BGH, Beschluss vom 20. Juli 2020 - NotZ(Brfg) 5/19

08.09.2020

BUNDESGERICHTSHOF

vom

20. Juli 2020

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


BNotO § 4


Die Justizverwaltung muss, wenn sie sich bei der Bedürfnisprüfung nach § 4 BNotO durch eine Richtlinie oder ständige Übung gebunden hat, die entsprechenden Prüfungsmaßstäbe grundsätzlich beachten, um eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung der von ihren Maßnahmen betroffenen Notare zu vermeiden. Sie ist aber nicht verpflichtet, zur Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes eine derartige Selbstbindung einzugehen. Auch dann darf sie aber in den verschiedenen Amtsgerichtsbezirken nicht willkürlich unterschiedliche Maßstäbe anlegen (Fortführung von Senat, Urteil vom 5. März 2012 - NotZ(Brfg) 5/11, ZNotP 2012, 192 u.a.).


BGH, Beschluss vom 20. Juli 2020 - NotZ(Brfg) 5/19 - OLG Naumburg


wegen Unterlassen der Wiederbesetzung einer Notarstelle

Der Senat für Notarsachen des Bundesgerichtshofes hat am 20. Juli 2020 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann, den Richter Tombrink, die Richterin Müller und die Notare Dr. Strzyz und Dr. Frank

beschlossen:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Notarsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 4./5. November 2019 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe:

[1] I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Ein Zulassungsgrund ist nicht gegeben. Entgegen der Auffassung der Klägerin bestehen weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils noch weist die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf, noch hat sie grundsätzliche Bedeutung; auch eine Divergenz und ein Verfahrensmangel liegen nicht vor (§ 124 Abs. 2 Nrn. 1-5 VwGO, § 111d Satz 2 BNotO).

[2] 1. Der Zulassungsgrund aus § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO) ist nicht gegeben, da keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass der Antragsteller im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hat. Zweifel an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen füllen den Zulassungsgrund dann nicht aus, wenn solche Zweifel nicht auch die Richtigkeit des Ergebnisses erfassen (Senatsbeschlüsse vom 24. Juli 2017 - NotSt(Brfg) 2/17, WM 2018, 482 Rn. 22; vom 23. November 2015 - NotSt(Brfg) 5/15, NJW-RR 2016, 754 Rn. 5 mwN).

[3] An diesen Grundsätzen gemessen bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit der Beurteilung des Oberlandesgerichts, dass der Klägerin kein Anspruch gegen den Beklagten zusteht, die Wiederbesetzung der Notarstelle (vormals Dr. R.) in W. zu unterlassen.

