BGH, Beschluss vom 23. Juli 2020 - I ZR 143/19

05.10.2020

BUNDESGERICHTSHOF

Verkündet am:

23. Juli 2020

FühringerJustizangestellteals Urkundsbeamtinder Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

 

Nachträglicher Leitsatz


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 2, Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 2


Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 2 und Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1924/2006 und (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 87/250/EWG der Kommission, der Richtlinie 90/496/EWG des Rates, der Richtlinie 1999/10/EG der Kommission, der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 2002/67/EG und 2008/5/EG der Kommission und der Verordnung (EG) Nr. 608/2004 der Kommission (ABl. L 304 vom 22. November 2011, S. 18; im Weiteren: Lebensmittelinformationsverordnung - LMIV) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 2 LMIV dahin auszulegen, dass diese Regelung allein für Lebensmittel gilt, bei denen eine Zubereitung erforderlich und die Zubereitungsweise vorgegeben ist?

2. Falls Frage 1 zu verneinen ist: Meint die Wortfolge "je 100 g" in Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 2 LMIV allein 100 Gramm des Produkts zum Zeitpunkt des Verkaufs oder aber - zumindest auch - 100 Gramm des zubereiteten Lebensmittels?


BGH, Beschluss vom 23. Juli 2020 - I ZR 143/19 - OLG Hamm, LG Bielefeld


Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 23. April 2020 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Koch, die Richter Prof. Dr. Schaffert und Feddersen und die Richterinnen Pohl und Dr. Schmaltz

beschlossen:

I. Das Verfahren wird ausgesetzt.

II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 2 und Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 betreffend die Information der Verbraucher über Lebensmittel und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 1924/2006 und (EG) Nr. 1925/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 87/250/EWG der Kommission, der Richtlinie 90/496/EWG des Rates, der Richtlinie 1999/10/EG der Kommission, der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinien 2002/67/EG und 2008/5/EG der Kommission und der Verordnung (EG) Nr. 608/2004 der Kommission (ABl. L 304 vom 22. November 2011, S. 18; im Weiteren: Lebensmittelinformationsverordnung - LMIV) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

3. Ist Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 2 LMIV dahin auszulegen, dass diese Regelung allein für Lebensmittel gilt, bei denen eine Zubereitung erforderlich und die Zubereitungsweise vorgegeben ist?

4. Falls Frage 1 zu verneinen ist: Meint die Wortfolge "je 100 g" in Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 2 LMIV allein 100 Gramm des Produkts zum Zeitpunkt des Verkaufs oder aber - zumindest auch - 100 Gramm des zubereiteten Lebensmittels?

Gründe:

[1] I. Die Beklagte stellt unter anderem das vorverpackte Lebensmittel "Dr. O. Vitalis Knuspermüsli Schoko + Keks" her und vertreibt dieses auf dem

deutschen Markt in einer quaderförmigen Kartonverpackung. Die seitliche Schmalseite der Verpackung enthält unter der Überschrift "Nährwertinformation" Angaben zum Brennwert und zu den Mengen an Fett, gesättigten Fettsäuren, Kohlenhydraten, Zucker, Eiweiß und Salz, und zwar bezogen zum einen auf 100 Gramm des Produkts zum Zeitpunkt seines Verkaufs und zum anderen auf eine aus 40 Gramm dieses Produkts und 60 Milliliter Milch mit einem Fettgehalt von 1,5% bestehende Portion des zubereiteten Lebensmittels. Auf der Vorderseite der Verpackung als dem Hauptsichtfeld werden die Angaben zum Brennwert und zu den Mengen an Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz bezogen auf eine aus 40 Gramm des Produkts und 60 Milliliter Milch mit einem Fettgehalt von 1,5% bestehende 100-Gramm-Portion des zubereiteten Lebensmittels wiederholt.

[2] Der Kläger ist der in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragene Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände ­ Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. Nach seiner Auffassung verstößt die Aufmachung des Produkts der Beklagten dadurch gegen die Bestimmungen der Lebensmittelinformationsverordnung über die Nährwertdeklaration bei Angaben je Portion, dass auf der Schauseite der Verpackung der Brennwert nicht bezogen auf 100 Gramm des Produkts zum Zeitpunkt des Verkaufs, sondern bezogen auf 100 Gramm des zubereiteten Lebensmittels angegeben ist.

