BGH, Beschluss vom 14. September 2021 - VI ZB 30/19

26.10.2021

BUNDESGERICHTSHOF

vom

14. September 2021

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


ZPO § 574 Abs. 2 Nr. 2; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3


Eine auf die Verletzung des Grundrechts auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gestützte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, wenn es der Beschwerdeführer im Rahmen des vorinstanzlichen Rechtsmittels versäumt hat, eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (Anschluss an BGH, Beschluss vom 15. Juli 2015 - IV ZB 10/15, VersR 2016, 137 Rn. 7).


BGH, Beschluss vom 14. September 2021 - VI ZB 30/19 - OLG Düsseldorf, LG Mönchengladbach


Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. September 2021 durch den Vorsitzenden Richter Seiters, den Richter Offenloch, die Richterin Dr. Oehler, die Richter Dr. Klein und Böhm

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 15. April 2019 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt bis 22.000 €.

Gründe:

[1] I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal in Anspruch. Er erwarb im Dezember 2015 einen gebrauchten Pkw Skoda Yeti 1.6 TDI, in welchem ein Dieselmotor des Typs EA189 eingebaut ist, den die Beklagte hergestellt hat. Dieser Motor ist mit einer Prüfstanderkennungssoftware versehen. Der Kläger begehrt von der Beklagten Erstattung des Kaufpreises in Höhe von 21.400 € Zug um Zug gegen Übergabe des Pkws. Er behauptet, er habe in Unkenntnis der nicht gesetzeskonformen Motorsteuerungssoftware das Fahrzeug erworben, wodurch er einen wirtschaftlich nachteiligen Vertrag geschlossen habe. Dies folge bereits daraus, dass kein verständiger Kunde ein Fahrzeug mit dieser Motorsteuerungssoftware erwerben würde, wenn die Beklagte ihn vor dem Kauf darauf hinweisen würde, dass die Software nicht gesetzeskonform sei und er deshalb gegebenenfalls mit Problemen für den Fall der Entdeckung der Manipulation durch das Kraftfahrtbundesamt rechnen müsse.

[2] Das Landgericht Mönchengladbach hat die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger fristgerecht Berufung eingelegt. Unter Hinweis auf Urteile der Landgerichte Hildesheim und Offenburg macht er geltend, dass ihm die Beklagte in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise gemäß § 826 BGB vorsätzlich Schaden zugefügt habe. Die schädigende Handlung sei der Beklagten auch zuzurechnen. Außerdem habe das Landgericht auch ein Urteil des Landgerichts Kleve nicht berücksichtigt, danach seien die dem Kläger zustehenden Schadensersatzansprüche auch auf die Vorschriften der §§ 826, 249 ff. BGB und § 823 BGB iVm § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu stützen.

[3] Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht die Berufung als unzulässig verworfen, da ihre Begründung nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Nr. 2 und 3 ZPO genüge. An einer auf den konkreten Sachverhalt zugeschnittenen Berufungsbegründung fehle es hier. Die Begründung beschränke sich darauf, Urteile anderer Landgerichte zu zitieren, wonach es sich bei der eingebauten Software um eine verbotene Abschalteinrichtung handele, was Ansprüche gemäß § 823 Abs. 2, § 826 BGB rechtfertige. Dabei verkenne die Berufung, dass das Landgericht diese Fragen überhaupt nicht anders beurteilt habe als der Kläger. Ein Rechtsfehler werde insoweit nicht aufgezeigt. Nicht angegriffen worden sei die einzige Begründung des Landgerichts für die Abweisung der Klage, wonach der Kläger zum Zeitpunkt des Fahrzeugerwerbs von dem behaupteten Mangel Kenntnis gehabt habe. Eine Täuschung sei damit ebenso ausgeschlossen wie eine sittenwidrige Schädigung.