[4] a) Gemäß § 4 BNotO werden so viele Notare bestellt, wie es den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege entspricht, wobei insbesondere das Bedürfnis nach einer angemessenen Versorgung der Rechtsuchenden mit notariellen Leistungen und die Wahrung einer geordneten Altersstruktur des Notarberufs zu berücksichtigen sind. Das Gesetz räumt der Landesjustizverwaltung (§ 12 Satz 1 BNotO) bei der Bestimmung der Zahl der zu schaffenden bzw. zu bewahrenden Notarstellen ein weites Organisationsermessen ein, das jedoch durch die drei ausdrücklich normierten Zielvorgaben des § 4 BNotO sachlich begrenzt wird (Senatsurteil vom 5. März 2012 - NotZ(Brfg) 5/11, ZNotP 2012, 192 Rn. 14; Senatsbeschluss vom 11. Juli 2005 - NotZ 1/05, DNotZ 2005, 947, 949, juris Rn. 7, 11). Die Ermessensausübung dürfen die Gerichte entsprechend dem Rechtsgedanken des § 114 Satz 1 VwGO (i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO, § 125 Abs. 1 VwGO) auch im Fall einer allgemeinen Leistungs- oder Unterlassungsklage lediglich darauf überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (vgl. Senatsurteil vom 5. März 2012 - NotZ(Brfg) 5/11, ZNotP 2012, 192 Rn. 14; Schenke/Ruthig in Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl., § 114 Rn. 2). Auch ein derartiger Ermessensfehler begründet aber nicht ohne Weiteres den Anspruch eines Amtsinhabers auf Unterlassung der Wiederbesetzung einer Notarstelle; vielmehr bedarf es eines Ermessensfehlers, der den Amtsinhaber in seinen subjektiven Rechten verletzt (vgl. Senatsbeschluss von 26. Juni 2009 - NotZ 7/09, ZNotP 2009, 364 Rn. 5). Subjektive Rechte von Amtsinhabern hat die Landesjustizverwaltung bei der Ausübung ihres Organisationsermessens insoweit zu wahren, als jedem Notar zur Erfüllung seiner öffentlichen Aufgabe als unabhängiger und unparteiischer Berater ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Unabhängigkeit zu gewährleisten ist (Senatsurteil vom 5. März 2012 - NotZ(Brfg) 5/11, ZNotP 2012, 192 Rn. 14; Senatsbeschlüsse vom 26. Juni 2009 - NotZ 7/09, ZNotP 2009, 364 Rn. 7; vom 11. Juli 2005 - NotZ 1/05, DNotZ 2005, 947, 949, juris Rn. 11; vom 16. Juli 2001 - NotZ 7/01, DNotZ 2002, 70 f., juris Rn. 9; vom 20. Juli 1998 - NotZ 31/97, NJW-RR 1999, 207, juris Rn. 9). Darüber hinaus muss die Justizverwaltung, wenn sie sich bei der Bedürfnisprüfung nach § 4 BNotO durch eine Richtlinie oder ständige Übung gebunden hat, die entsprechenden Prüfungsmaßstäbe grundsätzlich beachten, um eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung der von ihren Maßnahmen betroffenen Notare zu vermeiden (Senatsurteil vom 5. März 2012 - NotZ(Brfg) 5/11, ZNotP 2012, 192 Rn. 15; Senatsbeschlüsse vom 11. Juli 2005 - NotZ 1/05, DNotZ 2005, 947, 949, juris Rn. 11; vom 22. März 2004 - NotZ 25/03, DNotZ 2004, 887, 888, juris Rn. 8). Bei Vorliegen eines hinreichenden sachlichen Grundes darf sie allerdings von ihrer ursprünglichen Verwaltungspraxis abweichen und in eine Einzelfallbetrachtung eintreten (vgl. Senatsurteil vom 5. März 2012 - NotZ(Brfg) 5/11, ZNotP 2012, 192 Rn. 22; Senatsbeschluss vom 14. Juli 2003 - NotZ 47/02, DNotZ 2004, 230, 232, juris Rn. 12). Die Landesjustizverwaltung ist nicht verpflichtet, zur Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes eine derartige Selbstbindung einzugehen. Auch dann darf sie aber in den verschiedenen Amtsgerichtsbezirken nicht willkürlich unterschiedliche Maßstäbe anlegen (Senatsbeschluss vom 11. Juli 2005 - NotZ 1/05, DNotZ 2005, 947, 951, juris Rn. 21; vom 25. Oktober 1982 - NotZ 7/82, DNotZ 1983, 236, 240, juris Rn. 20). Schließlich kann § 4 BNotO ausnahmsweise Schutzfunktion entfalten, wenn die Landesjustizverwaltung die Grenzen ihres Organisationsermessens dergestalt überschreitet, dass sie sich vom öffentlichen Interesse durch eine nicht bedarfs-, sondern rein bewerberbezogene Stellenermittlung mit sachfremder Begünstigung oder Benachteiligung einzelner Bewerber löst (Senatsbeschluss vom 22. März 2010 - NotZ 13/09, juris Rn. 18; vom 23. Juli 2007 - NotZ 42/07, BGHZ 173, 297 Rn. 24).

[5] Ein weitergehender Schutz der subjektiven Rechte des amtierenden Notars ist verfassungsrechtlich nicht geboten (Senatsbeschluss vom 11. Juli 2005 - NotZ 1/05, DNotZ 2005, 947, 950, juris Rn. 12).

[6] b) Nach diesen Grundsätzen unterliegt die Ablehnung des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs keinen ernstlichen Zweifeln.