[3] Mit seiner nach erfolgloser Abmahnung erhobenen Klage hat der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, es zu unterlassen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen für "Vitalis Müsli" wie in der [nachstehend wiedergegebenen] Anlage K2 abgebildet mit Nährwertinformationen pro Portion zu werben bzw. werben zu lassen, ohne zusätzlich den Brennwert, bezogen auf 100 Gramm des Produkts zum Zeitpunkt des Verkaufs, das heißt des nicht zubereiteten Produkts, anzugeben.

[4] Darüber hinaus hat der Kläger den Ersatz pauschaler Kosten in Höhe von 214 € nebst Zinsen begehrt.

[5] Das Landgericht hat der Klage stattgegeben (LG Bielefeld, LMuR 2018, 247 = LRE 76, 445). Die Berufung der Beklagten hat zur Abweisung der Klage geführt (OLG Hamm, LMuR 2019, 222 und 279 = LRE 78, 257). Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

[6] II. Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung von Art. 31 Abs. 3 und Art. 33 Abs. 2 LMIV ab. Vor einer Entscheidung über das Rechtsmittel ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.

[7] 1. Das Berufungsgericht hat die geltend gemachten Ansprüche als nicht aus § 8 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1, § 3a UWG in Verbindung mit Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 2 LMIV und § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG begründet angesehen und hierzu ausgeführt:

[8] Die als Grundlage für eine Verpflichtung der Beklagten, auf der Vorderseite der Verpackung des Produkts außer den bereits vorhandenen Nährwertangaben zusätzlich dessen Brennwert zum Zeitpunkt des Verkaufs anzugeben, allein in Betracht kommende Regelung in Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 2 LMIV begründe nach dem systematischen Zusammenhang der einschlägigen Regelungen der Lebensmittelinformationsverordnung im Ergebnis keine solche Verpflichtung. Die ­ nicht streitgegenständlichen ­ Angaben auf der seitlichen Schmalseite der Verpackung des Produkts der Beklagten dienten der Erfüllung der in Art. 30 Abs. 1 LMIV geregelten verpflichtenden Nährwertdeklaration. Bei den Angaben auf der Vorderseite (Schauseite) der Verpackung handele es sich hingegen um wiederholende Angaben im Sinne von Art. 30 Abs. 3 Buchst. b LMIV. Insoweit müsse nach Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 2 LMIV für den Fall, dass die Nährstoffmengen und der Brennwert in diesen wiederholenden Angaben lediglich je Portion ausgedrückt seien, der Brennwert (zusätzlich) auch je 100 Gramm ausgedrückt werden. Die sich dabei stellende Frage, ob ­ wie der Kläger meine ­ mit der Wortfolge "je 100 Gramm" in Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 2 LMIV 100 Gramm des Produkts zum Zeitpunkt des Verkaufs oder aber ­ wie die Beklagte meine ­ (auch) 100 Gramm des zubereiteten Lebensmittels gemeint seien, sei im letztgenannten Sinne zu beantworten.

[9] Nach Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 2 LMIV dürfe sich die Brennwertangabe auch auf das zubereitete Lebensmittel beziehen, sofern ­ wie im vorliegenden Fall ­ ausreichend genaue Angaben über die Zubereitungsweise gemacht würden und die Informationen sich auf das verbrauchsfertige Lebensmittel bezögen. Für die Auffassung des Landgerichts, unter "Zubereitung" in diesem Sinne seien nur "recht umfangreiche Arbeitsschritte" wie zum Beispiel Kochen oder Erhitzen zu verstehen, gebe es in der Lebensmittelinformationsverordnung keinen Anhaltspunkt. Die Bestimmung des Art. 32 Abs. 2 LMIV, wonach der Brennwert und die Nährstoffmengen je 100 Gramm oder je 100 Milliliter anzugeben seien, sei im Zusammenhang mit Art. 31 Abs. 3 LMIV zu lesen, so dass der Brennwert nach ihr entweder in Bezug auf 100 Gramm des Produkts zum Zeitpunkt des Verkaufs oder in Bezug auf 100 Gramm des zubereiteten Lebensmittels anzugeben sei bzw. angegeben werden dürfe. Die Bestimmung des Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 1 LMIV als Ausnahmeregelung zu Art. 32 Abs. 2 LMIV sehe gerade für den hier gegebenen Fall des Art. 30 Abs. 3 Buchst. b LMIV vor, dass die Nährstoffmengen ausnahmsweise auch je Portion ­ deren Gewicht bzw. Volumen nicht zwingend 100 Gramm bzw. 100 Milliliter betrage ­ ausgedrückt werden dürften. Für diese Fälle verlange Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 2 LMIV sodann eine Brennwertangabe sowohl in Bezug auf die Portion als auch je 100 Gramm. Es bestehe kein Grund, die Angabe "je 100 Gramm" in Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 2 LMIV anders zu verstehen als in Art. 32 Abs. 2 LMIV, wo auch eine Brennwertangabe in Bezug auf 100 Gramm des zubereiteten Lebensmittels zugelassen sei.

