BGH, Beschluss vom 14. September 2022 - XII ZB 554/21

18.10.2022

BUNDESGERICHTSHOF

vom

14. September 2022

in der Unterbringungssache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


FamFG §§ 62, 319


Zur Notwendigkeit der Benachrichtigung des Verfahrenspflegers von einer gerichtlichen Anhörung des Betroffenen in Unterbringungssachen.


BGH, Beschluss vom 14. September 2022 - XII ZB 554/21 - LG Ansbach, AG Ansbach


Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. September 2022 durch die Richter Guhling, Prof. Dr. Klinkhammer, Schilling, Dr. Günter und Dr. Botur

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Ansbach vom 26. Oktober 2021 und der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Ansbach vom 30. November 2021 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Die außergerichtlichen Kosten des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

[1] I. Der im Jahre 1965 geborene Betroffene leidet seit Jahren unter einer chronifizierten schizophrenen Psychose. Im vorliegenden Rechtsbeschwerdeverfahren erstrebt er die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Unterbringungsgenehmigung nach § 1906 Abs. 1 BGB.

[2] Diese ist vom Amtsgericht bis zum 25. April 2022 ausgesprochen worden. Das Landgericht hat die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen. Die Unterbringungsgenehmigung hat sich während des Rechtsbeschwerdeverfahrens durch Zeitablauf erledigt.

[3] II. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts, weil diese den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben, was nach der in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG (vgl. Senatsbeschluss vom 13. April 2022 ­ XII ZB 267/21 ­ FamRZ 2022, 1132 Rn. 3 mwN) festzustellen ist.

[4] 1. Die erstinstanzliche Anhörung war ­ wie die Rechtsbeschwerde zutreffend rügt ­ verfahrensfehlerhaft, weil die Verfahrenspflegerin keine Gelegenheit hatte, an ihr teilzunehmen (vgl. Senatsbeschluss vom 13. Mai 2020 ­ XII ZB 541/19 ­ FamRZ 2020, 1305 Rn. 14 f. mwN, ebenfalls zum Betroffenen des vorliegenden Verfahrens). Das Landgericht hätte den Betroffenen daher nach § 68 Abs. 3 FamFG erneut anhören und der Verfahrenspflegerin die Gelegenheit geben müssen, an der Anhörung teilzunehmen.

[5] a) Die Bestellung eines Verfahrenspflegers in einer Unterbringungssache gemäß § 317 Abs. 1 Satz 1 FamFG soll die Wahrung der Belange des Betroffenen in dem Verfahren gewährleisten. Er soll bei den besonders schwerwiegenden Eingriffen in das Grundrecht der Freiheit der Person nicht allein stehen, sondern fachkundig beraten und begleitet werden. Der Verfahrenspfleger ist daher vom Gericht im selben Umfang wie der Betroffene an den Verfahrenshandlungen zu beteiligen. Dies gebietet es zumindest dann, wenn das Betreuungsgericht bereits vor der Anhörung des Betroffenen die Erforderlichkeit einer Verfahrenspflegerbestellung erkennen kann, in Unterbringungssachen regelmäßig, den Verfahrenspfleger schon vor der abschließenden Anhörung des Betroffenen zu bestellen. Das Betreuungsgericht muss durch die rechtzeitige Bestellung eines Verfahrenspflegers und dessen Benachrichtigung vom Anhörungstermin sicherstellen, dass dieser an der Anhörung des Betroffenen teilnehmen kann. Außerdem steht dem Verfahrenspfleger ein eigenes Anhörungsrecht zu. Erfolgt die Anhörung dennoch ohne die Möglichkeit einer Beteiligung des bestellten Verfahrenspflegers, ist sie verfahrensfehlerhaft und verletzt den Betroffenen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG (Senatsbeschluss vom 13. Mai 2020 ­ XII ZB 541/19 ­ FamRZ 2020, 1305 Rn. 15 mwN). Der rechtzeitig vom Termin unterrichtete Verfahrenspfleger kann sodann allerdings selbst entscheiden, ob er an dem Termin teilnimmt (Senatsbeschluss vom 11. Mai 2022 ­ XII ZB 129/21 ­ FamRZ 2022, 1225 Rn. 15 ff.).