[7] aa) Die Klägerin stellt nicht in Abrede, dass die Wiederbesetzung der Notarstelle Dr. R. nicht zur Folge hat, dass die erforderliche wirtschaftliche Unabhängigkeit der drei amtierenden Notare im Amtsgerichtsbezirk W. nicht mehr gewährleistet ist.

[8] bb) Keine ernstlichen Zweifel bestehen ferner an der Beurteilung des Oberlandesgerichts, dass der Beklagte nicht durch eine ungerechtfertigte Abweichung von Richtlinien oder einer ständigen Übung subjektive Rechte der Klägerin verletzt hat. Entgegen der Antragsbegründung lässt sich ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht daraus herleiten, dass das Notarentwicklungskonzept 2024 (Stand 1.1.2018) für den Landgerichtsbezirk D.-R. vorsieht, dass im Amtsgerichtsbezirk W. dauerhaft nur drei Notarstellen verbleiben sollen, nämlich zwei in W. und eine in G. Diese auf bestimmte Stellen konkretisierte interne Absichtserklärung enthält für sich genommen keine Prüfungsmaßstäbe und stellt daher weder eine allgemeine Richtlinie noch eine ständige Verwaltungspraxis dar, durch die sich der Beklagte hätte selbst binden können. Sie wird auch nicht dadurch zu einer eine Selbstbindung begründenden ständigen Übung, dass der Beklagte in der Vergangenheit in verschiedenen Vermerken darauf verwiesen hat, dass das jeweilige Notarstellenkonzept für eine bestimmte Stelle eine Einziehung oder Wiederbesetzung vorsehe.

[9] Entgegen der Ansicht der Klägerin begründet eine "konzeptionslose Einzelfallentscheidung" - also das Fehlen von Richtlinien, durch die sich die Verwaltung binden könnte - keine Verletzung des § 4 BNotO oder des Art. 3 Abs. 1 GG. Wie der Senat bereits früh entschieden hat (Senatsbeschluss vom 22. Oktober 1979 - NotZ 3/79, DNotZ 1980, 177, 178, juris Rn. 16), muss, wenn es an Richtlinien fehlt oder diese unvollständig sind, die Frage, wie viele Notare bestellt werden, aufgrund der Verhältnisse des Einzelfalls nach pflichtmäßigem Ermessen entschieden werden. Dabei sind die Grenzen pflichtgemäßer sachlicher Ermessensausübung durch § 4 Abs. 1 BNotO genügend bestimmt. Daran hat sich durch die von der Klägerin angeführten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (Senatsbeschluss vom 14. Juli 2003 - NotZ 47/02, DNotZ 2004, 230) und des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 1. Juli 2002 - 1 BvR 152/02, NJW 2002, 3090) nichts geändert. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, wonach "vor dem Hintergrund eines weiten Organisationsermessens eine transparente und an nachvollziehbaren rechtlichen Kriterien ausgerichtete Verfahrensweise unabdingbar" sei, betraf die Gestaltung des Auswahlverfahrens von Notarbewerbern (aaO Rn. 15, zitiert nach juris) und damit eine andere Fallgestaltung. In der Senatsentscheidung vom 14. Juli 2003 wurde bezweifelt, ob es künftig genügt, wenn bei Konkurrenzen zwischen Notarassessoren und amtierenden Notaren ohne weitere Vorgaben "von Fall zu Fall entschieden" wird. Es bedürfe einer längerfristigen konkreten Planung, wie das dort angenommene Erfordernis einer allmählichen Reduzierung der Zahl der Notarstellen umgesetzt werden soll. Abgesehen davon, dass auch dieser Entscheidung ein anders gearteter Sachverhalt zugrunde lag, ist mit ihr eine Verpflichtung zur Selbstbindung der Landesjustizverwaltung durch die Aufstellung von Richtlinien nicht begründet worden. Das Bestehen einer derartigen Pflicht wurde in dem späteren Senatsbeschluss vom 11. Juli 2005 (NotZ 1/05, DNotZ 2005, 947, 951, juris Rn. 21) ausdrücklich verneint.

