BGH, Beschluss vom 22. März 2021 - NotSt(Brfg) 4/20

07.06.2021

BUNDESGERICHTSHOF

vom

22. März 2021

in der Disziplinarsache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


BNotO §§ 10a, 14 Abs. 3 Satz 2


a) Der Notar verstößt gegen seine Amtspflicht zur Vermeidung des Anscheins der Abhängigkeit oder Parteilichkeit, wenn er - jedenfalls: wiederholt - Beurkundungen in den Räumen einer Vertragspartei vornimmt, ohne dafür sachliche Gründe vorweisen zu können.

b) Die Beurkundung in Räumen der Gemeinde kann geeignet sein, den Anschein zu begründen, der Notar stehe in einem unangemessenen Näheverhältnis zu dieser Gemeinde, und auf diese Weise die notariellen Amtspflichten aus § 14 Abs. 3 Satz 2 BNotO verletzen.


BGH, Beschluss vom 22. März 2021 - NotSt(Brfg) 4/20 - OLG Celle


wegen Disziplinarverfügung

Der Senat für Notarsachen des Bundesgerichtshofs hat am 22. März 2021 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann, den Richter Tombrink, die Richterin Dr. Pernice, die Notarin Dr. Brose-Preuß und den Notar Müller-Eising

beschlossen:

Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das auf die mündliche Verhandlung vom 11. September 2020 erlassene und durch Zustellung an die Parteien am 2. und 5. Oktober 2020 verkündete Urteil des Notarsenats des Oberlandesgerichts Celle zuzulassen, wird abgelehnt.

Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

Gründe:

[1] I. Der Kläger ist Rechtsanwalt und wurde 2011 zum Notar bestellt. In den Jahren 2016 bis 2018 beurkundete er insgesamt 38 Vereinbarungen und Erklärungen im Zusammenhang mit Grundstücksübertragungen (darunter fünf Grundschuldbestellungen und zwei Unterschriftsbeglaubigungen) in Räumlichkeiten der Gemeinde B. , bei denen diese jeweils selbst Vertragspartei war. Aufgrund dessen leitete der Beklagte ein Disziplinarverfahren ein und verhängte gegen den Kläger durch Disziplinarverfügung wegen eines fahrlässigen Verstoßes gegen die sich aus § 14 Abs. 3 Satz 2 BNotO ergebende Amtspflicht, jedes Verhalten zu vermeiden, das den Anschein der Abhängigkeit oder Parteilichkeit erzeugt, eine Geldbuße von 2.500 €. Zur Begründung führte er aus, mit der planmäßigen und wiederholten Vornahme von Beurkundungen in den Räumen einer Vertragspartei sei aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Beobachters der Anschein einer gewissen Abhängigkeit, vor allem aber der Anschein der Parteilichkeit zugunsten dieser Vertragspartei, hier der Gemeinde B. , entstanden. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Präsidentin des Oberlandesgerichts C. zurück.

[2] Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Aufhebung der Disziplinarverfügung in Gestalt des Widerspruchsbescheids. Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen und die Berufung nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, mit der er seinen Klageantrag weiterverfolgen möchte.

[3] II. 1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg. Ein Grund zur Zulassung der Berufung (§ 124a Abs. 5 Satz 2, § 124 Abs. 2 VwGO iVm § 64 Abs. 2 BDG iVm § 105 BNotO) liegt nicht vor. Insbesondere kommt der Rechtssache - entgegen der Auffassung des Klägers - keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

[4] a) Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist erfüllt, wenn es im konkreten Fall auf eine Tatsachen- oder Rechtsfrage ankommt, die über den von der ersten Instanz entschiedenen Fall hinausgeht und an deren Klärung daher im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts auch für vergleichbare Fälle ein Interesse besteht (s. zB Senat, Beschluss vom 20. Juli 2020 - NotSt(Brfg) 2/20, RNotZ 2020, 532 Rn. 14 mwN). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben, wenn die Streitfrage bereits in der obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt ist (Senat aaO). Letzteres ist hier der Fall.

[5] aa) Im Ansatz zutreffend weist der Kläger darauf hin, dass die Regelung des § 10a BNotO, die den Notar hinsichtlich seiner Urkundstätigkeit grundsätzlich auf den Bezirk des Amtsgerichts, in dem er seinen Amtssitz hat, verweist, keine weiteren örtlichen Einschränkungen vorsieht (s. BVerfG, NJW 2000, 3486, 3487). Dies gilt insbesondere für die Frage, ob eine Beurkundung in der Geschäftsstelle des Notars oder außerhalb davon - innerhalb des Amtsbezirks - vorgenommen wird (BVerfG aaO). Bei der Wahl des Beurkundungsortes muss der Notar jedoch darauf achten, dass hierdurch nicht der Anschein der Abhängigkeit oder Parteilichkeit erzeugt wird (§ 14 Abs. 3 Satz 2 BNotO; § 67 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1, 2 und 9 BNBotO in Verbindung mit Nr. IX. 2. der Richtlinien für die Amtspflichten und sonstigen Pflichten der Mitglieder der Notarkammer C. ). Daraus, dass § 10a BNotO eine Beurkundung außerhalb der Geschäftsstelle des Notars nicht untersagt, darf nicht geschlossen werden, dass diese von vornherein mit der allgemeinen Pflicht zu unabhängiger und unparteilicher Amtsführung vereinbar sei (vgl. Senat, Beschluss vom 13. November 2017 - NotSt(Brfg) 3/17, DNotZ 2018, 550 Rn. 28). Ob die Unabhängigkeit des Notars und seine Verpflichtung zur Unparteilichkeit durch Beurkundungen außerhalb der Geschäftsstelle gefährdet werden können, ist indessen eine Frage des Einzelfalls. Sofern die Gefahr des Anscheins einer Parteilichkeit des Notars entstehen könnte, hat dieser allerdings von der Auswärtsbeurkundung Abstand zu nehmen; berufswidriges Verhalten kann insoweit geahndet werden (BVerfG aaO S. 3487 f).

