BGH, Beschluss vom 13. November 2024 - XII ZB 466/24
BUNDESGERICHTSHOF
vom
13. November 2024
in der Unterbringungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
StrUG NRW § 10 Abs. 10; BGB § 1832
Dem Leiter einer Maßregelvollzugseinrichtung des Landes Nordrhein-Westfalen steht bei einer nach § 126 a StPO untergebrachten Person kein eigenes Antragsrecht auf gerichtliche Genehmigung einer beabsichtigten ärztlichen Zwangsmaßnahme zu (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 17. Juli 2024 XII ZB 89/24 NJW-RR 2024, 1257).
BGH, Beschluss vom 13. November 2024 - XII ZB 466/24 - LG Münster, AG Ibbenbüren
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. November 2024 durch den Vorsitzenden Richter Guhling, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer und Dr. Günter und die Richterinnen Dr. Pernice und Dr. Recknagel
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 28. Juni 2024 aufgehoben.
Auf die Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Ibbenbüren vom 8. Mai 2024 aufgehoben.
Der Antrag des weiteren Beteiligten zu 3 vom 10. April 2024 wird zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei. Die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt (§ 337 Abs. 1 FamFG).
Gründe:
[1] I. Der nach § 126 a StPO einstweilig untergebrachte Betroffene wendet sich gegen die gerichtliche Genehmigung einer ärztlichen Zwangsmaßnahme.
[2] Der im Jahr 1978 geborene Betroffene, der an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis leidet und für den der Beteiligte zu 1 als Betreuer bestellt ist, ist nach § 126 a StPO einstweilig in einer Maßregelvollzugseinrichtung des Landschaftsverbands W. untergebracht. Mit Schreiben vom 10. April 2024 hat der Direktor dieses Landschaftsverbands (im Folgenden: Beteiligter zu 3) als für den Maßregelvollzug zuständige Behörde die gerichtliche Genehmigung einer medikamentösen Zwangsbehandlung des Betroffenen unter anderem mit Neuroleptika beantragt. Auf der Grundlage von § 10 Abs. 10 des Gesetzes zur Durchführung strafrechtsbezogener Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus und einer Entziehungsanstalt in Nordrhein-Westfalen (Strafrechtsbezogenes Unterbringungsgesetz NRW StrUG NRW) vom 17. Dezember 2021 iVm § 1832 BGB hat das Amtsgericht die ärztliche Zwangsbehandlung des Betroffenen für einen Zeitraum von längstens sechs Wochen ab Rechtskraft seiner Entscheidung sowie die 5-Punkt-Fixierung des Betroffenen zur Durchführung der jeweiligen Zwangsmedikation genehmigt. Das Landgericht hat die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen. Dagegen wendet sich dieser mit seiner Rechtsbeschwerde.
[3] II. Die nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat bereits deshalb Erfolg, weil der Antrag des Beteiligten zu 3 auf gerichtliche Genehmigung der ärztlichen Zwangsbehandlung, über den die Vorinstanzen ausschließlich entschieden haben, unzulässig ist. Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen und zur Zurückweisung des Antrags des Beteiligten zu 3.
[4] 1. Zwar sind die Vorinstanzen im Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass bei einstweilig nach § 126 a StPO untergebrachten Personen ärztliche Zwangsmaßnahmen gemäß § 10 Abs. 10 StrUG NRW nur unter den Voraussetzungen des § 1832 BGB möglich sind. Wie der Senat nach Erlass der instanzgerichtlichen Entscheidungen im Einzelnen ausgeführt hat, handelt es sich bei § 10 Abs. 10 StrUG NRW nämlich nicht um eine eigenständige Rechtsgrundlage für ärztliche Zwangsmaßnahmen bei Personen, die nach § 126 a StPO in einer Maßregelvollzugsanstalt einstweilig untergebracht sind. Vielmehr nimmt die Bestimmung diesen Personenkreis aus dem Anwendungsbereich von § 10 Abs. 1 bis 9 StrUG NRW heraus und stellt fest, dass ärztliche Zwangsmaßnahmen während der vorläufigen Unterbringung nur nach § 1832 BGB zulässig sind (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Juli 2024 XII ZB 89/24 NJW-RR 2024, 1257 Rn. 12 ff.).
[5] 2. Indes haben die Vorinstanzen übersehen, dass die Entscheidung des nordrhein-westfälischen Gesetzgebers, für einstweilig nach § 126 a StPO Untergebrachte keine maßregelvollzugsbehördlichen Zwangsbehandlungsmaßnahmen zuzulassen, sondern es bei den nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch zulässigen Maßnahmen der Gesundheitssorge zu belassen, zur Folge hat, dass dem Leiter einer Maßregelvollzugseinrichtung kein eigenes Antragsrecht auf Genehmigung der Zwangsbehandlung eines einstweilig Untergebrachten zusteht (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Juli 2024 XII ZB 89/24 NJW-RR 2024, 1257 Rn. 12 und 18).
[6] a) Der vollständige Ausschluss maßregelvollzugsrechtlicher Zwangsbehandlungsmaßnahmen bei einstweilig Untergebrachten führt dazu, dass im Falle einer beabsichtigten Zwangsbehandlung kein Verfahren nach §§ 126 a Abs. 2 Satz 1, 126 Abs. 5 Satz 3 StPO iVm § 121 b Abs. 1 StVollzG, § 312 Nr. 4 FamFG einzuleiten, sondern ein solches nach § 312 Nr. 3 FamFG durchzuführen ist. Bei einer zivilrechtlichen Zwangsbehandlung erteilt das Gericht nach § 1832 Abs. 2 BGB nur die Genehmigung zu einer vom Betreuer beabsichtigten Maßnahme, der für den Vollzug dieser Maßnahme allein verantwortlich bleibt. Daher muss aus dem Verhalten des Betreuers ersichtlich sein, dass er die Genehmigung der Unterbringung wünscht (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Juli 2015 XII ZB 44/15 FamRZ 2015, 1707 Rn. 13). Demgegenüber ist der Leiter einer Maßregelvollzugseinrichtung nicht befugt, eine gerichtliche Genehmigung nach § 1832 Abs. 2 BGB zu beantragen.
[7] b) Feststellungen zum Vorliegen der Voraussetzungen für die Genehmigung einer zivilrechtlichen Zwangsbehandlung auf Veranlassung des Betreuers haben die Vorinstanzen nicht getroffen. Vielmehr haben sie in ihren Entscheidungen ausschließlich auf den Antrag des Beteiligten zu 3 abgestellt. Das sachverständig beratene Amtsgericht hat diesen Antrag bezüglich einzelner Präparate zurückgewiesen und die Zwangsbehandlung des Betroffenen mit anderen Präparaten antragsgemäß genehmigt. Auch das Beschwerdegericht hat (nur) diesen Antrag mehrfach ausdrücklich in Bezug genommen. Wie sich der Betreuer des Betroffenen zur Zwangsbehandlung verhält, haben die Vorinstanzen hingegen
nicht festgestellt. Das lässt nur den Schluss zu, dass sie allein den Antrag des Beteiligten zu 3 beschieden haben. Diesem steht jedoch kein eigenes Antragsrecht auf gerichtliche Genehmigung der Zwangsbehandlung des einstweilig untergebrachten Betroffenen zu, so dass sein Antrag als unzulässig zurückzuweisen ist.
Guhling Klinkhammer Günter
Pernice Recknagel