[6] b) Im vorliegenden Fall hat das Amtsgericht die Verfahrenspflegerin vom Anhörungstermin vom 20. Oktober 2021 nicht informiert, sodass für diese keine Möglichkeit bestand, an der Anhörung teilzunehmen. Aus dem erst vom 2. November 2021 und damit nach Erlass des Beschlusses vom 26. Oktober 2021 datierenden handschriftlichen Anhörungsvermerk ergibt sich dementsprechend, dass nur der zuständige Richter und der Betroffene an der Anhörung teilnahmen.

[7] Zwar hatte der zuständige Richter ausweislich eines Aktenvermerks vom 24. September 2021 mit dem Sekretariat der Verfahrenspflegerin telefoniert und hatte die Verfahrenspflegerin danach mitteilen lassen, dass sie den Betroffenen separat vom Gericht aufsuchen werde. Dies hat aber ihre Benachrichtigung vom Anhörungstermin nicht entbehrlich gemacht. Aus dem Vermerk vom 24. September 2021 ergibt sich nicht, dass die Verfahrenspflegerin damit auf die Teilnahme an künftigen gerichtlichen Anhörungen des Betroffenen etwa generell verzichten wollte. Im Übrigen hat die Verfahrenspflegerin ausweislich ihres im Abhilfeverfahren erstatteten Berichts erst am 12. November 2021 und somit nach Erlass des amtsgerichtlichen Beschlusses Kontakt zum Betroffenen aufgenommen.

[8] Da die erstinstanzliche Anhörung somit verfahrensfehlerhaft war, durfte das Landgericht nicht von einer eigenen persönlichen Anhörung des Betroffenen absehen (vgl. Senatsbeschluss vom 4. November 2020 ­ XII ZB 344/20 ­ FamRZ 2021, 224 Rn. 8 mwN). Dass die Verfahrenspflegerin die Unterbringung befürwortet hat, schließt dies nicht aus.

[9] 2. Der Betroffene ist durch diese Verfahrensmängel in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt worden.

[10] Die Feststellung, dass ein Betroffener durch die angefochtene Entscheidung in seinen Rechten verletzt ist, kann grundsätzlich auch auf einer Verletzung des Verfahrensrechts beruhen. Dabei ist die Feststellung nach § 62 FamFG jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn der Verfahrensfehler so gravierend ist, dass die Entscheidung den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung hat, der durch Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu tilgen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2020 ­ XII ZB 291/20 ­ FamRZ 2021, 462 Rn. 18 mwN).

[11] Das Unterbleiben einer verfahrensordnungsgemäßen persönlichen Anhörung des Betroffenen stellt einen Verfahrensmangel dar, der derart schwer wiegt, dass der genehmigten Unterbringungsmaßnahme insgesamt ein solcher Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung anhaftet. Die durch § 319 Abs. 1 Satz 1 FamFG angeordnete persönliche Anhörung in Anwesenheit des Verfahrenspflegers gehört zu den bedeutsamen Verfahrensgarantien, deren Verletzung die Feststellung nach § 62 FamFG rechtfertigt (vgl. Senatsbeschluss vom 13. April 2022 ­ XII ZB 267/21 ­ FamRZ 2022, 1132 Rn. 17 mwN).

[12] 3. Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse des Betroffenen daran, die Rechtswidrigkeit der ­ hier durch Zeitablauf erledigten ­ Unterbringungsmaßnahme feststellen zu lassen, liegt vor. Die gerichtliche Anordnung oder Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG (st. Rspr. des Senats, vgl. Senatsbeschluss vom 2. Dezember 2020 ­ XII ZB 291/20 ­ FamRZ 2021, 462 Rn. 21 mwN).

[13] Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

Guhling Klinkhammer Schilling

Günter Botur

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