BGH, Beschluss vom 12. Februar 2025 - XII ZB 433/24

08.04.2025

BUNDESGERICHTSHOF

vom

12. Februar 2025

in der Unterbringungssache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


FamFG § 323 Abs. 1 Nr. 1


Wird eine medikamentöse Zwangsbehandlung genehmigt oder angeordnet, muss die Beschlussformel eine möglichst genaue Angabe des jeweiligen Medikaments oder Wirkstoffs, der (Höchst-)Dosierung und der Verabreichungshäufigkeit enthalten, um dem Erfordernis des § 323 Abs. 1 Nr. 1 FamFG, die Unterbringungsmaßnahme näher zu bezeichnen, hinreichend Rechnung zu tragen.


BGH, Beschluss vom 12. Februar 2025 - XII ZB 433/24 - LG Düsseldorf, AG Langenfeld


Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Februar 2025 durch den Vorsitzenden Richter Guhling, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer und Dr. Botur und die Richterinnen Dr. Krüger und Dr. Recknagel

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss der 26. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 19. August 2024 wird zurückgewiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Eine Wertfestsetzung (§ 36 Abs. 3 GNotKG) ist nicht veranlasst.

Gründe:

[1] I. Der Betroffene wendet sich gegen die durch Zeitablauf erledigte gerichtliche Zustimmung zu einer ärztlichen Zwangsmaßnahme.

[2] Der im Jahr 1977 geborene Betroffene leidet an einer paranoiden Psychose. Im Jahr 2011 wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet. In der Vergangenheit wurde bereits wiederholt einer medikamentösen Zwangsbehandlung des Betroffenen gerichtlich zugestimmt. Für die letzte Zwangsbehandlung hat der Senat auf Antrag des Betroffenen wegen Verfahrensfehlern die Rechtswidrigkeit der instanzgerichtlichen Zustimmungsbeschlüsse festgestellt (vgl. Senatsbeschluss vom 28. August 2024 ­ XII ZB 206/24 ­ FamRZ 2024, 1900 Rn. 5 ff.).

[3] Im vorliegenden Verfahren hat die Leiterin der Einrichtung, in welcher der Betroffene lebt, erneut die Erteilung der gerichtlichen Zustimmung zur Zwangsbehandlung des Betroffenen beantragt. Nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens und persönlicher Anhörung des Betroffenen hat das Amtsgericht der Zwangsbehandlung mit folgender Medikation bis zum 24. November 2024 zugestimmt:

"Paliperidon Depot bis zu 150 mg am ersten Tag, 100 mg nach 7 Tagen und weiter alle 28 Tage bis zu 150 mg ­ jeweils intramuskulär ­

oder Risperidon-Depot bis zu 50 mg alle 14 Tage intramuskulär

Ergänzt bzw. augmentiert werden kann die Medikation bei weiterhin unzureichende[m] Spiegel um:

orales Risperidon bis zu 6 mg oder orales Aripiprazol bis zu 30 mg täglich oder Aripiprazol-Depot 400 mg alle 4 Wochen bei Ablehnung der oralen Medikation."

[4] Die hiergegen vom Betroffenen eingelegte Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde erstrebt der Betroffene die Feststellung, dass ihn auch diese beiden Beschlüsse der Vorinstanzen in seinen Rechten verletzt haben.

[5] II. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

[6] 1. Vorliegend wurde der Zwangsbehandlung des Betroffenen gemäß § 10 Abs. 5 Satz 1 StrUG NRW zugestimmt. Dabei handelt es sich nach §§ 138 Abs. 4, 121 b Abs. 1 Satz 2 StVollzG iVm § 312 Satz 1 Nr. 4 FamFG um eine Unterbringungssache. Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich auch im Fall der ­ hier aufgrund Zeitablaufs eingetretenen ­ Erledigung der Unterbringungsmaßnahme aus § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG (vgl. Senatsbeschluss vom 28. August 2024 ­ XII ZB 206/24 ­ FamRZ 2024, 1900 Rn. 6 mwN). Das nach der ­ in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren ­ Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG (hier iVm § 10 Abs. 5 Satz 2 StrUG NRW, §§ 138 Abs. 4, 121 a, 121 b Abs. 1 StVollzG) zulässigerweise auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der durch Zeitablauf erledigten Gerichtsbeschlüsse gerichtete Rechtsmittel (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschluss vom 20. November 2019 ­ XII ZB 222/19 ­ juris Rn. 4 mwN) ist auch im Übrigen zulässig.