[10] cc) Ernstlichen Zweifeln begegnet ferner nicht die Beurteilung des Oberlandesgerichts, dass nicht festgestellt werden könne, dass der Beklagte die Zahl der auszuschreibenden Stellen nicht bedarfs-, sondern konkret bewerberbezogen ermittelt habe. Anderes lässt sich insbesondere nicht aus dem Umstand schließen, dass in der Verfügung des Beklagten vom 7. Juni 2018 im Zusammenhang mit der Wiedergabe der Stellungnahme der Notarkammer Sachsen-Anhalt erwähnt ist, dass die Notarassessorin H. (als derzeitige Verwalterin der Notarstelle Dr. R.) ihr Interesse an der Notarstelle bekundet habe. Im gerichtlichen Verfahren erster Instanz, in dem Ermessenserwägungen ergänzt werden können (§ 111d Satz 2 BNotO i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1, § 114 Satz 2 VwGO; Senatsurteil vom 5. März 2012 - NotZ(Brfg) 5/11, ZNotP 2012, 192 Rn. 28), hat der Beklagte ausgeführt, dass und warum die derzeitige Altersstruktur im Amtsgerichtsbezirk W. eine nachwachsende Notarentwicklung notwendig erscheinen lässt und dass die Altersstruktur der weiteren Assessorinnen und Assessoren durch die Ernennung der Notarassessorin H., die ihre Assessorenzeit bereits deutlich überschritten hat, verbessert würde (Schriftsatz vom 6. September 2018, S. 5 f., GA I 21 f.). Auf die Situation der Notarassessoren und die Schwierigkeiten, diese zu gewinnen und an das Land Sachsen-Anhalt zu binden, ist der Beklagte in seinem Schriftsatz vom 18. Dezember 2018, S. 5 (GA I 134) näher eingegangen. Wie in der angefochtenen Entscheidung zutreffend ausgeführt, ist der Gesichtspunkt der Wahrung einer geordneten Altersstruktur in § 4 Satz 2 BNotO ausdrücklich als Ermessenskriterium genannt und ebenso wie das Kriterium eines geordneten Notarassessorensystems in der Rechtsprechung des Senats wie auch des Bundesverfassungsgerichts anerkannt (Senatsurteil vom 5. März 2012 - NotZ(Brfg) 5/11, ZNotP 2012, 192 Rn. 27 mwN; BVerfG, DNotZ 2002, 891, 893). Der Ansicht der Klägerin, entgegen § 4 Satz 2 BNotO sei die Altersstruktur nicht zu berücksichtigen, folgt der Senat nicht, ebenso wenig ihrer Ansicht, vorliegend sei die Altersstruktur nicht betroffen. Eine geordnete Altersstruktur des Notarberufs wird insbesondere durch die Bestellung von Notarassessoren gewahrt, da dies in der Regel zu einer Absenkung des Durchschnittsalters der Notare führt, was wiederum nur dann gewährleistet ist, wenn nicht die Notarassessoren ihrerseits mangels Bestellung zum Notar überaltern (Senatsurteil vom 5. März 2012 - NotZ(Brfg) 5/11, ZNotP 2012, 192 Rn. 27). Dass dies auch für den Amtsgerichtsbezirk W. gilt, bedarf angesichts der Geburtsjahrgänge der dort tätigen Notarinnen und des Notars (1955, 1963, 1975) keiner weiteren Erörterung. Vor diesem Hintergrund kann die Klägerin eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht daraus herleiten, dass andernorts Notarstellen eingezogen wurden, auf die sich keine Notarassessoren beworben hatten. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang bemängelt, dass der von der Notarassessorin H. für das Notariat Dr. R. gemeldete steigende Geschäftsanfall weder von dem Beklagten noch vom Oberlandesgericht überprüft worden sei, wird auf den Schriftsatz des Beklagten vom 12. April 2019 S. 2 mit Anlage (Zusammenstellung der Geschäftsübersichten der Notare des Landgerichtsbezirks Dessau-Roßlau) verwiesen, wonach die Summe der Urkundsgeschäfte auf der Notarstelle Dr. R. im Jahr 2018 von 529 auf 913 gestiegen ist.

