BGH, Beschluss vom 15. November 2021 - ARNot 1/21

12.01.2022

BUNDESGERICHTSHOF

vom

15. November 2021

in der verwaltungsrechtlichen Notarsache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


ZPO § 45 Abs. 3; § 43; § 42 Abs. 2


a) In der schriftsätzlichen Stellung und Begründung von Anträgen im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gemäß § 80 Abs. 5, § 123 VwGO liegt eine Einlassung im Sinn von § 43 ZPO.

b) Der Umstand, dass die Präsidentin des Oberlandesgerichts als Justizbehörde die angefochtene Entscheidung getroffen hat, begründet keinen hinreichenden Grund für vernünftige Zweifel an der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der richterlichen Mitglieder des Notarsenats des Oberlandesgerichts (Festhaltung BGH, Beschlüsse vom 20. Juli 2020 - NotZ(Brfg) 3/20, ZNotP 2021, 38 Rn. 22 ff.; vom 25. August 2020 - VIII ARZ 2/20, BGHZ 226, 350 Rn. 37 ff.).


BGH, Beschluss vom 15. November 2021 - ARNot 1/21 - OLG Köln


wegen Besetzung einer Notarstelle

Der Senat für Notarsachen des Bundesgerichtshofs hat am 15. November 2021 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann, den Richter Offenloch, die Richterin Dr. Roloff, den Notar Dr. Hahn und die Notarin Kuske

beschlossen:

Die Ablehnungsgesuche der Antragstellerin vom 11. und 16. Juli 2021 werden zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die berufsrichterlichen Mitglieder der erkennenden Spruchgruppe des Notarsenats des Oberlandesgerichts K. und gegen dessen stellvertretende Vorsitzende richten.

Gründe:

[1] I. Die Antragstellerin wendet sich mit Antrag vom 9. März 2021 im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegen die Entscheidung der Antragsgegnerin über die Besetzung einer Notarstelle.

[2] Mit Schriftsatz vom 11. Juli 2021 - ergänzt durch Schriftsatz vom 16. Juli 2021 - hat sie den Vorsitzenden des Notarsenats, die weiteren berufsrichter-

lichen Mitglieder des Notarsenats und "sämtliche Richter des OLG K. , die statt der abgelehnten Richter in den Senat eintreten und über das Befangenheitsgesuch entscheiden sollen", wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung führt sie aus, Gegenstand ihres Antrags sei eine Entscheidung der Präsidentin des Oberlandesgerichts K. . Diese sei die unmittelbare Vorgesetzte sowohl des Vorsitzenden als auch der berufsrichterlichen Mitglieder des Notarsenats. Sie müssten im vorliegenden Verfahren gegebenenfalls die angefochtene Entscheidung für rechtswidrig erklären. Damit gerieten sie in die Situation eines Interessenkonflikts. Sie müssten sich in einer wichtigen Angelegenheit der Ansicht der Präsidentin als Vorgesetzter widersetzen. Die Antragstellerin müsse daher Zweifel an der Unvoreingenommenheit der abgelehnten Richter haben.

[3] Der Vorsitzende des Notarsenats des Oberlandesgerichts hat die Ablehnungsgesuche dem Bundesgerichtshof gemäß § 111b Abs. 1 Satz 1 BNotO, § 54 Abs. 1 VwGO, § 45 Abs. 3 ZPO zur Entscheidung vorgelegt.

[4] II. Die Ablehnungsgesuche sind, soweit sie die im Tenor genannten Richter betreffen, zurückzuweisen. Hinsichtlich der weitergehenden Ablehnungsgesuche sieht der Senat von einer Entscheidung ab, da diese nach § 45 Abs. 3 ZPO nicht erforderlich ist.

[5] 1. Der Bundesgerichtshof ist gemäß § 45 Abs. 3 ZPO als das im Rechtszug höhere Gericht für die Entscheidung über die Ablehnungsgesuche zuständig. Er kann sich im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens darauf beschränken, über so viele Ablehnungsgesuche zu befinden, bis die Beschlussfähigkeit des Ausgangsgerichts wiederhergestellt ist (BGH, Beschluss vom 25. August 2020 - VIII ARZ 2/20, BGHZ 226, 350 Rn. 22 mwN). Nach diesen Maßstäben ist es angemessen, über die gegen die nach dem Beschluss über die Geschäftsverteilung bei dem Senat für Notarsachen ab dem 1. März 2021 zuständigen berufsrichterlichen Mitglieder der zuständigen Spruchgruppe gerichteten Ablehnungsgesuche sowie dasjenige gegen die stellvertretende Vorsitzende, die bei Verhinderung entweder des Vorsitzenden oder des weiteren berufsrichterlichen Mitglieds der Spruchgruppe als Vertreterin berufen wäre, zu befinden.

[6] 2. Soweit danach über die Ablehnungsgesuche zu befinden ist, sind sie verspätet und daher unzulässig.

[7] a) Nach § 43 ZPO kann eine Partei einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat. Wird ein Richter, bei dem die Partei sich in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, so ist gemäß § 44 Abs. 4 ZPO glaubhaft zu machen, dass der Ablehnungsgrund erst später entstanden oder der Partei bekannt geworden sei. Das Ablehnungsgesuch ist unverzüglich anzubringen.

