BGH, Beschluss vom 1. Juni 2022 - XII ZB 54/22

01.08.2022

BUNDESGERICHTSHOF

vom

1. Juni 2022

in der Familiensache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


FamFG § 225 Abs. 4


Der Einstieg in eine Abänderung nach § 225 Abs. 4 FamFG ist nur dann eröffnet, wenn durch sie für eine bereits bestehende Anwartschaft eine Wartezeit erfüllt wird. Das ist nicht der Fall, wenn sich das nach der Abänderung bestehende gesetzliche Anrecht allein aus dem Versorgungsausgleich speist.


BGH, Beschluss vom 1. Juni 2022 - XII ZB 54/22 - OLG Köln, AG Siegburg


Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. Juni 2022 durch den

Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schilling, Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Guhling

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 27. Zivilsenats ­ Familiensenat ­ des Oberlandesgerichts Köln vom 23. Dezember 2021 wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.

Wert: 1.589 €

Gründe:

[1] I. Der Antragsteller (im Folgenden: Ehemann) begehrt die Abänderung einer Entscheidung zum Versorgungsausgleich im Wege einer "Totalrevision" nach § 51 Abs. 1 VersAusglG.

[2] Die am 7. April 1956 geschlossene Ehe des 1931 geborenen Ehemanns mit der früheren Ehefrau wurde auf den am 16. April 1985 zugestellten Scheidungsantrag mit Urteil des Familiengerichts vom 11. November 1985 rechtskräftig geschieden und der Versorgungsausgleich geregelt.

[3] Während der Ehezeit (1. April 1956 bis 31. März 1985) hatten der Ehemann ein Anrecht in der Beamtenversorgung der Deutschen Bundespost in Höhe von monatlich 2.562,99 DM und die Ehefrau ein Anrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von monatlich 923,90 DM erworben. Das Familiengericht führte den Versorgungsausgleich im Wege des Quasi-Splittings durch, indem es zulasten des Anrechts des Ehemanns ein Anrecht der Ehefrau in der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 819,54 DM monatlich, bezogen auf das Ende der Ehezeit, begründete.

[4] Die Ehefrau verstarb am 19. Januar 2003. Der Ehemann, der eine Pension von der Bundesanstalt für Post und Telekommunikation (Beteiligte zu 1) bezieht, begehrt mit am 5. August 2019 eingegangenem Antrag eine Abänderung der Entscheidung über den Versorgungsausgleich.

[5] Das Familiengericht hat die Abänderung abgelehnt, das Oberlandesgericht die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich seine zugelassene Rechtsbeschwerde.

[6] II. Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

[7] 1. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Abänderung nach §§ 51 Abs. 1 und 2

VersAusglG, 225 Abs. 1 FamFG lägen nicht vor. In der Ausgangsentscheidung zum Versorgungsausgleich sei ein Ausgleichswert des Anrechts des Ehemanns von monatlich 1.281,50 DM zugrunde gelegt worden. Nach der aktualisierten und zutreffend berechneten Versorgungsauskunft betrage der Ausgleichswert nunmehr 1.218,75 DM. Damit werde eine relative Änderung von mindestens 5 % des Ausgleichswerts nicht überschritten.

[8] Die Abänderungsvoraussetzungen seien auch nicht dadurch erfüllt, dass dem Ehemann bei fiktiver Durchführung des Versorgungsausgleichs nach geltendem Recht Anrechte der Ehefrau in der gesetzlichen Rentenversicherung zu übertragen wären und er hierdurch die Wartezeit für den Bezug einer solchen Rente erfüllen würde. Denn darin liege keine Wertänderung des auszugleichenden Anrechts, sondern nur eine sich aus der Systemumstellung des Versorgungsausgleichs ergebende Folgewirkung, die eine Abänderungsmöglichkeit nicht eröffne.

[9] 2. Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung stand.

[10] a) Eine Entscheidung über den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich nach dem bis zum 31. August 2009 geltenden Recht kann gemäß § 51 Abs. 1 VersAusglG beim Vorliegen einer wesentlichen Wertänderung abgeändert werden. Wegen dieser Voraussetzungen für die Abänderung verweist § 51 Abs. 2 VersAusglG auf die Bestimmungen in § 225 Abs. 2 und 3 FamFG.

[11] Danach ist die Ausgangsentscheidung abzuändern, wenn rechtliche oder tatsächliche Veränderungen nach dem Ende der Ehezeit auf den Ausgleichswert zurückwirken (§ 225 Abs. 2 FamFG) und zu einer wesentlichen Wertänderung führen, die mindestens 5 % des bisherigen Ausgleichswerts beträgt (relative Wesentlichkeitsgrenze: § 225 Abs. 3 Alt. 1 FamFG) und bei einem Rentenbetrag als maßgeblicher Bezugsgröße 1 %, in allen anderen Fällen als Kapitalwert 120 % der am Ende der Ehezeit maßgeblichen monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV übersteigt (absolute Wesentlichkeitsgrenze: § 225 Abs. 3 Alt. 2 FamFG). Dabei genügt die wesentliche Wertänderung nur eines Anrechts (Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2021 ­ XII ZB 347/21 ­ FamRZ 2022, 516 Rn. 11).

