BGH, Beschluss vom 14. Januar 2010 - IX ZB 257/09

03.02.2010

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

IX ZB 257/09

Vorinstanzen:

AG Villingen-Schwenningen, Entscheidung vom 06.03.2009 - 1 IK 103/08 -

LG Konstanz, Entscheidung vom 05.08.2009 - 62 T 34/09 A -

vom

14. Januar 2010

in dem Verfahren auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens

Nachschlagewerk: ja

BGHZ: nein

BGHR: ja

InsO § 287 Abs. 1, § 290 Abs. 1 Nr. 3, 4

Nach Ablauf der Sperrfrist von drei Jahren kann der Schuldner einen erneuten Insol-venz-, Stundungs- und Restschuldbefreiungsantrag auch dann stellen, wenn ihm in einem früheren Verfahren die Restschuldbefreiung wegen Vermögengens-verschwendung im Schlusstermin versagt worden ist; die Rechtskraft der Versa-gungsentscheidung steht dem Rechtsschutzinteresse an der Durchführung eines erneuten Verfahrens nicht entgegen (Fortführung von BGH, Beschl. v. 16. Juli 2009 - IX ZB 219/08, z.V. in BGHZ bestimmt).

BGH, Beschluss vom 14. Januar 2010 - IX ZB 257/09 - LG Konstanz

AG Villingen-Schwenningen

 

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter, den Richter Vill, die Richterin Lohmann sowie die Richter Dr. Fischer und Dr. Pape

am 14. Januar 2010

beschlossen:

Dem Schuldner wird wegen der Versäumung der Frist zur Einle-gung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Be-schluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Konstanz vom 5. Au-gust 2009 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt.

Auf die Rechtsmittel des Schuldners werden der Beschluss der 6. Zivilkammer des Landgerichts Konstanz vom 5. August 2009 und der Beschluss des Amtsgerichts Villingen-Schwenningen vom 6. März 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren - an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.

 

Gründe:

I.

1

Am 30. Juni 2001 stellte der Schuldner Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über sein Vermögen, das am 24. Oktober 2001 eröffnet wurde. Im Schlusstermin am 11. Juli 2002 beantragte eine Gläu-bigerin Versagung der Restschuldbefreiung, weil der Schuldner nach Einstel-lung eines früheren Insolvenzverfahrens über sein Vermögen (§ 207 InsO) neue Verbindlichkeiten begründet hatte. Dieser Antrag führte zur Versagung der Restschuldbefreiung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO. Der Versagungsbe-schluss wurde durch Entscheidung des Beschwerdegerichts vom 30. Dezember 2002 rechtskräftig.

2

Am 8. Juli 2008 hat der Schuldner erneut beantragt, das Insolvenzverfah-ren über sein Vermögen zu eröffnen, ihm die Verfahrenskosten zu stunden und Restschuldbefreiung zu erteilen. Diese Anträge hat das Insolvenzgericht mit Beschluss vom 6. März 2009 als unzulässig verworfen. Der Schuldner habe kein Rechtsschutzbedürfnis für eine erneute Antragsstellung, denn eine Verän-derung der Verhältnisse sei seit Einstellung des früheren Verfahrens nicht ein-getreten. Seine Beschwerde ist erfolglos geblieben. Mit der nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe eingelegten Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner seine Anträge weiter.

 

II.

3

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 34 Abs. 1, § 4d Abs. 1, §§ 6, 7 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Sie führt zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen.

4

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, die Rechtsprechung des Bun-desgerichtshofs, nach der einem Folgeantrag des Schuldners das Rechts-schutzbedürfnis abzusprechen sei, wenn zwischen der Versagung der Rest-schuldbefreiung in dem vorausgehenden Verfahren und dem erneuten Antrag auf Durchführung eines Insolvenzverfahrens keine neuen Gläubiger hinzugetre-ten seien (BGH, Beschl. v. 6. Juli 2006 - IX ZB 263/05, NZI 2006, 601; v. 11. Oktober 2007 - IX ZB 270/05, NZI 2008, 45), müsse auch auf solche Fälle übertragen werden, in denen zwischenzeitlich neue Gläubiger hinzugekommen seien. Aufgrund der rechtskräftigen Versagung der Restschuldbefreiung könne dem Schuldner wegen der zum Zeitpunkt der damaligen Verfahrenseröffnung begründeten Verbindlichkeiten keine Restschuldbefreiung mehr gewährt wer-den. Die Zulassung eines Insolvenzverfahrens über die seither begründeten Verbindlichkeiten durchbreche den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung. Falls die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs so zu verstehen sei, dass ein Zweitantrag trotz vorausgehender rechtskräftiger Versagung der Restschuldbe-freiung unter Umständen doch zulässig sein solle, könnte das Beschwerdege-richt dem nicht folgen.