[11] dd) Soweit die Klägerin geltend macht, der Beklagte habe sich mit dem in seiner Verfügung vom 7. Juni 2018 erwähnten Gesichtspunkt, dass Notar K. beabsichtige, seinen Amtssitz aus W. in eine andere Stadt zu verlegen, von einer sachfremden Erwägung leiten lassen, ist nicht ersichtlich, inwieweit dadurch die Klägerin in den oben genannten subjektiven Rechten, die bei der Ausübung des Organisationsermessens zu berücksichtigen sind, verletzt sein soll. Es ist daher auch nicht zu beanstanden, dass sich das Oberlandesgericht mit diesem Punkt nicht ausdrücklich auseinandergesetzt hat. Soweit das Oberlandesgericht dem Beklagten darin gefolgt ist, dass Überlegungen zur Aktenverwahrung auf dessen Ermessensentscheidung keinen Einfluss genommen haben, liegt darin ebenfalls kein Grund für die Zulassung der Berufung.

[12] ee) Keinen ernstlichen Zweifeln begegnet weiter die Beurteilung des Oberlandesgerichts, dass der Beklagte nicht in den verschiedenen Amtsgerichtsbezirken willkürlich unterschiedliche Maßstäbe angelegt habe. Dies lässt sich entgegen der Ansicht der Klägerin nicht dadurch in Frage stellen, dass die Anzahl der Notare in W. und in anderen Amtsgerichtsbezirken, die ebenfalls eher ländlich geprägt sind, dem Urkundenaufkommen, der Anzahl der Einwohner und Gebietskörperschaften und der Fläche der Bezirke gegenübergestellt wird. Eine derart schematische Betrachtung würde den Besonderheiten des jeweiligen Amtsgerichtsbezirks und der jeweiligen Notarstelle einschließlich der Entwicklungsmöglichkeiten nicht gerecht. Zutreffend weist das Oberlandesgericht darauf hin, dass dem Urkundenaufkommen nur eine beschränkte Aussagekraft zukommt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 22. März 2004 - NotZ 25/03, DNotZ 2004, 887, 888, juris Rn. 8; vom 11. Dezember 1978 - NotZ 5/78, BGHZ 73, 54, 62, juris Rn. 29) und dass es dazu kommen kann, dass eine Notarstelle wiederbesetzt wird, obwohl einer der Parameter für eine gegenteilige Entscheidung gesprochen hätte (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Juli 2005 - NotZ 1/05, juris Rn. 22).

[13] Der Beklagte hat seinen Überlegungen zu Recht die Prämisse zugrunde gelegt, dass die Verwaltung bei der Bedürfnisprüfung gemäß § 4 BNotO darauf zu achten hat, eine möglichst schnelle und ortsnahe notarielle Betreuung der Bevölkerung zu sichern (Senatsbeschluss vom 11. Dezember 1978 - NotZ 5/78, BGHZ 73, 54, 57, juris Rn. 10; vom 20. Juli 1998 - NotZ 31/97, NJW-RR 1999, 207, 208, juris Rn. 18). Neben den strukturellen Bedingungen (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Juli 2005 - NotZ 1/05, DNotZ 2005, 947, 950, juris Rn. 13) und dem Urkundenaufkommen hat der Beklagte - teilweise durch zulässige Ergänzung seiner Ermessenserwägungen im Prozess - als Besonderheiten unter anderem die Altersstruktur im Amtsgerichtsbezirk W. und die Situation der Notarassessoren berücksichtigt, das Ausscheiden der Notarin W. in G., die Notwendigkeit, die aktuelle Anzahl von vier Notariaten bis 2030 wirtschaftlich neu zu bewerten, ferner die Aussicht, dass der neue Notar/die neue Notarin bei ein oder zwei Abgängen in der mittelfristigen Planung erfahren genug wäre, eventuell auftretende Vakanzen auszugleichen. Berücksichtigt wurden zudem die bereits erfolgte Einziehung von zwei Stellen im Amtsgerichtsbezirk W. in der Vergangenheit und deren Folgen, steigende Beurkundungsaufträge und Umsätze im Notariat Dr. R. und die Gefahr der Abwanderung von Urkundsgeschäften nach Brandenburg und Sachsen im Falle der Einziehung der Stelle sowie das allgemeine landesweite Absinken des Urkundenaufkommens in der Vergangenheit. Nach alledem lässt sich eine willkürliche Ungleichbehandlung nicht feststellen.