[6] bb) Aus diesen Grundsätzen ergibt sich, dass der Notar gegen seine Amtspflicht zur Vermeidung des Anscheins der Abhängigkeit oder Parteilichkeit verstößt, wenn er - jedenfalls: wiederholt - Beurkundungen in den Räumen einer Vertragspartei vornimmt, ohne dafür sachliche Gründe vorweisen zu können; denn durch ein solches Verhalten erweckt er aus der maßgeblichen Sicht des objektiven, mit den konkreten Gegebenheiten vertrauten Beobachters (vgl. Senat, Beschluss vom 13. November 2017 aaO) den Eindruck, den Interessen dieser Vertragspartei näher zu stehen als den Belangen der anderen Partei (so auch OLG Celle, DNotZ 2020, 227 Rn. 25 ff mwN; Zimmer, ZfIR 2019, 244, 245; BeckOK/Sander, BNotO, § 14 Rn. 70 [Stand: 1. Februar 2021]; enger: Uffmann, DNotZ 2020, 232, 235 ff, nach deren Meinung der konkret gewählte Ort der Beurkundung allein nicht ausreicht, um den bösen Schein im Sinne des § 14 Abs. 3 Satz 2 BNotO zu erzeugen). Dies gilt auch dann, wenn es sich bei der solchermaßen "begünstigten" Vertragspartei um eine Gemeinde (Gebietskörperschaft) handelt, weil Gemeinden - etwa als Grundstücksverkäufer - durchaus in einem Interessengegensatz zur anderen Vertragspartei stehen können (OLG Celle aaO Rn. 28; Zimmer aaO; Sander aaO; Uffmann aaO S. 236; Raff, MittBayNot 2020, 74, 76). Die Beurkundung in Räumen der Gemeinde kann demnach geeignet sein, den Anschein zu begründen, der Notar stehe in einem unangemessenen Näheverhältnis zu dieser Gemeinde, und auf diese Weise die notariellen Amtspflichten aus § 14 Abs. 3 Satz 2 BNotO (beziehungsweise den diese Regelung konkretisierenden Richtlinien der örtlichen Notarkammer) verletzen.

[7] b) Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist nur gegeben, wenn der Antragsteller im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hat (s. zB Senat, Beschluss vom 20. Juli 2020 aaO Rn. 5 mwN). Zweifel an der Richtigkeit einzelner Rechtssätze oder tatsächlicher Feststellungen füllen den Zulassungsgrund dann nicht aus, wenn solche Zweifel nicht auch die Richtigkeit des Ergebnisses erfassen (Senat, Beschluss vom 20. Juli 2020 aaO mwN). Die hier angegriffene Entscheidung begegnet keinen solchen Bedenken.

[8] aa) Im Einklang mit den vorerwähnten Grundsätzen (s.o., a) hat das Oberlandesgericht zu Recht angenommen, der Kläger habe fahrlässig seine Amtspflicht zur Vermeidung des Anscheins der Abhängigkeit oder Parteilichkeit verletzt, indem er in mindestens 31 Fällen (ohne Einbeziehung der Grundschuldbestellungen und Unterschriftsbeglaubigungen) in den Räumen der Gemeinde B. Beurkundungen vornahm, an denen die Gemeinde selbst als Vertragspartei beteiligt war. Sachliche Gründe für diese Auswärtsbeurkundung hat der Kläger nicht vorgebracht und sind auch sonst nicht ersichtlich.

[9] bb) Auch im Hinblick auf die Auswahl der für das einheitliche Dienstvergehen (§ 95 BNotO) verhängten Sanktion in Gestalt einer Geldbuße (§ 97 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNotO) und die Bemessung ihrer Höhe bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils. Auf die zutreffenden Ausführungen des Oberlandesgerichts wird insoweit Bezug genommen.

[10] c) Die Berufungszulassungsgründe der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), der Divergenz im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO oder einen Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) macht der Kläger nicht geltend; hierfür ist auch kein Anhaltspunkt ersichtlich.

[11] 2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO iVm § 77 Abs. 1 BDG iVm § 109 BNotO.

Herrmann Tombrink Pernice

Brose-Preuß Müller-Eising

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