BGH, Beschluss vom 1. Juli 2020 - XII ZB 161/19

15.09.2020

BUNDESGERICHTSHOF

vom

1. Juli 2020

in der Unterbringungssache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


FamFG §§ 62, 70 Abs. 4


Hat nach Erledigung einer einstweiligen Maßnahme das Beschwerdegericht über einen Antrag gemäß § 62 FamFG befunden, so ist auch gegen diese Entscheidung eine Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 4 FamFG nicht statthaft (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 11. September 2013 ­ XII ZA 54/13 ­ FamRZ 2013, 1878).


BGH, Beschluss vom 1. Juli 2020 - XII ZB 161/19 - LG Heidelberg, AG Wiesloch


Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. Juli 2020 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Schilling und Guhling und die Richterin Dr. Krüger

beschlossen:

Der Betroffenen wird für die Rechtsbeschwerdeinstanz Verfahrenskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Dr. W. beigeordnet. Sie hat auf die Verfahrenskosten monatliche Raten von 58 € ab dem 1. Oktober 2020 zu zahlen. Die Zahlungen sind an die Bundeskasse zu leisten.

Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Heidelberg vom 8. November 2018 wird verworfen.

Die Anträge der Betroffenen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde werden zurückgewiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

[1] I. Die Betroffene wendet sich gegen die durch Zeitablauf erledigte Anordnung ihrer Fixierung in einem öffentlich-rechtlichen Unterbringungsverfahren.

[2] Im September 2018 wurde die Betroffene notfallmäßig zur Behandlung ihrer schizoaffektiven Störung in eine Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie aufgenommen. Auf deren Antrag vom 21. September 2018 hat das Amtsgericht wegen einer gegenwärtigen Selbst- und Fremdgefährdung durch die Betroffene "im Wege der einstweiligen Anordnung" die Fixierung ihrer Extremitäten bis längstens 24. September 2018, 10 Uhr, angeordnet. Das Landgericht hat die nach Beendigung der Maßnahme auf Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit gerichtete Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde der Betroffenen hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 19. März 2019 (2 BvR 2638/18 - RuP 2019, 180) unter anderem deshalb nicht zur Entscheidung angenommen, weil der Rechtsweg nicht erschöpft sei. Die Betroffene wendet sich nun mit der Rechtsbeschwerde gegen den landgerichtlichen Beschluss, mit der sie die Feststellung erstrebt, dass beide instanzgerichtlichen Beschlüsse sie in ihren Rechten verletzt haben. Zugleich beantragt sie hierfür die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

[3] II. Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig und daher zu verwerfen.

[4] 1. Die Rechtsbeschwerde ist nicht statthaft.

[5] a) Zwar ist gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 FamFG die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss, der eine Unterbringungsmaßnahme anordnet, ohne Zulassung statthaft. Nach § 70 Abs. 4 FamFG gilt dies jedoch nicht für einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung. Dieser Ausschluss ist schon nach dem Wortlaut der Vorschrift umfassend und begrenzt den Instanzenzug bezüglich sämtlicher Entscheidungen, welche die ­ mit dem "Hauptsacheverfahren" im Sinne des § 52 FamFG nicht zu verwechselnde ­ Hauptsache im Verfahren der einstweiligen Anordnung betreffen. Zur Hauptsache des Eilverfahrens gehören auch die gemäß § 62 FamFG nach Erledigung der einstweiligen Maßnahme zu treffenden Entscheidungen (Senatsbeschluss vom 11. September 2013 ­ XII ZA 54/13 ­ FamRZ 2013, 1878 Rn. 6 mwN). Denn der Gesetzgeber hat mit der Regelung in § 70 Abs. 4 FamFG klar zum Ausdruck gebracht, dass einstweilige Anordnungen keiner rechtlichen Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren unterworfen sein sollen (BGH Beschluss vom 30. März 2017 ­ V ZB 180/15 ­ juris Rn. 6 mwN). Es besteht kein Grund, einem Beteiligten für den Fall der Erledigung der Maßnahme abweichend von der bewussten Entscheidung des Gesetzgebers eine weitere Rechtsmittelinstanz zu eröffnen, die ihm bei deren Fortdauer nicht zur Verfügung gestanden hätte.

[6] Nicht erfasst von dem Ausschluss nach § 70 Abs. 4 FamFG sind lediglich von der Hauptsache des Eilverfahrens gelöste Neben- und Zwischenentscheidungen, die kraft besonderer spezialgesetzlicher Regelung anfechtbar sind. Hierzu gehören etwa Entscheidungen über die Verfahrenskostenhilfe (Senatsbeschluss vom 18. Mai 2011 ­ XII ZB 265/10 ­ FamRZ 2011, 1138 Rn. 7), über die Zulässigkeit des Rechtswegs (vgl. BGH Beschluss vom 9. November 2006 - I ZB 28/06 ­ NJW 2007, 1819), im Kostenfestsetzungsverfahren (Senatsbeschluss vom 25. Januar 2017 ­ XII ZB 447/16 ­ FamRZ 2017, 643 Rn. 5) oder im Vollstreckungsverfahren (Senatsbeschluss vom 30. September 2015 ­ XII ZB 635/14 ­ FamRZ 2015, 2147 Rn. 6).

[7] b) Im vorliegenden Fall wendet sich die Rechtsbeschwerde gegen einen solchen Beschluss, der die Hauptsache eines Eilverfahrens (§ 331 FamFG) betrifft. Ob ein Verfahren über eine einstweilige Anordnung vorliegt, richtet sich allein nach der angefochtenen Entscheidung (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Juli 2015 ­ XII ZB 586/14 ­ FamRZ 2015, 1877 Rn. 3 ff. mwN). Das Amtsgericht hat seine Entscheidung nicht nur als einstweilige Anordnung bezeichnet, sondern in den Gründen die nur für eine solche Entscheidung geltende Vorschrift des § 332 FamFG zur Begründung dafür angeführt, warum der Beschluss vor Anhörung des Verfahrenspflegers erlassen worden ist. Zudem hat es lediglich auf der Grundlage eines ärztlichen Zeugnisses entschieden und sich dabei ersichtlich auf § 331 Satz 1 Nr. 2 FamFG gestützt. Hiernach führt auch der Umstand, dass das Amtsgericht in seiner Rechtsbehelfsbelehrung fehlerhaft eine Beschwerdefrist von einem Monat (§ 63 Abs. 1 FamFG) anstelle der nach § 63 Abs. 2 Nr. 1

FamFG maßgeblichen Frist von zwei Wochen genannt hat, zu keiner anderen Einordnung. Das Beschwerdegericht ist damit übereinstimmend von einer Entscheidung im Eilverfahren ausgegangen und hat in diesem über den Feststellungsantrag der Betroffenen nach § 62 FamFG befunden.

[8] 2. Da das Rechtsmittel unstatthaft ist, besteht für die von der Betroffenen beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 17 FamFG) keine Grundlage.

Dose Klinkhammer Schilling

Guhling Krüger

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