[7] 2. Die Rechtsbeschwerde ist aber unbegründet. Entgegen ihrer Auffassung ist die durchzuführende ärztliche Zwangsmaßnahme in der Beschlussformel der amtsgerichtlichen Entscheidung, die durch den Beschluss des Landgerichts keine Änderung erfahren hat, hinreichend genau bezeichnet worden.

[8] a) Nach § 323 Abs. 1 Nr. 1 FamFG muss die Beschlussformel der gerichtlichen Entscheidung im Fall der Genehmigung oder Anordnung einer Unterbringungsmaßnahme auch die nähere Bezeichnung dieser Maßnahme enthalten. Wird eine Zwangsbehandlung genehmigt oder angeordnet, sind daher in der Beschlussformel die ärztlichen Maßnahmen konkret zu benennen (vgl. BeckOK FamFG/Günter [Stand: 1. Dezember 2024] § 323 Rn. 6; Jurgeleit/Diekmann Betreuungsrecht 5. Aufl. § 323 FamFG Rn. 3; Jürgens/Marschner Betreuungsrecht 7. Aufl. § 323 Rn. 3; MünchKommFamFG/Schmidt-Recla 3. Aufl. § 323 Rn. 12; Sternal/Giers FamFG 21. Aufl. § 323 Rn. 7). Hiervon ist auch der Gesetzgeber ausgegangen, als er die Vorschrift des § 323 FamFG um den heutigen Absatz 2 ergänzt hat. Denn er hat zu dem bereits vorher (und heute in Absatz 1) geregelten Inhalt der Beschlussformel ausgeführt, dass auch die Art und Dauer der Maßnahme zu bestimmen und insoweit "von den Anforderungen in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 1. Februar 2006 (Az. XII ZB 236/05, Nr. 27) auszugehen" sei (vgl. BT-Drucks. 17/11513 S. 8).

[9] In dieser Entscheidung hatte der Senat ausgesprochen, dass die von dem Betroffenen zu duldende Behandlung so präzise wie möglich anzugeben sei, weil sich nur aus diesen Angaben Inhalt, Gegenstand und Ausmaß der von dem Betroffenen zu duldenden Behandlung hinreichend konkret und bestimmbar ergeben würden. Dazu gehörten bei einer Behandlung durch Verabfolgung von Medikamenten in der Regel auch die möglichst genaue Angabe des Arzneimittels oder des Wirkstoffs und deren (Höchst-)Dosierung sowie Verabreichungshäufigkeit. Es könne sich empfehlen, vorsorglich auch alternative Medikationen für den Fall vorzusehen, dass das in erster Linie vorgesehene Medikament nicht die erhoffte Wirkung hat oder vom Betreuten nicht vertragen wird (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 166, 141 = FamRZ 2006, 615, 618 = juris Rn. 27 zu § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB aF; aA OLG Karlsruhe NJW-RR 2007, 1591, 1592).

[10] Zwar hat der Bundestag der von Sachverständigen vor dem Rechtsausschuss erhobenen Forderung nach einer klarstellenden Formulierung in § 323 FamFG (vgl. die schriftlichen Stellungnahmen zum Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der betreuungsrechtlichen Zwangsbehandlung vor der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags am 10. Dezember 2012 von Dodegge [S. 10] und von Lipp [S. 14], abrufbar über das Web-Archiv des Deutschen Bundestags) nicht entsprochen. Aber durch die Bezugnahme auf den Senatsbeschluss vom 1. Februar 2006 kommt in der Gesetzesbegründung hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber angesichts dieser Rechtsprechung gerade keine Notwendigkeit für eine Klarstellung gesehen hat (vgl. MünchKommFamFG/Schmidt-Recla 3. Aufl. § 323 Rn. 12; aA Zimmermann NJW 2014, 2479, 2481; Dodegge NJW 2013, 1265, 1270; Grotkopp BtPrax 2013, 83, 89 und SchlHA 2013, 129, 131 f.). Soweit der Senat in seinem Beschluss vom 12. Juni 2012 (BGHZ 193, 337 = FamRZ 2012, 1366 Rn. 41) konkrete Regelungen darüber vermisste, welche Behandlungsdauer eine gerichtliche Genehmigung umfassen könne und wie konkret die Genehmigung erfolgen müsse, hat der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung zur Änderung des § 323 FamFG ausdrücklich ausgeführt, dass auch diesen Vorgaben nunmehr Rechnung getragen sei (BT-Drucks. 17/11513 S. 8).