[4] Hierauf sei der Kläger mit Beschluss des Berufungsgerichts unter Gelegenheit zur Stellungnahme hingewiesen worden. Die darauf eingegangene Stellungnahme rechtfertige keine andere Beurteilung. Soweit mit ihr vorgetragen werde, das Landgericht habe zu Unrecht eine Kenntnis des Klägers angenommen, hätte dies innerhalb der Berufungsbegründungsfrist gerügt werden müssen.

[5] Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde.

[6] II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und genügt den gesetzlichen Frist- und Formerfordernissen. Sie ist aber unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Januar 2010 - I ZB 97/08, juris Rn. 5; vom 14. April 2020 - VIII ZB 27/19, juris Rn. 1; jeweils mwN), nicht erfüllt sind. Insbesondere ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) erforderlich.

[7] 1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Zu der Darlegung der Rechtsverletzung gehört die aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche Gründe er ihnen entgegensetzt. Erforderlich und ausreichend ist die Mitteilung der Umstände, die aus der Sicht des Berufungsklägers den Bestand des angefochtenen Urteils gefährden; die Vorschrift stellt keine besonderen formalen Anforderungen hierfür auf. Für die Zulässigkeit der Berufung ist auch ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Zur Bezeichnung des Umstands, aus dem sich die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung materiellen Rechts ergibt, genügt regelmäßig die Darlegung einer Rechtsansicht, die dem Berufungskläger zufolge zu einem anderen Ergebnis als dem des angefochtenen Urteils führt. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen

oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen. Dabei ist aber stets zu beachten, dass formelle Anforderungen an die Einlegung eines Rechtsmittels im Zivilprozess nicht weitergehen dürfen, als es durch ihren Zweck geboten ist (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 8. Juni 2021 - VI ZB 22/20, WM 2021, 1354 Rn. 6; vom 8. Juni 2021 - VI ZB 47/20, juris Rn. 6; vom 27. Oktober 2020 - VI ZB 81/19, juris Rn. 7 jeweils mwN).

[8] 2. Ob die Berufungsbegründung des Klägers diesen Anforderungen noch gerecht wird, muss nicht entschieden werden.

[9] Insoweit vermerkt das Berufungsgericht zunächst zutreffend, dass sich der Kläger in seiner Berufungsbegründung mit der Annahme des Landgerichts, er habe vom Dieselskandal und der Betroffenheit des Fahrzeugs Kenntnis gehabt, nur unzureichend auseinandergesetzt hat. Wie die Rechtsbeschwerde aber zu Recht geltend macht, hat das Berufungsgericht übersehen, dass der Kläger die Schadensersatzansprüche nicht nur auf die Anspruchsgrundlagen des § 823 Abs. 2 BGB iVm § 263 StGB und des § 826 BGB, sondern in der ersten Instanz auf drei verschiedene deliktische Anspruchsgrundlagen gestützt hat, nämlich auf § 823 Abs. 2, § 31 BGB iVm § 263 StGB, auf §§ 826, 31 BGB sowie auf § 823 Abs. 2, § 31 BGB iVm § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV. Mit der Berufung hat er dann geltend gemacht hat, dass seine Schadensersatzansprüche sich auch aus den Regelungen des § 823 BGB iVm § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ergäben und dies vom Landgericht übergangen worden sei. Er hat ausgeführt, dass ein Verstoß gegen das Verbot von Inverkehrgabe und Handel ohne gültige Bescheinigung in § 27 Abs. 1 EG-FGV und zum anderen gegen die Pflicht zur Erteilung einer gültigen Bescheinigung gemäß § 6 Abs. 1 EG-FGV vorliege, hierbei handele es sich jeweils um Verbotsgesetze im Sinne der Vorschrift des § 823 Abs. 2 BGB.

