BAG: Anspruch der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes gegen die Insolvenzmasse auf Sozialkassenbeiträge trotz Freigabe des Betriebs

04.06.2009

InsO §§ 35, 36, 55 Abs. 1 Nr. 2, § 209 Abs. 1 Nr. 3; TVG § 1

Anspruch der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes gegen die Insolvenzmasse auf Sozialkassenbeiträge trotz Freigabe des Betriebs

BAG, Urt. v. 5. 2. 2009 – 6 AZR 110/08

Leitsatz des Gerichts:

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Einzelunternehmers, der einen Betrieb des Bauhauptgewerbes geführt hat, ändert für sich allein nichts an der weiteren Anwendbarkeit des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV). Dies gilt auch dann, wenn der Insolvenzverwalter den Geschäftsbetrieb einstellt und allen Arbeitnehmern kündigt. Die Ansprüche der Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes (ZVK) auf Sozialkassenbeiträge bis zur rechtlichen Beendigung der einzelnen Arbeitsverhältnisse sind Masseverbindlichkeiten.

Tatbestand:

[1]

 Die klagende Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes (ZVK) verlangt von dem beklagten Insolvenzverwalter Zahlung von Beiträgen zu den Sozialkassen des Baugewerbes für die Zeit vom 19. November 2004 bis zum 15. Januar 2005 i.H. v. 1.396,84 €.

 

[2]

 Der Insolvenzschuldner führte als Einzelunternehmer einen Baubetrieb. Am 19. November 2004 wurde über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Beklagte stellte den Geschäftsbetrieb zum 19. November 2004 ein und kündigte die Arbeitsverhältnisse der beiden verbliebenen Arbeitnehmer unter Freistellung zum 31. Dezember 2004 und 15. Januar 2005. Mit Schreiben vom 6. Dezember 2004 teilte der Beklagte dem Schuldner mit, er gebe vorsorglich den Gewerbebetrieb des Schuldners aus der Insolvenzmasse frei; etwa bestehende Arbeitsverhältnisse gingen daher auf den Schuldner über. Am 12. Oktober 2007 zeigte der Beklagte dem Insolvenzgericht die Masseunzulänglichkeit an.

 

[3]

 Die klagende ZVK hat geltend gemacht, der Beklagte schulde bis zur Beendigung der Arbeitsverhältnisse Beiträge zu den Sozialkassen. Der Anspruch sei nicht durch die vorsorgliche Freigabe des Betriebs aus der Insolvenzmasse entfallen.

 

[6]

 Die Vorinstanzen haben der auf Zahlung der Beiträge gerichteten Klage stattgegeben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

[7]

 Die Revision des Beklagten ist nicht begründet.

 

[8]

 I. Die Klage ist zulässig.

 

[9]

 1. Die von der Klägerin zunächst erhobene Leistungsklage war zulässig. Die Klägerin hat gegen den Beklagten Masseverbindlichkeiten i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO geltend gemacht. Hierunter fallen alle Arbeitsentgeltansprüche, die aus der Beschäftigung von Arbeitnehmern nach Verfahrenseröffnung durch den Insolvenzverwalter erwachsen, und zwar in der Höhe, die sich aus dem jeweiligen Arbeitsvertrag ergibt, sowie alle sonstigen Ansprüche, die sich aus dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ergeben. Dies gilt unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung erbringt (Senat v. 19.1.2006 – 6 AZR 529/04, BAGE 117, 1 = ZIP 2006, 1366, Rz. 18). Die Beitragsschuld des Arbeitgebers zu den Sozialkassen des Baugewerbes ist nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die fortbestehenden Arbeitsverhältnisse eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO, weil die Verpflichtung zur Zahlung des Sozialkassenbeitrags unmittelbar an den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers gegen den baugewerblichen Arbeitgeber anknüpft.

 

[10]

 2. Die Klage ist nachträglich im Verlauf des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens infolge der Anzeige der Massenunzulänglichkeit vom 12. Oktober 2007 unzulässig geworden.