[10] 2. Der Erfolg der Revision hängt davon ab, ob die Art. 31 Abs. 3 und Art. 33 Abs. 2 LMIV dahin auszulegen sind, dass es verboten ist, in einem Fall wie dem hier in Rede stehenden mit Nährwertinformationen pro Portion des zubereiteten Lebensmittels zu werben, ohne zusätzlich den Brennwert je 100 g des Lebensmittels zum Zeitpunkt des Verkaufs anzugeben.

[11] a) Nach Art. 30 Abs. 1 Unterabs. 1 LMIV enthält die verpflichtende Nährwertdeklaration von Lebensmitteln, die - wie das Produkt der Beklagten - in den Anwendungsbereich des Kapitels IV Abschnitt 3 dieser Verordnung fallen (vgl. Art. 29 LMIV), den Brennwert (Buchst. a) und die Mengen an Fett, gesättigten Fettsäuren, Kohlenhydraten, Zucker, Eiweiß und Salz (Buchst. b). Diese Angaben müssen nach Art. 34 Abs. 1 Satz 1 LMIV im selben Sichtfeld (Art. 2 Abs. 2 Buchst. k LMIV) erscheinen und sind nach Art. 34 Abs. 2 Satz 1 LMIV, sofern - wie im Streitfall - genügend Platz vorhanden ist, in Tabellenform darzustellen, wobei die Zahlen untereinanderstehen müssen. Der Erfüllung dieser verpflichtenden Nährwertdeklaration dienen die - nicht streitgegenständlichen ­ Angaben auf der seitlichen Schmalseite der Verpackung des Produkts der Beklagten.

[12] b) Enthält die Kennzeichnung eines vorverpackten Lebensmittels - wie im Streitfall - die verpflichtende Nährwertdeklaration gemäß Art. 30 Abs. 1 LMIV, kann auf der Verpackung nach Art. 30 Abs. 3 Buchst. b LMIV der Brennwert zusammen mit den Mengen an Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz wiederholt werden. Diese Angaben müssen nach Art. 34 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. a LMIV im Hauptsichtfeld (Art. 2 Abs. 2 Buchst. l LMIV) dargestellt werden, können aber nach Art. 34 Abs. 3 Unterabs. 2 LMIV auch in anderer als der in Art. 34 Abs. 2 LMIV bestimmten Form erscheinen. Bei den ­ streitgegenständlichen - Angaben auf der Vorderseite der Verpackung zu Energie, Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz handelt es sich um solche freiwilligen, wiederholenden Angaben.

[13] c) Es ist fraglich, ob Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 2 LMIV dahin auszulegen ist, dass diese Regelung allein für Lebensmittel gilt, bei denen eine Zubereitung erforderlich und die Zubereitungsweise vorgegeben ist (Vorlagefrage 1).

[14] aa) Nach Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 1 LMIV sind der Brennwert und die Nährstoffmengen gemäß Art. 30 Abs. 1 bis 5 LMIV diejenigen des Lebensmittels zum Zeitpunkt des Verkaufs. Nach Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 2 LMIV können sich diese Informationen gegebenenfalls auf das zubereitete Lebensmittel beziehen, sofern ausreichend genaue Angaben über die Zubereitungsweise gemacht werden und sich die Informationen auf das verbrauchsfertige Lebensmittel beziehen. Die Regelung des Art. 31 Abs. 3 LMIV gilt nicht nur für die verpflichtende Nährwertdeklaration (Art. 30 Unterabs. 1 LMIV), sondern auch im Falle einer freiwilligen wiederholenden Nährwertdeklaration (Art. 30 Abs. 3 LMIV).

