BGH: Beiordnung einer Rechtsanwaltssozietät im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe

26.01.2009

ZPO § 121 Abs. 1, § 78 Abs. 1; BRAO §§ 59c, 59l

Beiordnung einer Rechtsanwaltssozietät im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe

BGH, Beschl. v. 17. 9. 2008 - IV ZR 343/07 (OLG Celle)

Leitsatz des Gerichts:


Im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe kann
der bedürftigen Partei eine Rechtsanwaltssozietät beigeordnet
werden.


Gründe:


[1] Dem Kläger war im Rahmen der nach § 119 Abs.1 Satz 2
ZPO gewährten Prozesskostenhilfe antragsgemäß die Rechtsanwaltssoziet
ät V. und S. nach § 121 Abs.1 ZPO für das
Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren beizuordnen. Diese
Vorschrift ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass
nicht nur eine persönliche Beiordnung eines einzelnen
Rechtsanwalts vom Gesetz gestattet wird. Dafür sind die folgenden
Erwägungen maßgebend:

[2] 1. Die BRAO ermöglicht Gesellschaften, deren Unternehmensgegenstand
die Beratung und Vertretung in Rechtsangelegenheiten
ist, die Zulassung als Rechtsanwaltsgesellschaft
(§ 59c Abs.1 BRAO). Nach § 59l BRAO kann die Rechtsanwaltsgesellschaft
als Prozess- und Verfahrensbevollmächtigte
beauftragt werden. Sie hat dann die Rechte und Pflichten
eines Rechtsanwalts, kann allerdings nur durch solche Organe
und Vertreter handeln, in deren Person die für die Erbringung
rechtsbesorgender Leistungen gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen
vorliegen. Trotz dieser Einschränkung wird die
Bestimmung teilweise dahin verstanden, dass die Rechtsanwaltsgesellschaft
selbst - und nicht nur die für sie nach
§ 59l Satz 3 BRAO jeweils handlungsbefugte Person - prozessund
postulationsfähig ist mit der Folge, dass die Gesellschaft
als solche einer Partei im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe
nach § 121 Abs.1 ZPO beigeordnet werden
kann (OLG Nürnberg NJW 2002, 3715 m. w. N.; OLG Frankfurt/
M. OLGR 2001, 153, juris, Rz.11, zustimmend Musielak/
Fischer, ZPO, 6. Aufl., § 121 Rz. 6 a. E.; Zöller/Philippi, ZPO,
26. Aufl., § 121 Rz. 2).

[3] 2. Ähnliches gilt für die Partnerschaftsgesellschaft. § 7
Abs. 4 PartGG lässt es ähnlich wie § 59c i. V.m. § 59l BRAOzu, dass Rechtsuchende die Gesellschaft als Prozess- und Verfahrensbevollm
ächtigte beauftragen, wobei auch hier die Gesellschaft
durch ihre Partner und Vertreter handelt und § 7
Abs. 4 Satz 2 PartGG anordnet, dass diese jeweils in ihrer Person
die für die Erbringung rechtsbesorgender Leistungen gesetzlich
vorgeschriebenen Voraussetzungen aufweisen müssen.

[4] 3. Für die in der Rechtsform einer GbR betriebene Anwaltssoziet
ät ist spätestens mit der Entscheidung des BGH
vom 29. Januar 2001 (II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 = ZIP
2001, 330 (m. Bespr. Ulmer, S. 585), dazu EWiR 2001, 341 (Prütting))
eine grundlegende Änderung der rechtlichen Anschauung
eingetreten, weil ihr nunmehr die Rechtsfähigkeit einschlie
ßlich der Parteifähigkeit zugestanden wird, soweit sie am
Rechtsverkehr teilnimmt (BGHZ 146, 341, 343 ff. = ZIP 2001,
330). Sie untersteht insoweit auch dem Schutz der Art.12
Abs.1 und Art. 3 Abs.1 GG.

[5] 4. Eine Beschränkung der Beiordnungsmöglichkeit auf
Rechtsanwälte als Einzelpersonen würde die Rechtsanwaltssoziet
ät in ihrer von Art.12 Abs.1 GG geschützten Berufsaus-
übung einschränken, ohne dass sich dafür heute noch tragf
ähige Gründe finden ließen (vgl. dazu auch Ganter, AnwBl
2007, 847). Zugleich könnte die Anwaltssozietät gegenüber
Einzelanwälten, der Rechtsanwaltsgesellschaft und der Partnerschaftsgesellschaft
in einer den Schutzbereich des Art. 3 Abs.1
GG berührenden Weise benachteiligt sein. Es ist zudem zu
berücksichtigen, dass der dem Prozesskostenhilferecht immanente
Grundsatz der Waffengleichheit berührt ist, wenn einerseits
eine vermögende Partei in der Lage ist, für sich eine Anwaltssoziet
ät mit den aus deren Arbeitsteilung erwachsenden
Vorteilen zu verpflichten, andererseits aber die auf Prozesskostenhilfe
angewiesene Partei jeweils auf die Vertretung durch einen
einzelnen Rechtsanwalt beschränkt ist (vgl. Ganter, AnwBl
2007, 847).