 

[11]

 a) Nach § 210 InsO ist die Vollstreckung wegen einer Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 2, § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig, sobald der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit der Insolvenzmasse angezeigt hat. Daher können Altmasseverbindlichkeiten nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht mehr im Wege der Leistungs-, sondern nur mit der Feststellungsklage verfolgt werden (BGH v. 3.4.2003 – IX ZR 101/02, BGHZ 154, 358, 363 = ZIP 2003, 914 = ZVI 2003, 468, zu III 1 der Gründe, dazu EWiR 2003, 651 (Tetzlaff)). Für Leistungsklagen entfällt insoweit ab der Anzeige der Massenunzulänglichkeit das Rechtsschutzbedürfnis (vgl. BAG v. 11.12.2001 – 9 AZR 459/00, ZIP 2002, 628 = AP InsO § 209 Nr. 1 = EzA InsO § 210 Nr. 1, dazu EWiR 2002, 815 (Berscheid); BAG v. 4.6.2003 – 10 AZR 586/02, ZIP 2003, 1850 = AP InsO § 209 Nr. 2 = EzA InsO § 209 Nr. 1, dazu EWiR 2004, 243 (Pape)).

 

[12]

 b) Dem steht nicht entgegen, dass nach § 888 Abs. 3 ZPO im Falle der Verurteilung zur Leistung von Diensten aus einem Dienstvertrag die Zwangsvollstreckung durch Zwangsgeld und Zwangshaft ausgeschlossen ist, gleichwohl aber eine Verurteilung zur Leistung von Diensten für zulässig gehalten wird. Es besteht ein grundlegender Unterschied zwischen dem Vollstreckungsverbot in § 888 Abs. 3 ZPO und der Regelung des § 210 InsO. Das Vollstreckungsverbot in § 888 Abs. 3 ZPO dient dem Schutz der Menschenwürde. Auch solche un-ZIP 2009, Seite 985vertretbaren Handlungen, die nach materiellem Recht geschuldet sind, sollen nicht erzwungen werden, wenn die Ausübung staatlichen Zwangs die Menschenwürde verletzen würde. Demgegenüber soll § 210 InsO dem Insolvenzverwalter ermöglichen, die vom Gesetzgeber in § 209 InsO vorgesehene Rangordnung bei der Begleichung von Masseschulden durchzusetzen. § 210 InsO dient der gerechten Risikoverteilung innerhalb der Verlustgemeinschaft der Gläubiger. Hinzu kommt, dass das Insolvenzgericht nicht prüft, ob die Anzeige der Masseunzulänglichkeit zu Recht erfolgt ist. Ließe man trotzdem Leistungsklagen in den Fällen des § 210 InsO zu, müsste der Insolvenzverwalter die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung jeweils gem. § 766 ZPO durch Erinnerung geltend machen. Er würde in ein zusätzliches Verfahren gedrängt. Der Vereinfachungs- und Beschleunigungsgewinn, den die §§ 208, 210 InsO nach dem ausdrücklich bekundeten Willen des Gesetzgebers (vgl. Beschl. Empf. des Rechtsausschusses zu § 234 der BT-Drucks. 12/7302, S. 179, 180) erbringen sollen, wäre verspielt (BAG ZIP 2002, 628 = AP InsO § 209 Nr. 1 = EzA InsO § 210 Nr. 1).

 

[13]

 3. Die Klägerin konnte ihren Zahlungsantrag auch noch in der Revisionsinstanz in einen Feststellungsantrag umstellen. Der Übergang von einer Leistungs- zu einer Feststellungsklage stellt eine Beschränkung des Klageantrags und somit gem. § 264 Nr. 2 ZPO keine Klageänderung dar (vgl. BAG v. 28.6.2005 – 1 ABR 25/04, BAGE 115, 165, 168 = ZIP 2006, 152 (LS)). Eine wirksame Antragsumstellung erfordert, dass sich aus dem bisherigen Streitstoff das Rechtsschutzinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO ergibt und zur Begründung des Feststellungsantrags der Vortrag neuer Tatsachen nicht notwendig ist (BAG v. 3.9.1986 – 4 AZR 355/85, BAGE 53, 8, 12). Diese Voraussetzungen sind beim Übergang von der Leistungs- auf die Feststellungsklage nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit in Bezug auf Altmasseverbindlichkeiten gegeben (vgl. für die Aufnahme eines durch Insolvenzeröffnung unterbrochenen Rechtsstreits: BGH v. 29.4.2004 – IX ZR 265/03, ZVI 2004, 530, zu II 1 der Gründe; Depré, in: Kreft, InsO, 5. Aufl., § 180 Rz. 3; Wimmer/Kießner, InsO, 5. Aufl., § 180 Rz. 8).