[14] Diese Erwägungen widerlegen zugleich die Behauptung der Klägerin, der Beklagte habe bei seiner Bedürfnisprüfung von vornherein auf den Gesamtraum der Amtsgerichtsbezirke W. und B.-W. abgestellt. Vielmehr sind die Erwägungen in erster Linie an den Verhältnissen des Amtsgerichtsbezirks W. ausgerichtet. Dass der Beklagte ergänzend auch auf die Nachbarbezirke geschaut hat, ist dabei ebenso wenig zu beanstanden wie der Umstand, dass er den von ihm beteiligten Institutionen (Präsidenten des Landgerichts und des Oberlandesgerichts, Ländernotarkasse und Notarkammer) nicht vorgegeben hat, auf welchen räumlichen Bereich sich deren überörtliche Erwägungen zu erstrecken haben. Die Argumente im angegriffenen Urteil dazu, dass es nicht ermessensfehlerhaft war, in der Verfügung vom 7. Juni 2018 auch die Situation im Bezirk B.-W. vergleichend heranzuziehen, tragen nicht die Ansicht der Klägerin, dass das Oberlandesgericht die Ermessenserwägungen des Beklagten durch eigene ersetzt hätte.

[15] ff) Der Umstand, dass zwischenzeitlich auch die Notarstelle in G. neu ausgeschrieben worden ist, stellt die Beurteilung des Oberlandesgerichts, dass der Klägerin kein Anspruch auf Unterlassen der Wiederbesetzung der Notarstelle (vormals Dr. R.) in W. zusteht, nicht in Frage. Insbesondere hat das Oberlandesgericht seine Entscheidung nicht auf das künftige Schicksal der Notarstelle in G. gestützt und diesbezüglich entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht Ermessenserwägungen des Beklagten in unzulässiger Weise ersetzt.

[16] gg) Schließlich ist es nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht die Stellungnahmen der vom Beklagten beteiligten Institutionen, insbesondere der Notarkammer, nicht inzident auf Richtigkeit überprüft hat. Die Stellungnahmen der beteiligten Institutionen haben keinerlei Bindungswirkung für die in eigener Verantwortung zu treffende Entscheidung des Justizministeriums. Dies schließt es zwar nicht aus, dass etwaige Fehler in den Stellungnahmen auf die Entscheidung des Beklagten in der Weise durchgeschlagen haben könnten, dass letztere rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt. Dies ist hier aber nicht ersichtlich. Selbst wenn die Notarkammer, wie die Klägerin geltend macht, in ihrer Stellungnahme von ihren eigenen Richtlinien oder ihrer Praxis abgewichen sein sollte, sich bei Unterschreitung eines bestimmten Urkundenaufkommens (1.400 bereinigte Urkunden) für eine Einziehung von Notarstellen auszusprechen, ergibt sich daraus nicht, dass der Beklagte bei der Ausübung seines Organisationsermessens die Klägerin in ihren subjektiven Rechten verletzt hätte. Insbesondere handelte es sich bei etwaigen Richtlinien der Notarkammer nicht zugleich um diejenigen des Beklagten; dieser hat im Gegenteil deutlich gemacht, dass aus seiner Sicht ein Aufkommen von 1.400 bereinigten Urkunden nicht entscheidend sein kann. Eine Abweichung von einem diesbezüglichen Kriterium der Notarkammer kann deshalb einen Verstoß des Beklagten gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht begründen.