[15] bb) Die streitgegenständlichen Angaben auf der Vorderseite (im Hauptsichtfeld) der Verpackung zu Brennwert (Energie), Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz beziehen sich nicht auf das Lebensmittel zum Zeitpunkt des Verkaufs (Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 1 LMIV), sondern auf das zubereitete Lebensmittel (Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 2 LMIV), nämlich das mit Milch zubereitete Müsli, wobei ausreichend genaue Angaben über die Zubereitungsweise gemacht werden (40 g Müsli werden 60 ml Milch mit einem Fettgehalt von 1,5% zugesetzt) und die Informationen sich auf das verbrauchsfertige Lebensmittel beziehen. Das Berufungsgericht hat nach Ansicht des Senats zutreffend angenommen, dass es für die Auffassung des Landgerichts, unter "Zubereitung" im Sinne dieser Vorschrift seien nur "recht umfangreiche Arbeitsschritte" wie zum Beispiel Kochen oder Erhitzen zu verstehen, keinen Anhaltspunkt in der Lebensmittelinformationsverordnung gibt.

[16] cc) Fraglich ist allerdings, ob Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 2 LMIV, wie die Revision in der mündlichen Revisionsverhandlung geltend gemacht hat, allein für Lebensmittel gilt, bei denen - wie etwa bei Instantsuppen, Puddingpulver, löslichem Getränkepulver, Soßenpulver oder Backmischungen - eine Zubereitung erforderlich und zudem die Art der Zubereitung vorgegeben ist. Diese Frage ist entscheidungserheblich, weil die zuletzt genannte Voraussetzung im Streitfall nicht erfüllt ist. Müsli kann auf unterschiedliche Weise zubereitet werden. Es kann beispielsweise mit Milch oder mit Joghurt zubereitet werden, wobei die Milchprodukte einen unterschiedlichen Fettgehalt haben können; außerdem können ihm andere Zutaten wie etwa Obst oder Honig zugesetzt werden. Die Frage ist nicht zweifelsfrei zu beantworten.

[17] (1) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union verlangen die einheitliche Anwendung des Unionsrechts und der Gleichheitssatz, dass die Begriffe einer unionsrechtlichen Vorschrift, die für die Ermittlung ihres Sinns und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union autonom und einheitlich auszulegen sind. Die Auslegung hat dabei unter Berücksichtigung nicht nur des Wortlauts der Bestimmung, sondern auch ihres Regelungszusammenhangs und des mit der Regelung verfolgten Zwecks zu erfolgen (EuGH, Urteil vom 21. Juni 2018 ­ C­20/17, NJW 2018, 2309 Rn. 33 ­ Oberle; Urteil vom 23. Mai 2019 ­ C­658/17, NJW 2019, 2293 Rn. 50 ­ WB).

