BFH: Keine Vertreterhaftung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters für Steuerschulden des Insolvenzschuldners

09.12.2009

InsO § 21 Abs. 1, 2; AO §§ 69, 34, 35

Keine Vertreterhaftung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters für Steuerschulden des Insolvenzschuldners

BFH, Beschl. v. 27. 5. 2009 – VII B 156/08 (FG Leipzig)

Leitsätze der Redaktion:

1. Ein sog. schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt ist weder Vermögensverwalter i.S.v. § 34 Abs. 3 AO noch Verfügungsberechtigter i.S.v. § 35 AO. Er kann deshalb nicht für Steuerschulden des Insolvenzschuldners in Anspruch genommen werden.

2. Das gilt auch dann, wenn er unter Missachtung der ihm vom Insolvenzgericht auferlegten Beschränkungen tatsächlich über Gelder des Schuldners verfügt.

Tatbestand:

[1]  I. Der Kläger und Beschwerdegegner (Kläger) wurde im Oktober 1999 vom AG gem. § 21 Abs. 1 und 2 InsO zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GmbH bestellt. Verfügungen der GmbH, die gesetzlich von zwei Geschäftsführern vertreten wurde, sollten nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam werden. Der Kläger wurde ermächtigt, Bankguthaben und sonstige Forderungen für die Schuldnerin einzuziehen sowie Lastschrift- und Einzugsermächtigungen zu widerrufen. Die Löhne für den Monat August 1999 wurden durch die Geschäftsführer der GmbH nur teilweise an die Arbeitnehmer ausbezahlt. Die auf die Abschläge entfallenden Steuerabzugsbeträge führte die GmbH ordnungsgemäß ab. Die Restlöhne wurden im November 1999 von einem vom Kläger zum Empfang von Zahlungen von Schuldnern der GmbH eingerichteten Anderkonto überwiesen. Lohnsteuern, Kirchensteuern und Solidaritätszuschläge wurden indes nicht abgeführt, weshalb der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt – FA) den Kläger nach § 69 i.V.m. § 34 Abs. 3 und § 35 AO als Haftungsschuldner in Anspruch nahm.

ZIP 47/2009, 2256

[2]  Die nach dem erfolglos angestrengten Einspruchsverfahren erhobene Klage führte zur Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen.

[3]  Mit seiner Beschwerde begehrt das FA die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

Entscheidungsgründe:

[5]  II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, denn die vom FA aufgeworfene Frage ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung.

[6]  1. Einer Rechtsfrage kommt nur dann grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sie klärungsbedürftig ist (vgl. Entscheidungen des BFH v. 16.7.1999 – IX B 81/99, BFHE 189, 401 = BStBl II 1999, 760, und BFH v. 21.4.1999 – I B 99/98, BFHE 188, 372 = BStBl II 2000, 254, m.w.N.). (Wird ausgeführt.)

[7]  2. Mit seiner Beschwerde will das FA die Frage geklärt wissen, ob ein sog. schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter, der unter Überschreitung seiner ihm vom Insolvenzgericht übertragenen Verwaltungsbefugnisse Löhne an die Arbeitnehmer des Schuldners ausbezahlt hat, als Verfügungsberechtigter i.S.v. § 35 AO angesehen und folglich als Haftungsschuldner nach § 69 AO in Anspruch genommen werden kann.

[8]  Die Voraussetzungen, unter denen Personen, die weder gesetzliche Vertreter noch Vermögensverwalter sind, dennoch die steuerlichen Pflichten eines gesetzlichen Vertreters zu erfüllen haben, sind in der Rechtsprechung bereits grundsätzlich geklärt. Der Streitfall weist keine Besonderheiten auf, die eine erneute Entscheidung des BFH erforderlich machen.

