AG Hamburg: Insolvenzantragspflicht der Gesellschafter wegen Führungslosigkeit der GmbH nur bei nicht existierendem organschaftlichen Vertreter

25.02.2009

InsO § 10 Abs. 2, § 15 Abs. 1 Satz 2, § 15a; GmbHG § 35

Insolvenzantragspflicht der Gesellschafter wegen Führungslosigkeit der GmbH nur bei nicht existierendem organschaftlichen Vertreter

AG Hamburg, Beschl. v. 27. 11. 2008 – 67c IN 474/08

Leitsatz des Gericht:

„Führungslosigkeit“ i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 2 InsO n.F. liegt nur dann vor, wenn der organschaftliche Vertreter der Gesellschaft tatsächlich oder rechtlich nicht mehr existiert. Ein „unbekannter Aufenthalt“ genügt nicht.

Gründe:

I. Der Antragsteller ist alleiniger Gesellschafter der X. GmbH. Er stellt unter dem 6.11.2008 Insolvenzantrag für die GmbH und trägt anwaltlich vertreten vor: „Die Gesellschaft ist eventuell führungslos. Ende Mai 2008 fand in den damaligen Geschäftsräumen der Gesellschaft eine Durchsuchung der Steuerfahndung statt. Dabei wurden umfangreiche Geschäftsunterlagen beschlagnahmt. Im Anschluss an diese Durchsuchung verschwand der Geschäftsführer. Seit Anfang/Mitte Juni hat unser Mandant keinen Kontakt zu dem Geschäftsführer, der aber nach Kenntnis unseres Mandanten seine Geschäftsführung auch nicht niedergelegt hat.“

Das Gericht hat unter dem 11.11.2008 auf mangelnde Glaubhaftmachung hingewiesen. Der Antragsteller bittet daraufhin ohne weiteren Vortrag um Prüfung und Entscheidung von Amts wegen.

II. Der Antrag ist unzulässig. Der Antragsteller stellt Insolvenzantrag gemäß der neuen Fassung des § 15 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. § 15a Abs. 3 InsO (in Kraft seit 1.11.2008).

Gemäß § 15 Abs. 2 Satz 2 InsO, der erst durch den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages in das MoMiG auf Anregung des Bundesrates eingefügt wurde (BT.-Drucks. 16/9737 v. 24.6.2008, dort zu Art. 9 Nr. 2), ist die Führungslosigkeit glaubhaft zu machen. Die Mittel der Glaubhaftmachung ergeben sich aus § 294 ZPO. Der Antragsteller hat seinem Antrag aber keine der dort genannten möglichen Glaubhaftmachungen beigefügt. Auch auf Hinweis des Gerichts wurde keine solche nachgereicht. Der Antragsteller schreibt in seinem Antrag selbst von „eventueller“ Führungslosigkeit.

Der Antrag ist aber auch aus anderen Gründen unzulässig. Eine „Führungslosigkeit“ liegt nach dem Vorbringen des Antragstellers, selbst wenn es glaubhaft gemacht wäre, nicht vor.

Der Geschäftsführer hat sein Amt nach antragstellerseitigem Vorbringen nicht niedergelegt. Die „Führungslosigkeit“ ist in § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG und in § 10 Abs. 2 Satz 2 InsO n.F. seit 1.11.2008 legal definiert: Danach ist eine juristische Person „führungslos“, die keinen organschaftlichen Vertreter „hat“. Nach dem objektiven Empfängerhorizont ist diese Bestimmung so auszulegen, dass der organschaftliche Vertreter rechtlich oder tatsächlich nicht mehr existieren darf. Der Regierungsentwurf zum MoMiG (RegE v. 23.5.2007, Beilage zu ZIP Heft 23/2007, BT-Drucks. 16/172 – Beschlussfassung) hat ausdrücklich (dort S. 127 zu Art. 9 Nr. 3, § 15a Abs. 3 InsO) die Fassung des Referentenentwurfes, nach welcher es genügen sollte, wenn der Aufenthalt des organschaftlichen Vertreters „unbekannt“ war, fallengelassen. Damit ist klargestellt, dass „Führungslosigkeit“ nur dann vorliegt, wenn der organschaftliche Vertreter nicht mehr lebt oder sein Amt niedergelegt hat (Römermann, NZI 2008, 641, 645).

Der gegenteiligen Ansicht, die selbst nach dem Gesetzgebungsverfahren noch annehmen möchte, dass das Verschwinden des organschaftlichen Vertreters zugleich „konkludente Amtsniederlegung“ sein könnte (Gehrlein, BB 2008, 846, ZIP 2009, Seite 334848), ist nicht zu folgen, denn diese Auslegung würde die Gesellschafter und die Gesellschaft in einen „Graubereich“ der möglichen Antragspflicht bzw. -konfrontation bringen, da kaum je zuverlässig ermittelbar sein wird, mit welcher Willensrichtung und ob überhaupt, der organschaftliche Vertreter wirklich „unbekannten Aufenthaltes“ ist. Es wäre dann unklar, ob es genügen solle, wenn er für die Gesellschafter nicht mehr erreichbar ist, oder ob es erst genügt, wenn er für Behörden und sein gesamtes Umfeld nicht mehr erreichbar ist und auch Nachforschungen nach seinem Verbleib ins Leere laufen. Dann könnte auf das Tatbestandsmerkmal des Fehlens eines organschaftlichen Vertreters in den vorgenannten Bestimmungen gänzlich verzichtet werden (zu Recht: Römermann, NZI 2008, 641, 645).

Der Antrag des Antragstellers war daher zurückzuweisen, denn er hat ausdrücklich vorgetragen, dass der Geschäftsführer sein Amt nicht niedergelegt hat.

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