 

[14]

 II. Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat gem. § 18 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 22 Abs. 1 Satz 1 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) einen Anspruch gegen die Insolvenzmasse auf die geltend gemachten Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes.

 

[15]

 1. Der für allgemeinverbindlich erklärte VTV fand bis zur rechtlichen Beendigung der einzelnen Arbeitsverhältnisse Anwendung. Vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat der Schuldner als Einzelunternehmer unstreitig einen Betrieb des Baugewerbes i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 VTV betrieben. Mit der Insolvenzeröffnung ist der Beklagte als Insolvenzverwalter aufgrund des Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 80 Abs. 1 InsO) und damit der Arbeitgeberfunktionen in die Arbeitgeberstellung der nach § 108 Abs. 1 Satz 1 InsO fortbestehenden Arbeitsverhältnisse eingerückt (vgl. BAG v. 23.6.2004 – 10 AZR 495/03, BAGE 111, 135, 139 = ZIP 2004, 1974, dazu EWiR 2004, 1185 (Richter); Windel, in: Jaeger, InsO, Bd. 2, § 80 Rz. 108). Der Beklagte hatte daher bis zur rechtlichen Beendigung der einzelnen Arbeitsverhältnisse die Sozialkassenbeiträge zu entrichten.

 

[16]

 2. Allein die Eröffnung des Insolvenzverfahrens steht der Anwendbarkeit des VTV nicht entgegen. Die Wirkung der Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG endet nicht schon durch die Insolvenzeröffnung, denn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ändert für sich betrachtet nichts am Vorliegen eines Betriebs i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 VTV (vgl. zum Konkurs einer juristischen Person BAG v. 28.1.1987 – 4 AZR 150/86, BAGE 55, 38, 40 ff. = ZIP 1987, 727).

 

[17]

 a) Der VTV bestimmt nicht näher die Merkmale eines Betriebs i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 VTV. Maßgeblich ist deshalb der allgemeine Betriebsbegriff, wie er insbesondere für das Betriebsverfassungsrecht entwickelt worden ist (vgl. BAG v. 26.4.1989 – 4 AZR 17/89, AP TVG § 1 Tarifverträge Bau Nr. 115). Danach ist ein Betrieb die organisatorische Einheit, innerhalb derer der Arbeitgeber zusammen mit den vom ihm beschäftigten Arbeitnehmern bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt. Dazu müssen die in der Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt und die menschliche Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert werden (vgl. BAG v. 17.1.2007 – 7 ABR 63/05, BAGE 121, 7, 11, Rz. 15; BAG v. 15.3.2001 – 2 AZR 151/00, EzA KSchG § 23 Nr. 23, dazu EWiR 2001, 825 (Dahlbender); Fitting, BetrVG, 24. Aufl., § 1 Rz. 64 m.w.N.).

 

[18]

 b) Vor der Insolvenzeröffnung leitete der Schuldner unstreitig einen Betrieb in diesem Sinne. Auch wenn – wie vorliegend – der Schuldner den Betrieb handwerksmäßig als Einzelunternehmer mit unpfändbaren Arbeitsmitteln (§ 811 Nr. 5 ZPO) geführt hat, geht der Betrieb nicht allein infolge der Insolvenzeröffnung unter. Dass die zur Fortsetzung der Erwerbstätigkeit erforderlichen Gegenstände gem. § 36 Abs. 1 InsO i.V.m. § 811 Nr. 5 ZPO nicht zur Insolvenzmasse gehören, steht dem nicht entgegen. Da es für die Anwendung des VTV nicht darauf ankommt, dass die zur Ausführung der Bauaufträge verwendeten Arbeitsmittel im Eigentum des Bauunternehmers stehen (vgl. BAG v. 21.11.2007 – 10 AZR 782/06, AP TVG § 1 TVG Tarifverträge: Bau Nr. 297 = EzA AEntG § 1 Nr. 11, Rz. 33), ist es auch für das Vorliegen eines Betriebs i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 VTV in der Insolvenz unerheblich, ob die Arbeitsmittel zur Insolvenzmasse gehören oder nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO unpfändbar sind und deshalb gem. § 36 Abs. 1 InsO nicht zur Insolvenzmasse gehören. Ein Betrieb ist erst stillgelegt, wenn die zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehende Betriebs- und Produktionsgemeinschaft für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne aufgelöst wird (vgl. BAG v. 10.5.2007 – 2 AZR 263/06, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 165 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 155 m.w.N.). Bis zur rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses besteht er grundsätzlich fort.