[18] (2) Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch sind unter "zubereiteten Lebensmitteln" grundsätzlich alle essfertig gemachten Lebensmittel zu verstehen; sie sind abzugrenzen von solchen Lebensmitteln, die - wie etwa Obst - schon an sich verzehrfertig sind (vgl. BGH, Urteil vom 17. Oktober 2019 - I ZR 44/19, GRUR 2020, 307 Rn. 29 = WRP 2020, 314 - Sonntagsverkauf von Backwaren). Aus dem Regelungszusammenhang der Bestimmung des Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 2 LMIV ergibt sich gleichfalls, dass der Begriff "zubereitetes Lebensmittel" grundsätzlich alle verbrauchsfertigen Lebensmittel umfasst. Allerdings könnte das diese Bestimmung einleitende Wort "Gegebenenfalls" darauf hindeuten, dass die Vorschrift nicht sämtliche Fälle erfasst, in denen sich die Informationen auf ein zubereitetes Lebensmittel beziehen. Unter Berücksichtigung des Zwecks der Regelung erscheint es nicht ausgeschlossen, dass sie allein Lebensmittel erfasst, bei denen die Art der Zubereitung vorgegeben ist. Die Bestimmungen über die verpflichtende Nährwertdeklaration haben gemäß Erwägungsgrund 35 LMIV den Zweck, die Vergleichbarkeit von Produkten in unterschiedlichen Packungsgrößen zu ermöglichen. Um den Durchschnittsverbraucher anzusprechen und ihren Informationszweck zu erfüllen, sollen die Informationen zum Nährwert einfach und leicht verständlich sein (vgl. Erwägungsgrund 41 LMIV). Kann ein Lebensmittel auf unterschiedliche Weise zubereitet werden, lassen die auf den Zubereitungsvorschlag eines Herstellers bezogenen Angaben zum Brennwert und zu den Nährstoffmengen des zubereiteten Lebensmittels regelmäßig keinen Vergleich mit entsprechenden Lebensmitteln anderer Hersteller zu. Eine hinreichende Vergleichbarkeit des Brennwerts und der Nährstoffmengen ist in solchen Fällen möglicherweise nur gewährleistet, wenn die Informationen auf das Lebensmittel zum Zeitpunkt des Verkaufs bezogen sind. Dies könnte dafür sprechen, dass sich die Angaben zum Brennwert und zu den Nährstoffmengen in derartigen Fällen nicht auf das zubereitete Lebensmittel beziehen dürfen, sondern auf das Lebensmittel zum Zeitpunkt des Verkaufs beziehen müssen.

[19] 20

d) Für den Fall, dass die erste Vorlagefrage verneint wird, stellt sich die Frage, ob die Wortfolge "je 100 g" in Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 2 LMIV allein 100 Gramm des Produkts zum Zeitpunkt des Verkaufs oder aber - zumindest auch - 100 Gramm des verbrauchsfertigen Lebensmittels meint (Vorlagefrage 2).

[20] aa) Nach Art. 32 Abs. 2 LMIV sind der Brennwert und die Nährstoffmengen gemäß Art. 30 Abs. 1 bis 5 LMIV je 100 g oder je 100 ml anzugeben. Zusätzlich zu dieser Form der Angabe können nach Art. 33 Abs. 1 Buchst. a LMIV der Brennwert und die Mengen an Nährstoffen gemäß Art. 30 Abs. 1 bis 5 LMIV je Portion und/oder je Verzehreinheit in für Verbraucher leicht erkennbarer Weise ausgedrückt werden, sofern die zugrunde gelegte Portion bzw. Verzehreinheit auf dem Etikett quantifiziert wird und die Anzahl der in der Packung enthaltenen Portionen bzw. Verzehreinheiten angegeben ist. Abweichend von Art. 32 Abs. 2 LMIV dürfen nach Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 1 LMIV in den Fällen gemäß Art. 30 Abs. 3 Buchst. b LMIV die Nährstoffmengen und/oder der Prozentsatz der in Anhang XIII Teil B festgelegten Referenzmengen lediglich je Portion oder je Verzehreinheit ausgedrückt werden. In solchen Fällen wird nach Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 2 LMIV der Brennwert je 100 g oder je 100 ml und je Portion oder je Verzehreinheit ausgedrückt.

[21] bb) Nach Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 1 LMIV durfte die Beklagte im hier in Rede stehenden Fall einer freiwilligen, wiederholenden Angabe des Brennwerts und der Nährstoffmengen gemäß Art. 30 Abs. 3 Buchst. b LMIV die Nährstoffmengen lediglich je Portion angeben. Sie durfte die Nährstoffmenge ferner - wie geschehen - je Portion des zubereiteten Lebensmittels angeben, da Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 1 LMIV gleichermaßen für den Fall gilt, dass sich die Informationen auf das Lebensmittel zum Zeitpunkt des Verkaufs beziehen (Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 1 LMIV), wie auch für den - hier in Rede stehenden - Fall, in dem sich diese Informationen auf das zubereitete Lebensmittel beziehen (Art. 31 Abs. 3 Unterabs. 2 LMIV). Die Beklagte hat die Nährstoffmenge im Streitfall auch "lediglich" je Portion des zubereiteten Lebensmittels angegeben; dem steht nicht entgegen, dass sie die zugrunde gelegte Portion auf dem Etikett mit der Angabe "= 100 g" quantifiziert hat.

