BGH, Beschluss vom 15. September 2025 - I ZB 36/25
BUNDESGERICHTSHOF
vom
15. September 2025
in dem Prozesskostenhilfeverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 78 Abs. 1 Satz 1; DSGVO Art. 80 Abs. 1
Das in § 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO normierte Erfordernis, dass sich Parteien vor den Landgerichten und den Oberlandesgerichten durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen, wird durch Art. 80 Abs. 1 DSGVO nicht modifiziert.
BGH, Beschluss vom 15. September 2025 - I ZB 36/25 - LG Meiningen, AG Sonneberg
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. September 2025 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Koch, den Richter Dr. Löffler, die Richterin Dr. Schwonke, den Richter Feddersen und die Richterin Pohl
beschlossen:
Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens unter Beiordnung von Rechtsanwalt am Bundesgerichtshof Kofler wird abgelehnt.
Gründe:
[1] I. Der Beklagte ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und erstellte im Auftrag des Amtsgerichts Sonneberg ein vorläufiges familienpsychologisches Sachverständigengutachten in einer Familiensache, an der die Klägerin als Beklagte beteiligt ist. Die gegen die Verarbeitung der Daten der Klägerin gerichtete, auf Art. 79 DSGVO gestützte Klage hat das Amtsgericht abgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin ohne anwaltliche Vertretung Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen, weil der für die Klägerin auftretende "A. e.V." vor dem Landgericht nicht postulationsfähig sei.
[2] Die Klägerin begehrt, ihr für eine beabsichtigte Rechtsbeschwerde gegen den Verwerfungsbeschluss des Berufungsgerichts Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt am Bundesgerichtshof Kofler beizuordnen.
[3] II. Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zu Recht nach § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen, weil sie bei deren Einlegung nicht von einem Rechtsanwalt, sondern von dem "A. e.V." vertreten war.
[4] 1. Nach § 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO müssen sich die Parteien vor den Landgerichten und Oberlandesgerichten durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der "A. e.V."
in dem vor dem Landgericht geführten Berufungsverfahren nach § 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht postulationsfähig ist, weil er kein Rechtsanwalt ist.
[5] 2. Etwas Anderes ergibt sich entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht aus Art. 80 Abs. 1 DSGVO. Nach dieser Vorschrift hat die betroffene Person das Recht, eine Einrichtung, Organisation oder Vereinigung ohne Gewinnerzielungsabsicht, die ordnungsgemäß nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet ist, deren satzungsmäßige Ziele im öffentlichen Interesse liegen und die im Bereich des Schutzes der Rechte und Freiheiten von betroffenen Personen in Bezug auf den Schutz ihrer personenbezogenen Daten tätig ist, zu beauftragen, in ihrem Namen eine Beschwerde einzureichen, in ihrem Namen die in Art. 77, 78 und 79 DSGVO genannten Rechte wahrzunehmen und das Recht auf Schadensersatz gemäß Art. 82 DSGVO in Anspruch zu nehmen, sofern dieses im Recht der Mitgliedstaaten vorgesehen ist.
[6] Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, wird das in § 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO normierte Erfordernis, dass sich Parteien vor den Landgerichten und Oberlandesgerichten durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen, durch Art. 80 Abs. 1 DSGVO nicht modifiziert (allg. Meinung; vgl. VG Weimar, LKV 2022, 429 [juris Rn. 31 f.]; Plath/Becker, DSGVO/BDSG/TTDSG, 4. Aufl., Art. 80 DSGVO Rn. 3; Nemitz in Ehmann/Selmayr, DSGVO, 3. Aufl., Art. 80 Rn. 10; Moos/Schefzig in Taeger/Gabel, DSGVO - BDSG - TTDSG, 4. Aufl., Art. 80 DSGVO Rn. 16; Werkmeister in Gola/Heckmann, DSGVO - BDSG, 3. Aufl., Art. 80 DSGVO Rn. 8; ähnlich Kreße in Sydow/Marsch, DSGVO/BDSG, 3. Aufl., Art. 80 DSGVO Rn. 11; offenlassend Bergt in Kühling/Buchner, DSGVO BDSG, 4. Aufl., Art. 80 DSGVO Rn. 11a bis c; Halder, Private Enforcement und Datenschutzrecht, 2022, Rn. 112). Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 80 Abs. 1 DSGVO. Die Vorschrift sieht nicht vor, dass die dort genannten Einrichtungen, Organisationen und Vereinigungen Rechtsbehelfe selbst einlegen können, sondern nur, dass sie im Namen der betroffenen Person die in Art. 77, 78 und 79 DSGVO genannten Rechte wahrnehmen können (vgl. VG Weimar, LKV 2022, 429 [juris Rn. 32]; Bergt in Kühling/Buchner aaO Art. 80 DSGVO Rn. 11c). Art. 80 Abs. 1 DSGVO betrifft daher lediglich die Befugnis, eine Beschwerde oder ein Gerichtsverfahren im fremden Namen zu führen. Eine Postulationsfähigkeit im Anwaltsprozess gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist damit nicht verbunden.
[7] 3. Der Streitfall wirft aufgrund des eindeutigen Wortlauts des Art. 80 Abs. 1 DSGVO und der nahezu einhelligen Beurteilung von dessen Tragweite in Rechtsprechung und Literatur auch keine Frage grundsätzlicher Bedeutung auf. Aus der von der Klägerin vorgelegten Entscheidung des Landgerichts Meiningen vom 25. Juni 2025 (4 T 63/25) zur Postulationsfähigkeit im Parteiprozess nach § 79 Abs. 2 ZPO ergibt sich nichts anderes. Auch die in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgte Rechtsschutzgleichheit gebietet es daher nicht, die Erfolgsaussicht zu bejahen und der Klägerin Prozesskostenhilfe zu gewähren (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 17. März 2004 - XII ZB 192/02, NJW 2004, 2022 [juris Rn. 7] mwN).
Koch Löffler Schwonke
Feddersen Pohl