BAG: Anspruch auf Entgeltdifferenz wegen Geschlechtsdiskriminierung - Paarvergleich
Männer und Frauen haben bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit Anspruch auf gleiches Ent gelt. Klagt eine Arbeitnehmerin auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit, begründet der Umstand, dass ihr Entgelt geringer ist als das eines männlichen Kollegen, der die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichtet, regelmäßig die Vermutung, dass diese Be nachteiligung wegen des Geschlechts erfolgt ist. Kann der Arbeitgeber die aus einem solchen Paarvergleich folgende Vermutung einer Benachteiligung wegen des Geschlechts nicht wi derlegen, ist er zur Zahlung des Entgelts verpflichtet, das er dem zum Vergleich herangezo genen Kollegen gezahlt hat. Dies gibt die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union vor.
Die Klägerin begehrt von ihrem beklagten Arbeitgeber hinsichtlich mehrerer Entgeltbestand teile rückwirkend die finanzielle Gleichstellung mit bestimmten männlichen Vergleichsperso nen. Zur Begründung ihrer Ansprüche hat sie sich ua. auf Angaben der Beklagten in einem sog. Dashboard gestützt, welches im Intranet der Erteilung von Auskünften im Sinne des Ent gelttransparenzgesetzes dient. Das Einkommen der von der Klägerin zum Vergleich herange zogenen Kollegen liegt über dem Medianentgelt aller in derselben Hierarchieebene angesie delten männlichen Arbeitnehmer. Die Beklagte hat geltend gemacht, dass die zum Vergleich herangezogenen Kollegen nicht die gleiche oder gleichwertige Arbeit wie die Klägerin ver richten. Zudem beruhe die unterschiedliche Entgelthöhe auf Leistungsmängeln der Klägerin. Aus diesem Grund werde die Klägerin auch unterhalb des Medianentgelts der weiblichen Vergleichsgruppe vergütet.
Das Landesarbeitsgericht hat die - auf einen Ausgleich der Entgeltdifferenz zu den benann ten Vergleichspersonen gerichteten - Hauptanträge abgewiesen. Es hat insoweit angenom men, die Klägerin könne sich für die Vermutung einer Entgeltbenachteiligung nicht auf eine einzige Vergleichsperson des anderen Geschlechts berufen. Angesichts der Größe der männ lichen Vergleichsgruppe und der Medianentgelte beider vergleichbarer Geschlechtergrup pen bestehe keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine geschlechtsbedingte Benach teiligung und damit kein Indiz iSv. § 22 AGG. Die Klägerin habe aber hinsichtlich einzelner Vergütungsbestandteile einen Anspruch in Höhe der Differenz zwischen dem Medianentgelt der weiblichen und dem der männlichen Vergleichsgruppe.
Der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat das Urteil des Landesarbeitsgerichts auf die Revision der Klägerin und die beschränkte Anschlussrevision der Beklagten teilweise aufge hoben und die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Über die auf einen Paarvergleich gestützten Hauptanträge kann noch nicht abschließend ent schieden werden. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts bedarf es bei einer Ent geltgleichheitsklage keiner überwiegenden Wahrscheinlichkeit für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung. Ein solches Erfordernis wäre mit den Vorgaben des primären Unionsrechts unvereinbar. Für die - vom Arbeitgeber zu widerlegende - Vermutung einer Entgeltbenach teiligung wegen des Geschlechts genügt es, wenn die klagende Arbeitnehmerin darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass ihr Arbeitgeber einem anderen Kollegen, der gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichtet, ein höheres Entgelt zahlt. Die Größe der männlichen Ver gleichsgruppe und die Höhe der Medianentgelte beider Geschlechtsgruppen ist für das Ein greifen der Vermutungswirkung ohne Bedeutung. Die Klägerin hat - unter Verweis auf die Angaben im Dashboard - in Bezug auf eine Vergleichsperson hinreichende Tatsachen vorge tragen, die eine geschlechtsbedingte Entgeltbenachteiligung vermuten lassen. Das Landes arbeitsgericht wird im fortgesetzten Berufungsverfahren zu prüfen haben, ob die Beklagte diese Vermutung - ungeachtet der Intransparenz ihres Entgeltsystems - widerlegt hat. Bei den Parteien ist Gelegenheit zur Ergänzung ihres Sachvortrags zu geben.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. Oktober 2025 - 8 AZR 300/24 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 1. Oktober 2024 - 2 Sa 14/24 -