 

[19]

 c) Für das Vorliegen eines Betriebs ist des Weiteren ohne Bedeutung, dass die Arbeitskraft des Schuldners nicht zur Insolvenzmasse gehört (Hess/Röpke, NZI 2003, 233, 236). Allein dadurch wird es dem Insolvenzverwalter nicht unmöglich, den Betrieb bis zum Ablauf der Kündigungsfristen fortzufüh-ZIP 2009, Seite 986ren. Es bleibt ihm die Möglichkeit, die verbleibenden Arbeitnehmer anzuweisen, noch vorhandene oder neu gewonnene Aufträge mit hierfür gekauften oder gemieteten Arbeitsmitteln abzuarbeiten. Ggf. kann er eine Führungskraft neu einstellen, wenn dies wirtschaftlich sinnvoll erscheint. Dies gilt jedenfalls, wenn – wie vorliegend – bei Insolvenzeröffnung noch Arbeitsverhältnisse bestehen.

 

[20]

 d) Die Gegenauffassung des Beklagten widerspricht Sinn und Zweck des VTV. Danach sollen beispielsweise Urlaubsansprüche der Arbeitnehmer beim Wechsel des Arbeitgebers gesichert werden. Dieser Zweck gewinnt gerade im Insolvenzverfahren an Bedeutung. Dabei hat der Insolvenzverwalter, der in der Insolvenz Urlaubsentgelt an Arbeitnehmer auszahlt, auch Ansprüche gegenüber der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft auf Erstattung der Urlaubsvergütung (vgl. BAG v. 11.1.1990 – 8 AZR 440/88, BAGE 64, 6, 11 = ZIP 1990, 1213). Dieses besondere Urlaubsverfahren wäre nicht durchführbar, wenn in der Abwicklungsphase eines Betriebs nach Insolvenzveröffnung der VTV keine Anwendung mehr fände.

 

[21]

 3. Mit der Einstellung der Geschäftstätigkeit durch den Beklagten hat der Betrieb auch nicht den Charakter eines Baubetriebs verloren. Wird der fachliche Geltungsbereich eines Tarifvertrags von den Tarifvertragsparteien durch den Gegenstand der betrieblichen Tätigkeit bestimmt, folgt daraus, dass alle Betriebe mit entsprechender Tätigkeit von deren Beginn an bis zu deren Beendigung erfasst werden. Der Tarifvertrag gilt sowohl für Betriebe, die ihre Tätigkeit durch Einstellung von Arbeitnehmern und Anschaffung von Produktionsmitteln erst vorbereiten, als auch für solche, die nach Einstellung ihrer wirtschaftlich-werbenden Geschäftstätigkeit nur noch Abwicklungsarbeiten vornehmen (vgl. BAGE 55, 38, 42 = ZIP 1987, 727). Durch die Einstellung der Geschäftstätigkeit und die Freistellung der Arbeitnehmer von der Erbringung der Arbeitsleistung ändert sich nicht die arbeitstechnische Zweckrichtung des Betriebs. Diese Maßnahmen sind nicht darauf gerichtet, die bisherige auf Erbringung baulicher Leistungen ausgerichtete arbeitstechnische Organisation hinsichtlich der arbeitstechnischen Zielrichtung zu verändern, sondern verfolgen das Ziel, die Organisationseinheit vollständig abzuwickeln und die Produktionsgemeinschaft zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufzulösen. Mit der Einstellung des Geschäftsbetriebs beginnt lediglich das letzte Stadium des Baubetriebs, das nur noch der Abwicklung dient.

 

[22]

 4. Eine Enthaftung der Masse bzgl. der streitgegenständlichen Beitragsforderungen ist auch nicht durch die „vorsorgliche“ Freigabeerklärung des Beklagten vom 6. Dezember 2004 erfolgt.