[17] 2. Auch der Zulassungsgrund der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO) liegt nicht vor. Eine Rechtssache weist dann besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf, wenn sie wegen einer erheblich über dem Durchschnitt liegenden Komplexität des Verfahrens oder der ihr zugrundeliegenden Rechtsmaterie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht und sich damit von den üblichen Streitigkeiten deutlich abhebt (vgl. Senat, Beschluss vom 13. November 2017 - NotZ (Brfg) 2/17, DNotZ 2018, 469 Rn. 29 mwN). Die Meinung der Klägerin, dass das Oberlandesgericht zahlreichen Fragen und Argumenten nicht (hinreichend) nachgegangen sei oder sie nicht zutreffend beantwortet habe, trifft - wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt - nicht zu und vermag eine besondere Schwierigkeit der höchstrichterlich bereits geklärten Rechtsfragen nicht zu begründen. Sachverhalt und Aktenumfang sind überschaubar; verfahrensgegenständlich ist lediglich die Entscheidung des Beklagten, eine Notarstelle in W. wieder zu besetzen.

[18] 3. Auch die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO liegen nicht vor. Wie bereits oben ausgeführt, hat der Senat in seinem Beschluss vom 14. Juli 2003 (NotZ 47/02, DNotZ 2004, 230) für eine Fallkonstellation wie die vorliegende eine Bedürfnisprüfung von Fall zu Fall ohne Selbstbindung der Verwaltung nicht ausgeschlossen. Eine Abweichung der angefochtenen Entscheidung von der Senatsrechtsprechung lässt sich daher nicht feststellen. Da in der - auch jüngeren - Senatsrechtsprechung zudem geklärt ist, dass eine Verpflichtung der Verwaltung nicht besteht, sich durch Aufstellung von Richtlinien oder eine ständige Übung selbst zu binden (Senatsbeschluss vom 11. Juli 2005 - NotZ 1/05, DNotZ 2005, 947, 951, juris Rn. 21), und dass bei Fehlen von Richtlinien die Bedürfnisprüfung gemäß § 4 BNotO aufgrund der Verhältnisse des Einzelfalls nach pflichtmäßigem Ermessen zu erfolgen hat (Senatsbeschluss vom 22. Oktober 1979 - NotZ 3/79, DNotZ 1980, 177, 178, juris Rn. 16), ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht die Frage klärungsbedürftig, ob eine Entscheidung "von Fall zu Fall" heute noch den gesetzlichen Vorgaben des § 4 BNotO gerecht wird.

[19] 4. Schließlich fehlt es auch an einem Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO).

[20] a) Der Anspruch der Klägerin auf Entscheidung durch den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist nicht verletzt. Gemäß § 111 Abs. 4 BNotO entscheidet das Oberlandesgericht in den sogenannten verwaltungsrechtlichen Notarsachen im Sinne von § 111 Abs. 1 BNotO in der für Disziplinarsachen gegen Notare vorgeschriebenen Besetzung. Durch Beschluss des Präsidiums des Oberlandesgerichts Naumburg gemäß § 102 BNotO zur Bestellung der richterlichen Mitglieder des Notarsenats bei dem Oberlandesgericht als Disziplinargericht für Notare vom 2. Januar 2019 (Geschäftsnummer 3830 E 2) in Verbindung mit dem gemäß § 102 Satz 2 BNotO, § 21g GVG gefassten Beschluss der richterlichen Mitglieder des Notarsenats des Oberlandesgerichts vom 2. Januar 2019 war im Voraus bestimmbar, welche Richter und welcher Notar über die Sache entscheiden würden.

[21] b) Soweit die Klägerin pauschal auch die angeblich "fehlerhafte Beweiswürdigung" und "unzulängliche Tatsachenfeststellung" rügt und meint, dass "zahlreichen Argumenten und Fragen der Klägerin nicht bzw. nicht ausreichend nachgegangen wurde", ist - auch mit der unspezifischen Bezugnahme auf die "vorstehenden Ausführungen" - ein Verfahrensfehler schon nicht ordnungsgemäß dargetan. Auf hinreichend konkrete Angriffe in den "vorstehenden Ausführungen" der Klägerin wurde bereits oben eingegangen.

[22] II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 111b Abs. 1 Satz 1 BNotO i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.

Herrmann Tombrink Müller

Strzyz Frank

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