[8] b) Die Antragstellerin hat bereits mit Schriftsatz vom 19. März 2021 Sachanträge im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gestellt und begehrt, der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung zu untersagen, die Stelle dem ausgewählten Mitbewerber zu übertragen, sowie ihr im Wege der Zwischenverfügung aufzugeben, vorläufig von einer Übertragung der Stelle abzusehen. Bei diesen Anträgen handelt es sich um Sachanträge im Sinn von § 43 ZPO. Nachdem das vorläufige Rechtsschutzverfahren gemäß § 80 Abs. 5, § 123 VwGO keine mündliche Verhandlung erfordert, liegt eine Einlassung im Sinn von § 43 ZPO bereits in der schriftsätzlichen Stellung und Begründung dieser Anträge (vgl. BFH, Beschluss vom 18. März 2013 - VII B 134/12, juris Rn. 8 f.; BGH, Beschluss vom 16. Januar 2014 - XII ZB 377/12, FamRZ 2014, 642 Rn. 22; MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl., § 43 Rn. 5; Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl., § 43 ZPO Rn. 2; Vossler in BeckOK, ZPO, Stand 1. 9. 2021, § 43 Rn. 9).

[9] c) Der Antragstellerin war der geltend gemachte Ablehnungsgrund bereits zum Zeitpunkt der Einreichung des Antragsschriftsatzes bekannt, nachdem sich aus dem Schriftsatz ergibt, dass die angefochtene Auswahlentscheidung von der Präsidentin des Oberlandesgerichts getroffen worden war.

[10] 3. Die Ablehnungsgesuche sind aber auch unbegründet.

[11] a) Der Senat hat bereits entschieden, dass unbeschadet der Ausführungen in dem Urteil der V. Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (im Folgenden: Gerichtshof) vom 30. Januar 2020 (Rs. 29295/16, BeckRS 2020, 759 [engl.], NLMR 2020, 28 [dt. Übers.], Rn. 65 ff., 79) allein der Umstand, dass die Präsidentin des Oberlandesgerichts als Justizbehörde die angefochtene Besetzungsentscheidung getroffen hat, keinen gemäß § 42 Abs. 2 ZPO hinreichenden Grund für vernünftige Zweifel an der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Mitglieder des Notarsenats des Oberlandesgerichts begründet (Senat, Beschluss vom 20. Juli 2020 - NotZ(Brfg) 3/20, ZNotP 2021, 38 Rn. 22 ff. mwN). Daran hält der Senat fest.

[12] b) Angesichts der in Deutschland bestehenden und dort auch in der Rechtswirklichkeit beachteten Schutzvorrichtungen und Garantien für die sachliche und persönliche Unabhängigkeit der Richter (Art. 97 GG, § 1 GVG, §§ 25 ff. DRiG) besteht aus objektiver Sicht kein begründeter Anlass für die Besorgnis, dass Richter über die Anfechtung von Verwaltungsakten, die vom Präsidenten ihres Gerichts als Verwaltungsbehörde erlassen werden, nicht mit der gebotenen Unparteilichkeit befinden könnten, sofern nicht im Einzelfall besondere Umstände hinzutreten. Eine derartige Besorgnis rechtfertigt sich weder aus der Mitwirkung des Präsidenten im Präsidium seines Gerichts noch aus seiner Dienstaufsichtsbefugnis.

[13] c) Als Vorsitzender des Präsidiums (§ 21a Abs. 2 GVG), das über die Besetzung der Spruchkörper und damit auch des Notarsenats entscheidet, handelt der Oberlandesgerichtspräsident nicht als Organ der Justizverwaltung, sondern ebenso wie die übrigen Mitglieder des Präsidiums in richterlicher Unabhängigkeit (MüKoZPO/Zimmermann, 5. Aufl., § 21a GVG Rn. 5). Ihm kommt dabei kein höheres Stimmengewicht zu als den anderen Präsidiumsmitgliedern (§ 21e Abs. 7 Satz 1 GVG; vgl. MüKoZPO/Zimmermann aaO § 21e Rn. 58). Außerdem werden die Mitglieder des Notarsenats vorab für einen längeren Zeitraum, nämlich für die Dauer von fünf Jahren, fest bestellt (§ 102 Satz 1, § 103 Abs. 5 Satz 1 BNotO).

[14] d) Auch die Unterstellung unter die Dienstaufsicht des Gerichtspräsidenten (einschließlich der dienstlichen Beurteilung) vermag ohne Hinzutreten besonderer Umstände im Einzelfall keine Zweifel an der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit eines Richters zu rechtfertigen (BGH, Beschluss vom 25. August 2020 - VIII ARZ 2/20, BGHZ 226, 350 Rn. 37 ff.). Wie auch der Gerichtshof nicht verkennt (aaO Rn. 78), sind disziplinarische Maßnahmen gegen Richter ihrerseits der gerichtlichen Überprüfung unterstellt und unzulässig, wenn und soweit hierdurch die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigt wird (§ 26 DRiG). Die theoretische Möglichkeit, Richter könnten zur Förderung ihrer Aufstiegschancen bestrebt sein, in ihrer Entscheidungspraxis denjenigen Amtsträgern, die über Beförderungen zu entscheiden haben, zu gefallen, erfährt ein Gegengewicht durch die Gesetzesbindung und die verfassungsrechtliche Garantie der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit jedes Richters sowie die diese absichernden Rechtsschutzmöglichkeiten. Ohnedies sichern § 196 Abs. 1 GVG und das Beratungsgeheimnis (§ 43 DRiG), dass die Zuordnung des Entscheidungsergebnisses zum einzelnen Richter nicht möglich ist.

[15] e) Besondere Umstände, die vorliegend Bedenken gegen die Unvoreingenommenheit der Mitglieder des Notarsenats des Oberlandesgerichts begründen könnten, hat die Antragstellerin nicht vorgetragen und sind auch im Übrigen nicht ersichtlich, zumal die Stelle der Präsidentin des Oberlandesgerichts K. zur Zeit gar nicht besetzt ist.

Herrmann Offenloch Roloff

Hahn Kuske

ECLI:DE:BGH:2021:151121BARNOT1.21.0

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