 

[23]

 a) Nach den mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des LAG hat der Beklagte keine echte Freigabe erklärt. Das Betriebsvermögen des Schuldners hat nach eigenem Bekunden des Beklagten aus gebrauchtem Handwerkszeug bestanden, welches nicht der Pfändung unterlag. Es gab demnach keine Gegenstände, die der Beklagte hätte freigeben können, denn die gem. § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO nicht der Pfändung unterliegenden Betriebsmittel waren gem. § 36 Abs. 1 InsO nicht vom Massebeschlag erfasst. Bei der Freigabeerklärung des Beklagten vom 6. Dezember 2004 handelt es sich daher um eine sog. unechte, deklaratorische Freigabe (vgl. dazu Senat v. 10.4.2008 – 6 AZR 368/07, ZIP 2008, 1346 = AP InsO § 295 Nr. 1 = EzA InsO § 55 Nr. 16, dazu EWiR 2008, 687 (Henkel)). Eine deklaratorische Freigabe ändert den Umfang des Massebeschlags nicht. Sie führt auch nicht zu einer Enthaftung der Masse hinsichtlich gegen sie gerichteter Ansprüche.

 

[24]

 b) Selbst wenn pfändbare Betriebsmittel vorhanden gewesen wären und der Insolvenzverwalter diese mit Schreiben vom 6. Dezember 2004 wirksam freigegeben hätte, würde sich die Klageforderung weiterhin gegen die Masse und nicht gegen den Insolvenzschuldner richten.

 

[25]

 aa) Zwar konnte der Beklagte als Insolvenzverwalter auch vor Inkrafttreten der neuen Absätze 2 und 3 des § 35 InsO zum 1. Juli 2007 Gegenstände, die zur Masse gehörten, aber eine Verwertung nicht lohnten, kraft der ihm nach § 80 Abs. 1 InsO zustehenden Verfügungsmacht aus der Masse freigeben (Senat ZIP 2008, 1346 = AP InsO § 295 Nr. 1 = EzA InsO § 55 Nr. 16, Rz. 21; Windel, a.a.O., § 80 Rz. 38; MünchKomm-Lwowski/Peters, InsO, 2. Aufl., § 35 Rz. 100). Er konnte jedoch die zu Lasten der Masse bestehenden Arbeitsverhältnisse nicht einseitig „freigeben“, denn eine solch einseitige echte Freigabe kann sich nur auf Massegegenstände, nicht dagegen auf zweiseitige Arbeitsverträge beziehen. Die Enthaftung der Masse hinsichtlich eines nicht nur zu ihren Gunsten, sondern auch zu ihren Lasten bestehenden Arbeitsverhältnisses durch Fortführung allein mit dem Schuldner, d.h. außerhalb des Insolvenzverfahrens, bedürfte deshalb der Zustimmung des Arbeitnehmers.

 

[26]

 bb) Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn der Insolvenzverwalter dem Beschlag der Masse unterliegende Betriebsmittel freigeben würde, die sich als eine „Einheit“ i.S.d. zu § 613a BGB ergangenen Rechtsprechung darstellen, vorausgesetzt, das Arbeitsverhältnis wäre dieser „Einheit“ zugeordnet. In diesem Fall wäre aufgrund der vergleichbaren Interessenlage eine entsprechende Anwendung des § 613a BGB geboten, d.h. das Arbeitsverhältnis würde auf den Schuldner im Zuge der Freigabe „übergehen“, wenn der Arbeitnehmer nicht entsprechend § 613a Abs. 6 BGB widersprechen würde (Senat ZIP 2008, 1346 = AP InsO § 295 Nr. 1 = EzA InsO § 55 Nr. 16, Rz. 23; Henkel, EWiR 2008, 687, 688). Der Beklagte hat jedoch nicht behauptet, dass die vom Insolvenzverwalter freigegebenen Betriebsmittel eine „Einheit“ i.S.v. § 613a BGB dargestellt haben, sondern hat lediglich vorgetragen, es habe keine pfändungsfreien Betriebsmittel gegeben. Damit konnte nach dem eigenen Vortrag des Beklagten auch keine „Einheit“ an Betriebsmitteln freigegeben werden.

 

[27]

 5. Die mit dem Hauptantrag begehrte Feststellung einer Masseverbindlichkeit besteht in der geltend gemachten Höhe. Die Klägerin hat die Berechnung der Klageforderung im Schriftsatz vom 13. Dezember 2005 schlüssig dargelegt. Der Beklagte hat die Zahlungspflicht nur dem Grunde nach, nicht aber der Höhe nach bestritten. Über den Hilfsantrag war nicht zu entscheiden, nachdem der Hauptantrag erfolgreich war.

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