[22] cc) Die Beklagte war danach gemäß Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 2 LMIV verpflichtet, den Brennwert je 100 g oder je 100 ml und je Portion oder je Verzehreinheit auszudrücken. Die Beklagte hat auch den Brennwert je Portion des zubereiteten Lebensmittels angegeben und die Größe dieser Portion mit der Angabe "= 100 g" quantifiziert. Es ist allerdings fraglich, ob die Beklagte mit dieser Angabe zugleich auch ihrer Verpflichtung genügt hat, den Brennwert "je 100 g" anzugeben. Dies wäre nur dann der Fall, wenn mit der Wortfolge "je 100 g" in Art. 33 Abs. 2 Unterabs. 2 LMIV - wie die Beklagte meint - zumindest auch 100 Gramm des zubereiteten Lebensmittels und nicht allein - wie der Kläger meint - 100 Gramm des Lebensmittels zum Zeitpunkt des Verkaufs gemeint sind. Auch diese Frage lässt sich nicht zweifelsfrei beantworten.

[23] dd) Eine Antwort auf diese Frage lässt sich weder dem Wortlaut noch dem Regelungszusammenhang der Vorschrift entnehmen. Die Frage kann daher nur im Blick auf den Zweck der Nährwertdeklaration beantwortet werden.

[24] (1) Nach Erwägungsgrund 35 Satz 1 der Verordnung ist es aus Gründen der Vergleichbarkeit von Produkten in unterschiedlichen Packungsgrößen sinnvoll, weiterhin vorzuschreiben, dass sich die verpflichtende Nährwertdeklaration auf Mengen von 100 g oder 100 ml beziehen sollte, und gegebenenfalls zusätzliche Angaben auf Portionsbasis zuzulassen. Um den Zweck einer Vergleichbarkeit von Produkten in unterschiedlichen Packungsgrößen zu ermöglichen, könnte es geboten sein, den Brennwert des Produkts zum Zeitpunkt des Verkaufs und nicht den Brennwert einer nach bestimmter Rezeptur zubereiteten Portion des Lebensmittels anzugeben. Möglicherweise führt allein die Angabe des Brennwerts eines bestimmten Produkts zum Zeitpunkt seines Verkaufs zu der vom Unionsgesetzgeber gewünschten Vergleichbarkeit mit den Produkten anderer Hersteller. Diese Produkte können wohl nicht anhand der Nährstoffangaben zu Portionen in zubereitetem Zustand miteinander verglichen werden, weil schon die Art der Zubereitung im Ermessen eines jeden einzelnen Herstellers steht. Es ist allerdings grundsätzlich nicht gewährleistet, dass die eine Vergleichbarkeit der Produkte verschiedener Hersteller ermöglichende, auf 100 g oder 100 ml des Lebensmittels zum Zeitpunkt des Verkaufs bezogene Nährwertdeklaration in den Pflichtangaben oder auf der Vorderseite der Verpackung erfolgt. Sowohl die verpflichtenden als auch die freiwilligen Nährwertangaben können sich sowohl auf das Lebensmittel zum Zeitpunkt des Verkaufs als auch auf das zubereitete Lebensmittel beziehen. Die verpflichtenden Angaben müssen zudem nicht im Hauptsichtfeld, sondern können auch in einem anderen Sichtfeld stehen.

[25] (2) Andererseits geht aus Erwägungsgrund 41 der Verordnung hervor, dass die Informationen zum Nährwert, um den Durchschnittverbraucher anzusprechen und den Informationszweck zu erfüllen, einfach und verständlich sein sollten, damit sie den Verbraucher nicht verwirren. Daraus könnte sich ergeben, dass die verpflichtende Nährwertdeklaration nicht durch die möglicherweise verwirrende Wiedergabe weiterer zulässiger Angaben in anderen Sichtfeldern in den Hintergrund treten soll. Es könnte den Verbraucher verwirren, wenn neben dem Brennwert je Portion des zubereiteten Lebensmittels der Brennwert je 100 g des nicht zubereiteten Lebensmittels genannt würde (vgl. Schoene, GRUR­Prax 2019, 427: "Ein solcher Wechsel der Bezugsgrößen in einer einzigen Auflistung von Angaben würde wohl niemandem und zumal nicht dem Verbraucher nützen.").

Koch Schaffert Feddersen

Pohl Schmaltz

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