Anordnung vorläufiger Insolvenzverwaltung die Eröffnung eines Hauptverfahrens in einem anderen Land der EuInsVO sperren würde (dafür Reinhart, NZI 2009, 73, 75 m.w.N., zumindest bei klarstellendem Beschluss), wäre dies praktisch nur bei Kenntnis des ggf. betroffenen ausländischen Gerichts von dieser Maßnahme umzusetzen. Wagner (ZIP 2006, 1934, 1938) hält eine Veröffentlichung analog Art. 21 EuInsVO für geboten, dies gilt jedoch nur auf Antrag des Hauptinsolvenzverwalters. Gemäß Art. 102 § 5 Abs. 2 Satz 1 EGInsO müsste ein Hauptinsolvenzverfahren von Amts wegen öffentlich bekannt gemacht werden, wenn das schuldnerische Unternehmen im Inland eine Niederlassung besitzt. Diese Vorschrift gilt aber eben nicht für das hier in Rede stehende betroffene europäische Ausland.

Das AG Köln (ZIP 2006, 628 = NZI 2006, 57; zustimmende Anmerkung: Mankowski, EWiR 2006, 109) behilft sich deswegen wohl damit, den Antragsteller im Rahmen der Zulässigkeit seines Antrages dazu zu verpflichten, vorzutragen, dass in keinem anderen EuInsVO-Land bisher entsprechende Maßnahmen erfolgt sind bzw. ein Hauptverfahren eröffnet wurde. Letzteres ist vorliegend definitiv betreffend die Schuldnerin nicht der Fall. Zusätzlich wird der vorliegende Beschluss aber im Sinne der vorgenannten Überlegungen zur Sicherheit zumindest im Internet gem. § 9 InsO veröffentlicht.

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