[9]  Als Verfügungsberechtigter nach § 35 AO kann eine Person nur dann angesehen werden, wenn sie auch in der Lage ist, die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters rechtlich und tatsächlich zu erfüllen. Mit dieser auf Anregung des Bundesrates in die Vorschrift eingefügten Einschränkung soll klargestellt werden, dass eine tatsächliche Verfügungsmöglichkeit nicht ausreicht, um die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters zu begründen (BT-Drucks 7/4292, S. 19 zu § 35 AO). Es bedarf vielmehr auch der Fähigkeit, aufgrund bürgerlich-rechtlicher Verfügungsmacht im Außenverhältnis wirksam zu handeln (BFH, Urt. v. 21.2.1989 – VII R 165/85, BFHE 156, 46 = BStBl II 1989, 491). Wer seine Verfügungsbefugnis lediglich vortäuscht, ohne die mit der behaupteten Befugnis verbundenen steuerlichen Pflichten tatsächlich und rechtlich erfüllen zu können, ist kein Verfügungsberechtigter i.S.v. § 35 AO (Jatzke, in: Beermann/Gosch, AO, § 35 Rz. 20 m.w.N.).

[10]  Um die notwendige Eigenständigkeit von § 35 AO gegenüber den Regelungen in § 34 AO zu gewährleisten, hat der BFH jedoch auch eine nur mittelbare rechtliche Verfügungsbefugnis als ausreichend angesehen. Danach ist auch derjenige als Verfügungsberechtigter anzusehen, der aufgrund seiner Stellung in der Lage ist, tatsächliche und rechtliche Rechtsverhältnisse herbeizuführen, die ihn dazu befähigen, rechtlich verbindlich die Pflichten des gesetzlichen Vertreters entweder selbst zu erfüllen oder durch die Bestellung der entsprechenden Organe erfüllen zu lassen (BFH, Urt. v. 16.3.1995 – VII R 38/94, BFHE 177, 209 = BStBl II 1995, 859, dazu EWiR 1995, 735 (Onusseit)). Wie der Senat entschieden hat, besteht eine solche Möglichkeit für einen Alleingesellschafter einer GmbH, der sich jederzeit selbst zum Geschäftsführer bestellen oder für die Einsetzung eines anderen Geschäftsführers Sorge tragen kann (Senatsurt. v. 27.11.1990 – VII R 20/89, BFHE 163, 106 = BStBl II 1991, 284).

[11]  3. Auf den Streitfall lassen sich diese Grundsätze ohne Weiteres übertragen, so dass eine erneute Befassung des BFH durch eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zur Klärung der vom FA aufgeworfenen Frage nicht geboten ist. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass ein sog. schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt kein Vermögensverwalter i.S.v. § 34 Abs. 3 AO ist. Denn in diesem Fall bleibt es trotz des Zustimmungsvorbehalts bei der Verfügungsbefugnis des Schuldners (Senatsbeschl. v. 30.12.2004 – VII B 145/04, BFH/NV 2005, 665). Selbst für den Fall, dass er seine Verwaltungsbefugnisse überschreitet, kann er weder als Vermögensverwalter noch als Verfügungsberechtigter i.S.v. § 35 AO angesehen werden. Denn er ist nicht in der Lage, ohne Mitwirkung des Insolvenzgerichts seine Verwaltungsbefugnisse beliebig auszudehnen und sich eine Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners zu verschaffen, die ihm vom Insolvenzgericht bewusst nicht übertragen worden ist. Seine Stellung ist daher mit der Stellung eines Alleingesellschafters einer GmbH, der selbstständig Geschäftsführer bestellen kann, nicht vergleichbar. Allein der Umstand, dass ein vorläufiger Insolvenzverwalter unter Missachtung der ihm vom Insolvenzgericht auferlegten Beschränkungen tatsächlich über Gelder des Schuldners verfügt, reicht zur Begründung der Stellung eines Verfügungsberechtigten i.S.v. § 35 AO nicht aus. Dabei ist entscheidend, dass er selbst nicht in der Lage ist, sich auch die rechtliche Möglichkeit zu verschaffen, über das Vermögen des Schuldners zu verfügen. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte erweist sich das erstinstanzliche Urteil jedenfalls im Ergebnis als richtig.

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