[6] Es tritt hinzu, dass die Rechtslage für denMandanten einer
Anwaltssozietät schwer durchschaubar wird, wenn ihm während
des laufenden Mandats lediglich ein bestimmter Sozius
nach § 121 Abs.1 ZPO beigeordnet wird. Nach der Rechtsprechung
des BGH findet ein zuvor mit der Sozietät geschlossener
Mandatsvertrag mit der Beiordnung nicht ohne Weiteres
sein Ende (BGH, Urt. v. 23. 9. 2004 - IX ZR 137/03, NJW-RR
2005, 261 unter III 1). Aus dem fehlenden Gleichlauf von
Mandat und Beiordnung erwachsen sodann weitere Probleme
hinsichtlich der Frage, inwieweit die Sperrwirkung des § 122
Abs.1 Nr. 3 ZPO auch den Honoraranspruch der Sozietät erfasst,
bzw. inwieweit jedenfalls der schließlich allein beigeordnete
Rechtsanwalt gehalten ist, den Mandanten über die geb
ührenrechtlichen Folgen des fehlenden Gleichlaufs von
Mandat und Beiordnung zu belehren, um sich nicht mit Blick
auf den mitunter fortbestehenden Honoraranspruch der Soziet
ät schadensersatzpflichtig zu machen (vgl. dazu Ganter,
AnwBl 2007, 847).

[7] 5. Zwar wird in der Rechtsprechung auch nach der mit der
Entscheidung BGHZ 146, 341 = ZIP 2001, 330 verbundenen
Zuerkennung der Rechtsfähigkeit der GbR teilweise weiterhin
die Auffassung vertreten, der Wortlaut des § 121 Abs.1 ZPO
verbiete die Beiordnung einer Rechtsanwaltssozietät (OLG
Celle, Beschl. v. 2. 5. 2003 - 7 U 11/03, juris; BayLSG, Beschl.
v. 4. 7. 2006- L 15 B 44/03 R KO, juris). Das stützt sich zum
einen darauf, dass der Gesetzgeber trotz der Neuregelungen
über die Rechtsanwaltsgesellschaft (§§ 59c ff. BRAO) davon
abgesehen hat, die §§ 78 und 121 ZPO neu zu fassen und die
Beiordnungsmöglichkeit auf die Rechtsanwaltsgesellschaft zu
erweitern, zum anderen darauf, dass mit der persönlichen Beiordnung
eines einzelnen Rechtsanwalts vermieden werde, dass
etwa ein in einer entfernt gelegenen Niederlassung derselben
Sozietät tätiger Rechtsanwalt für die bedürftige Partei auftreten
und hierdurch höhere Kosten verursachen könne.

[8] Beide Argumente überzeugen nicht.

[9] a) Wie bereits dargelegt, ist die Beiordnungsfähigkeit der
Rechtsanwaltsgesellschaft mittlerweile ungeachtet der Tatsache
anerkannt, dass der Gesetzgeber insoweit von einer Änderung
des § 121 Abs.1 ZPO abgesehen hat. Allein die Tatsache, dass
der Wortlaut des § 121 ZPO unverändert fortbesteht, beantwortet
im Übrigen nicht die Frage, ob die Vorschrift vor dem
Hintergrund der inzwischen eingetretenen Rechtsentwicklung
in Bezug auf die Rechtsanwalts- und die Partnerschaftsgesellschaft
einer Korrektur mittels verfassungskonformer Auslegung
bedarf. Zu der im Jahre 1998 geschaffenen Neuregelung
der §§ 59c ff. BRAO und den bereits im Jahre 1995 geschaffenen
Regelungen über die Partnerschaftsgesellschaft (vgl.
dazu Schultz, in: Festschrift Hirsch, 2008, S. 525, 526) tritt inzwischen
hinzu, dass spätestens seit der zu Beginn des Jahres
2001 ergangenen Entscheidung BGHZ 146, 341 = ZIP 2001,
330 die Rechtsfähigkeit der GbR, damit auch der Rechtsanwaltssoziet
ät, anerkannt ist. Damit ist der wesentliche
Grund, die Sozietät von einer Beiordnung auszuschließen,
entfallen.

[10] b) Auch das vom OLG Celle (Beschl. v. 2. 5. 2003 - 7 U
11/03, juris, Rz. 3 - 5) und - ihm folgend - dem Bayerischen
LSG (Beschl. v. 4. 7. 2006 - L 15 B 44/03 R KO, juris, Rz. 22)
ins Feld geführte Kostenargument ist nicht geeignet, die
Rechtsanwaltssozietät von einer Beiordnung nach § 121 Abs.1
ZPO auszuschließen. Der Gefahr, dass im Rahmen einer Soziet
ätsbeiordnung ein auswärtiger Rechtsanwalt für die bedürftige
Partei auftritt und Kosten verursacht, die bei einer Einzelbeiordnung
nicht entstanden wären, kann im Einzelfall nach
§ 121 Abs. 3 ZPO ausreichend begegnet werden, etwa dadurch,
dass das Gericht die Beiordnung einer überörtlich tätigen
Sozietät von der Zusage abhängig macht, auf die Erstattung
von Reisekosten für Sozien aus entfernt gelegenen Niederlassungen
zu verzichten, oder bereits der Beiordnungsantrag
dahin ausgelegt wird, dass er einen solchen Verzicht
enthalte (vgl. dazu auch BGH, Beschl. v. 10.10. 2006 - XI ZB
1/06, NJW 2006, 3783 unter Rz. 7; Zöller/Philippi, a.a.O.,
§ 121 Rz. 13b).

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