[10] Mit dieser Anspruchsgrundlage hat sich das Landgericht in seiner Entscheidung nicht befasst und insbesondere auch nicht festgestellt, dass eine mögliche Kenntnis des Klägers vom Dieselskandal und der Betroffenheit seines Fahrzeugs auch einem solchen Anspruch entgegenstünde. Waren in erster Instanz mehrere in Betracht kommende Anspruchsgrundlagen verneint worden, so braucht die Berufungsbegründung nicht auf alle Anspruchsgrundlagen einzugehen und es reicht der Angriff gegen eine Verneinung (vgl. nur Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 520 Rn. 43 mwN). Entsprechendes gilt, wenn das erstinstanzliche Gericht eine Anspruchsgrundlage übersieht oder nicht behandelt, auf die der Kläger in der Berufungsbegründung (erneut) seinen Anspruch stützt. Für die Zulässigkeit der Berufung wäre es auch ohne Bedeutung, dass die Ausführungen der Berufungsbegründung zum Schutzgesetzcharakter dieser Normen rechtlich nicht zutreffend sind (vgl. nur Senatsurteil vom 25. Mai 2020

- VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 73 ff.).

[11] 3. Der Geltendmachung der etwaigen Verletzung des Grundrechts auf Gewährung wirkungsvollen Rechtschutzes steht jedenfalls der Grundsatz der Subsidiarität entgegen.

[12] a) Der Subsidiaritätsgrundsatz fordert, dass ein Beteiligter über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen muss, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche zu verhindern (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 9. Februar 2011

- VIII ZR 285/09, WuM 2011, 178 Rn. 10; vom 14. Juni 2018 - III ZR 54/17, BGHZ 219, 77 Rn. 37; vom 18. November 2020 - VIII ZR 123/20, NJW-RR 2021, 76 Rn. 67; Beschlüsse vom 28. März 2019 - IX ZR 147/18, ZInsO 2019, 1026 Rn. 4; vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19, NJW 2020, 1740 Rn. 15; jeweils mwN). Dieser Grundsatz ist nicht auf das Verhältnis zwischen Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit beschränkt, sondern gilt auch im Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahren (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19, NJW 2020, 1740 Rn. 15). Denn einer Revision kommt bei der Verletzung von Verfahrensgrundrechten auch die Funktion zu, präsumtiv erfolgreiche Verfassungsbeschwerden vermeidbar zu machen. Daher sind für ihre Beurteilung die gleichen Voraussetzungen maßgebend, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Erfolg einer Verfassungsbeschwerde führten (vgl. BGH, Beschluss vom 27. März 2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 296 f.). Nichts Anderes kann für das Rechtsbeschwerdeverfahren gelten (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juli 2015 - IV ZB 10/15, VersR 2016, 137 Rn. 7).

[13] b) Gemessen daran hat es der Kläger versäumt, in seiner Stellungnahme auf den Hinweisbeschluss die drohende Nichtberücksichtigung seiner Ausführungen in der Berufungsbegründung zu weiteren Anspruchsgrundlagen zu rügen.

[14] Das Berufungsgericht hat seine Auffassung, dass die Berufungsbegründung unzureichend sei, in einem Hinweisbeschluss, mit dem es dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat, dargelegt. Der Kläger hat in seiner Stellungnahme dazu lediglich unter Beweisantritt vorgetragen, dass ihm zum Kaufzeitpunkt der Mangel in Gestalt der Betroffenheit des Fahrzeugs vom Abgasskandal nicht bekannt gewesen sei und er hiervon erst im Frühjahr 2016 erfahren habe. Er hat aber nicht geltend gemacht, dass er seine Schadenersatzansprüche auf weitere Anspruchsgrundlagen aus § 823 Abs. 2 BGB iVm § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV gestützt habe und das Berufungsgericht dies ausweislich des Hinweisbeschlusses übergangen habe. Damit hat er die eingeräumte prozessuale Möglichkeit zur Verhinderung der nunmehr mit der Rechtsbeschwerde geltend gemachten Verfahrensgrundrechtsverletzung nicht genutzt.

Seiters Offenloch Oehler

Klein Böhm

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