BGH, Beschluss vom 18. August 2022 - V ZR 3/22

09.05.2023

BUNDESGERICHTSHOF

vom

18. August 2022

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


ZPO § 114 Abs. 1 Satz 1, § 115 Abs. 3


Zur Verwertung von Immobilienvermögen im Rahmen der Prozesskostenhilfe.


BGH, Beschluss vom 18. August 2022 - V ZR 3/22 - LG München I, AG Starnberg


Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. August 2022 durch die Richterin Dr. Brückner als Vorsitzende, die Richterin Haberkamp, die Richter Dr. Hamdorf und Dr. Malik und die Richterin Laube

beschlossen:

Dem Beklagten zu 2 wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. B. Prozesskostenhilfe für die Verteidigung gegen die Nichtzulassungsbeschwerde und für den Fall der Zulassung der Revision auch für das Revisionsverfahren bewilligt.

Ihm wird auferlegt, die von ihm zu tragenden Verfahrenskosten aus seinem Vermögen an die Bundesjustizkasse zu zahlen, wobei diese Verpflichtung bis zum Ablauf des 1. April 2024 gestundet wird.

Gründe:

[1] 1. Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält in einem höheren Rechtszug auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn - wie hier - der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat (§ 114 Abs. 1 Satz 1, § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Nach § 115 Abs. 3 ZPO hat die Partei für die Prozessführung grundsätzlich ihr Vermögen einzusetzen, soweit dessen Verwertung unter Berücksichtigung des zu belassenden Schonvermögens (§ 90 Abs. 2, Abs. 3 SGB XII) zumutbar ist.

[2] 2. Dem Beklagten zu 2 ist die Aufbringung der Prozesskosten aus seinem Vermögen (§ 115 Abs. 3 ZPO) - wenn auch erst nach Ablauf einer angemessenen Verwertungsfrist - möglich und zumutbar.

[3] a) Er ist Eigentümer von sechs Eigentumswohnungen, deren Wert er mit insgesamt 1.125.000 € angibt und die mit Grundpfandrechten belastet sind, die in Höhe von etwa 500.000 € valutieren. Während die von ihm selbst bewohnte Eigentumswohnung zu dem Schonvermögen gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII gehört, hat er die Eigentumswohnungen, die vermietet sind, zur Finanzierung der Prozesskosten einzusetzen.

[4] aa) Der Beklagte zu 2 hat zwar dargelegt und durch Vorlage von Bankbescheinigungen glaubhaft gemacht, dass ihm eine Beleihung der vermieteten Eigentumswohnungen nicht möglich und zumutbar ist und dass er auch keinen (weiteren) Überziehungskredit erhält. Ihm ist es aber zumutbar, jedenfalls eine Wohnung zu veräußern, um aus dem Erlös die Kosten der Rechtsverteidigung aufzubringen. Im Hinblick auf deren Lage ist davon auszugehen, dass er dabei einen angemessenen Nettoerlös erzielen wird, der ausreicht, um die Verfahrenskosten zu decken.

[5] bb) Ohne Erfolg macht der Beklagte zu 2 geltend, die Wohnungen in dem Haus 1 seien an seine Söhne und deren Familie vermietet und eine Veräußerung der Wohnungen in dem Haus 1a sei ohne vorherige Generalsanierung einschließlich der Heizungs- und Warmwasseranlage nicht wertgerecht möglich. Die Immobilie, die von einem Familienangehörigen bewohnt wird, stellt kein Schonvermögen nach § 115 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII dar. Dass eine Sanierung der Wohnungen beschlossen und finanziell gesichert wäre, ist nicht dargelegt. Andernfalls wäre zudem die Bedürftigkeit des Beklagten zu 2 gemäß § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu verneinen. Wäre der Beklagte zu 2 in der Lage, eine Sanierung der Wohnungen zu finanzieren, könnte er auch die Kosten für die Prozessführung aufbringen.

[6] cc) Der Veräußerung einer Eigentumswohnung steht die von der Klägerin weiterverfolgte Schadensersatzklage nicht entgegen. Für einen eventuellen Schadensersatz haftet der Beklagte zu 2 persönlich, nicht die Eigentumswohnung.

[7] b) Dass die Veräußerung eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, führt nicht dazu, dass der Beklagte zu 2 als bedürftig anzusehen wäre. Diesem Umstand ist regelmäßig - und auch hier - dadurch zu begegnen, dass Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist, allerdings unter der gleichzeitigen Anordnung der Stundung der Rückzahlung an die Justizkasse bis zu dem Zeitpunkt, zu welchem bei entsprechender Anstrengung mit dem Verkauf der Immobilie gerechnet werden kann (vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 2009, 138; OLG München, OLGR 1998, 365; OLG Bremen, FamRZ 2011, 386, 398; OLG Koblenz, Beschluss vom 4. September 2013 - 13 WF 682/13, juris Rn. 4; OLG Celle, FamRZ 2018, 607 Rn. 7;

HK-ZPO/Kießling, 9. Aufl., § 115 Rn. 60; Gottschalk/Schneider, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 10. Aufl., Rn. 381; aA Stein/Jonas/Bork, ZPO, 23. Aufl., § 115 Rn. 97, 130).

[8] c) Der Senat hält es für geboten, aber auch ausreichend, dem Beklagten zu 2 die Zahlung der Verfahrenskosten bis zum 1. April 2024 zu stunden. Die Veräußerung einer Eigentumswohnung dürfte innerhalb eines Zeitraum von eineinhalb Jahren möglich sein. Bei der Bemessung der Frist ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte zu 2 nach seinem eigenen Vorbringen Ende März 2024 eine vollständige Tilgung seiner Immobiliendarlehen plant, er also seine wirtschaftlichen Verhältnisse ohnehin neu ordnen wird.

[9] d) Die Zahlung kann unbeziffert angeordnet werden, weil zu erwarten ist, dass der Nettoerlös aus der Veräußerung zur Begleichung der vollen Verfahrenskosten ausreichen wird (vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 2009, 138; OLG Bremen, FamRZ 2011, 386, 398).

Brückner Haberkamp Hamdorf

Malik Laube

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