[12] Zutreffend ist das Oberlandesgericht davon ausgegangen, dass bezüglich der Anrechte beider Ehegatten jeweils keine wesentliche Wertänderung im Sinne von § 225 Abs. 3 FamFG vorliegt. Hiergegen erinnert auch die Rechtsbeschwerde nichts.

[13] b) Ebenfalls zutreffend hat das Oberlandesgericht dem Ehemann den Einstieg in die Totalrevision auch nach den Voraussetzungen der §§ 51 Abs. 5

VersAusglG, 225 Abs. 4 FamFG versagt. Die dagegen gerichteten Angriffe der Rechtsbeschwerde bleiben ohne Erfolg.

[14] aa) § 51 Abs. 5 VersAusglG verweist auf § 225 Abs. 4 FamFG, wonach eine Abänderung auch dann zulässig ist, wenn durch sie eine für die Versorgung der ausgleichsberechtigten Person maßgebende Wartezeit erfüllt wird. Die Vorschrift entspricht dem früheren § 10 a Abs. 2 Nr. 2 VAHRG und wurde nur sprachlich an die Terminologie des reformierten Versorgungsausgleichs angepasst.

[15] bb) Unabhängig von der Frage, ob insoweit auf eine fiktive Betrachtung abgestellt werden kann oder ob im Wege der teleologischen Reduktion der Vorschrift gefordert werden muss, dass sich die Erfüllung der Wartezeit zugunsten eines Beteiligten im Ergebnis tatsächlich auswirkt (vgl. OLG Nürnberg FamRZ 2021, 849, 850; OLG Rostock, FamRZ 2021, 847; MünchKommBGB/Siede 8. Aufl. § 51 VersAusglG Rn. 100), ersetzt eine Erfüllung der Einstiegsvoraussetzung des § 225 Abs. 4 FamFG als Alternative zu einer Wertänderung i.S.d. § 225 Abs. 2 und 3 FamFG nicht die weitere Voraussetzung des § 225 Abs. 5 FamFG, wonach sich die Abänderung in der Gesamtbetrachtung zugunsten eines Ehegatten oder Hinterbliebenen auswirken muss.

[16] cc) Wie der Senat in einer nach Erlass des angefochtenen Beschlusses veröffentlichten Entscheidung bereits ausgeführt hat, wird durch die im Zuge des Versorgungsausgleichs eintretende Wartezeiterfüllung eine Verbesserung der Versorgungslage jedenfalls dann nicht bewirkt, wenn sich das anschließend bestehende gesetzliche Anrecht allein aus dem Versorgungsausgleich speist und nicht eine etwa schon vorher bestehende Anwartschaft, die die Wartezeit nicht erfüllte, durch den Versorgungsausgleich zusätzlich werthaltig würde (Senatsbeschluss vom 17. November 2021 ­ XII ZB 375/21 ­ FamRZ 2022, 258 Rn. 20). Denn die Erfüllung der Wartezeit ist ­ lediglich ­ eine besondere Anspruchsvoraussetzung für den (späteren) Rentenbezug. Indem das Gesetz die konkrete Erreichbarkeit dieser Anspruchsvoraussetzung zum Abänderungsgrund erhebt, setzt es das Bestehen einer Anwartschaft, die bis dahin noch nicht die Wartezeit erfüllt, gedanklich voraus. Hatte der Antragsteller des Abänderungsverfahrens jedoch wie hier bisher keine eigenen Entgeltpunkte in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben, besteht bereits keine Anwartschaft, für die sich die Frage der Wartezeiterfüllung als besondere Anspruchsvoraussetzung stellen könnte.

[17] dd) Die Versagung des Einstiegs in das Abänderungsverfahren bei dieser Sachlage steht auch im Einklang mit dem Gesetzeszweck des § 225 Abs. 4

FamFG. Die Rückgängigmachung eines nach früherem Recht angeordneten öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleichs unter Anwendung des § 31 VersAusglG ist zwar eine vom Gesetzgeber in Übergangsfällen hingenommene Überkompensation von Nachteilen, die für den insgesamt ausgleichspflichtigen Ehegatten wegen des Wegfalls der nach früherem Recht bestehenden Abänderungsmöglichkeiten entstehen. Sie ist aber nicht selbst das Ziel des Abänderungsverfahrens, so dass es sachwidrig wäre, beim Vorversterben des insgesamt ausgleichsberechtigten Ehegatten auch solchen überlebenden Ehegatten den Zugang zum Abänderungsverfahren zu eröffnen, für die sich aus dem Wegfall der Abänderungsmöglichkeiten nach früherem Recht keine oder keine wesentlichen Nachteile ergeben haben (Senatsbeschluss vom 17. November 2021 ­ XII ZB 375/21 ­ FamRZ 2022, 258 Rn. 17 mwN). So liegt der Fall hier, da auch nach früherem Recht keine Abänderungsmöglichkeit für den Ehemann eröffnet gewesen wäre, er insbesondere keine Wartezeiterfüllung durch eine Abänderung hätte erreichen können.

Dose Schilling Günter

Nedden-Boeger Guhling

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