5

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

6

a) Mit dem nach Erlass der vorinstanzlichen Entscheidungen ergangenen Beschluss vom 16. Juli 2009 (IX ZB 219/08, NZI 2009, 651, z.V.b. in BGHZ) hat

 

der Senat entschieden, dass ein Antrag des Schuldners auf Restschuldbefrei-ung analog § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig ist, wenn er innerhalb von drei Jahren nach rechtskräftiger Versagung der Restschuldbefreiung in einem frühe-ren Verfahren wegen einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verletzung sei-ner Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten gestellt worden ist. In einem weiteren Beschluss vom 3. Dezember 2009 (IX ZB 89/09) hat der Senat den Grundsatz, dass den Schuldner eine dreijährige Wartepflicht trifft, wenn er es in früheren Verfahren versäumt hat, rechtzeitig Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfah-rens über sein Vermögen und Erteilung der Restschuldbefreiung zu stellen, auf den Fall übertragen, dass der Restschuldbefreiungsantrag des Schuldners in einem früheren Verfahren als unzulässig verworfen worden ist. Die analog § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO vom Schuldner nach rechtskräftiger Versagung der Restschuldbefreiung in einem vorausgehenden Verfahren einzuhaltende drei-jährige Sperrfrist muss auch für den Fall gelten, dass dem Schuldner die Rest-schuldbefreiung wegen einer Vermögensverschwendung im Sinne des § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO versagt worden ist. Auch in diesem Fall besteht eine Rege-lungslücke, die durch eine analoge Anwendung des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO zu schließen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 16. Juli 2009 aaO, S. 692 f Rn. 14 ff). Der Schuldner darf nicht sofort wieder die Möglichkeit erhalten, ein aufwändiges und kostenintensives Restschuldbefreiungsverfahren einzuleiten. Die Wartefrist muss aber - dies folgt schon aus der Regelung des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO, nach der der Schuldner nach Ablauf von zehn Jahren auch dann wieder eine Möglichkeit bekommen soll, einen Antrag auf Restschuldbefreiung zu stellen, wenn ihm diese in einem früheren Verfahren erteilt oder nach den §§ 296, 297 InsO versagt worden ist - kürzer bemessen sein, als die originäre Sperrfrist die-ser Regelung. Sie erscheint auch im Fall des § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO mit drei Jahren angemessen.

 

7

Soweit das Beschwerdegericht meint, das Rechtsschutzbedürfnis für ei-nen erneuten Verfahrensantrag müsse verneint werden, weil der Schuldner aufgrund der Rechtskraft der vorausgehenden Versagung allenfalls noch von den Verbindlichkeiten befreit werden könne, die er nach der Versagung im Erst-verfahren neu begründet habe, steht dies der Zulässigkeit des Eröffnungsan-trags nicht entgegen. Eine gespaltene Restschuldbefreiung für Verbindlichkei-ten, die nach einem bestimmten Zeitpunkt oder Ereignis begründet worden sind, gibt es nicht. Sie wäre mit dem Grundsatz, dass dem Schuldner ein schul-denfreier Neuanfang ermöglicht werden soll, nicht zu vereinbaren. Die Versa-gung der Restschuldbefreiung führt - entgegen der Auffassung von Hackländer (ZInsO 2008, 1308, 1313), auf die sich das Beschwerdegericht stützt - nicht zu der rechtskräftigen Feststellung, dass dem Schuldner für die bis zur Versagung begründeten Verbindlichkeiten keine Restschuldbefreiung mehr erteilt werden kann. Mit Rechtskraftwirkung steht lediglich fest, dass aufgrund des in Rede stehenden Restschuldbefreiungsantrags dem Schuldner keine Restschuldbe-freiung erteilt wird. Dies schließt aber die Erteilung der Restschuldbefreiung in einem späteren Verfahren ebenso wenig aus, wie etwa auch die erneute Insol-venzantragstellung nach einer vorausgegangenen Abweisung mangels Masse - trotz formeller und materieller Rechtskraft der Entscheidung nach § 26 Abs. 1 Satz 1 InsO - aufgrund veränderter Umstände nicht ausgeschlossen ist (BGH, Beschl. v. 5. August 2002 - IX ZB 51/02, NZI 2002, 601, 602). Die rechtskräftige Versagung der Restschuldbefreiung in einem früheren Verfahren lässt die ge-gen den Schuldner gerichtete Forderung selbst unberührt.

8

b) Vorliegend sind seit der rechtskräftigen Versagung der Restschuldbe-freiung in dem früheren Verfahren bis zur erneuten Antragstellung mehr als drei Jahre vergangen. Nach Ablauf der Sperrfrist von drei Jahren kann der Schuld-ner einen erneuten Insolvenz-, Stundungs- und Restschuldbefreiungsantrag

 

stellen. Ob und in welcher Höhe neue Forderungen gegen den Schuldner be-gründet worden sind, ist unerheblich.

IV.

9

Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Er ist aufzuheben; die Sache ist zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO). Da die Eröffnungs- und Stundungsvoraussetzungen bisher

 

aus Rechtsgründen nicht geprüft sind, erfolgt die Zurückverweisung analog § 572 Abs. 3 ZPO an das Insolvenzgericht (vgl. BGHZ 160, 176, 185; Münch-Komm-InsO/Ganter, 2. Aufl. § 7 Rn. 106).

Ganter Vill Lohmann

Fischer Pape

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