[11] Wird eine medikamentöse Zwangsbehandlung genehmigt oder angeordnet, muss die Beschlussformel somit eine möglichst genaue Angabe des jeweiligen Medikaments oder Wirkstoffs, der (Höchst-)Dosierung und der Verabreichungshäufigkeit enthalten, um die Behandlung zu spezifizieren (vgl. auch LG Berlin II BeckRS 2024, 13830 Rn. 20 f.; MünchKommFamFG/Schmidt-Recla 3. Aufl. § 323 Rn. 12). Nur so wird dem Erfordernis des § 323 Abs. 1 Nr. 1 FamFG, die Unterbringungsmaßnahme näher zu bezeichnen, hinreichend Rechnung getragen. Dabei handelt es sich ­ ebenso wie bei der Angabe nach § 323 Abs. 2 FamFG (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. Januar 2015 ­ XII ZB 470/14 ­ FamRZ 2015, 573 Rn. 7 und BGHZ 201, 324 = FamRZ 2014, 1358 Rn. 22) ­ nicht lediglich um einen klarstellenden Ausspruch. Vielmehr wird durch die Beschlussformel die Rechtmäßigkeit der ärztlichen Zwangsmaßnahme daran geknüpft, dass die darin genannten Vorgaben erfüllt sind.

[12] b) Den genannten Anforderungen werden die Beschlüsse der Vorinstanzen gerecht. Die vom Landgericht nicht geänderte Beschlussformel der amtsgerichtlichen Entscheidung enthält einen hinreichend bestimmten Medikationsrahmen, indem sie bezüglich der Haupt- und der Augmentationsmedikation jeweils den Namen sowohl des in erster Linie als auch der alternativ vorgesehenen Wirkstoffe, ihre jeweilige (Höchst-)Dosierung sowie Häufigkeit und Art der Verabreichung konkret benennt. Dadurch haben die behandelnden Ärzte zwar die Möglichkeit, über das Ausweichen auf die Alternativmedikation, die Anpassung der Erhaltungsdosierung und die Augmentation (also eine erwünschte Wirkungssteigerung eines Wirkstoffs durch Gabe einer weiteren Substanz) zu entscheiden. Ein solcher Handlungsspielraum muss ihnen allerdings auch zugestanden werden. Denn jeder Betroffene reagiert anders auf eine medikamentöse Behandlung, so dass etwa die Bemessung der Erhaltungsdosierung und der Augmentation nicht abstrakt festgelegt werden kann, sondern vielmehr an der individuellen Reaktion des Betroffenen auszurichten ist. Daher genügt die Angabe einer Höchstdosierung der Haupt- und Augmentationsmedikation, um den Rahmen für eine Zwangsbehandlung hinreichend konkret abzustecken. Auch bei der Festlegung eines solchen Rahmens kann das Gericht die stets (etwa nach § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 5 BGB, hier nach § 10 Abs. 3 Nr. 1 StrUG NRW) durchzuführende Prüfung der Erforderlichkeit und Angemessenheit der beabsichtigten Maßnahme (vgl. dazu bereits Senatsbeschluss BGHZ 193, 337 = FamRZ 2012, 1366 Rn. 17 mwN) vornehmen, indem es ­ wie vorliegend geschehen ­ mit sachverständiger Hilfe (§ 321 Abs. 1 FamFG) beurteilt, ob die im Raume stehende Haupt- und Augmentationsmedikation bis zur jeweiligen Höchstdosierung notwendig ist oder eine mildere, dem Betroffenen zumutbare ärztliche Maßnahme in Betracht kommt (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 201, 324 = FamRZ 2014, 1358 Rn. 13).

[13] 3. Auch im Übrigen ist die angegriffene Entscheidung nicht zu beanstanden. Die von der Rechtsbeschwerde erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet (§ 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG iVm § 564 ZPO). Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

Guhling Klinkhammer Botur

Krüger Recknagel

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