BGH, Beschluss vom 25. August 2020 - VI ZB 5/20

01.10.2020

BUNDESGERICHTSHOF

vom

25. August 2020

in dem Rechtsstreit


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


ZPO § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2


Zu den inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsbegründung (hier: Abweisung einer Klage wegen Inverkehrbringens eines Kraftfahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung).


BGH, Beschluss vom 25. August 2020 - VI ZB 5/20 - OLG Frankfurt am Main, LG Hanau


Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. August 2020 durch den Vorsitzenden Richter Seiters, den Richter Offenloch, die Richterin Müller sowie die Richter Dr. Allgayer und Böhm

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 17. Dezember 2019 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 31.251 €.

Gründe:

[1] I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal in Anspruch. Sie erwarb im Jahr 2013 einen VW Touran Comfortline BlueMotion 2,0 l TDI, der mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet ist. Die Motorsteuerung war so programmiert, dass die Abgasrückführung auf dem Prüfstand in einen NOx-optimierten Betriebsmodus versetzt wurde, während sie außerhalb des Prüfstandes im Straßenverkehr im nicht NOx-optimierten Betriebsmodus operierte. Mit ihrer Klage hat die Klägerin Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückübereignung des Pkw verlangt, was sie unter anderem auf § 826 BGB gestützt hat. Durch das Inverkehrbringen des Pkw mit manipulierter Software habe die Beklagte die Klägerin in vorsätzlich sittenwidriger Weise geschädigt.

[2] Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zum geltend gemachten Anspruch aus § 826 BGB hat es ausgeführt, dass ein Verstoß gegen die EG-VO Nr. 715/2007 für eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nicht ausreiche, da die Verordnung nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen diene. Es bestünde allenfalls die Möglichkeit eines Anspruchs aufgrund einer Täuschung durch Verschweigen der unzulässigen Abschalteinrichtung. Der Vorwurf eines Sittenverstoßes sei aber nur dann gerechtfertigt, wenn eine Seite der anderen zur entsprechenden Offenbarung verpflichtet sei. Vorliegend bestünde nur eine Aufklärungspflicht, wenn infolge der Verwendung der Abschalteinrichtung die EG-Typengenehmigung des klägerischen Fahrzeugs erloschen wäre. Dies sei aber nicht der Fall, denn nach dem erfolgten Aufspielen des Software-Updates erfülle das Fahrzeug alle Erfordernisse der EG-Typengenehmigung.

[3] Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt. In der Berufungsbegründung hat sie gerügt, das Landgericht habe zu Unrecht einen Anspruch aus § 826 BGB verneint. Das Fahrzeug verfüge über eine unzulässige Abschalteinrichtung. Die Beklagte habe die Klägerin konkludent darüber getäuscht, dass die Zulassung des Fahrzeugs zum Straßenverkehr und die Einstufung in die angegebene Schadstoffklasse gesetzesmäßig erfolgten, während sie tatsächlich erschlichen worden seien. Dieses Verhalten sei sittenwidrig. Dies hat die Klägerin unter anderem damit begründet, dass die Beklagte bei ihrer Täuschung das Vertrauen der Endverbraucher darauf ausgenutzt habe, dass das Fahrzeug die gesetzlichen Vorgaben erfülle. Der Schaden liege im Abschluss des Vertrages, den die Klägerin in Kenntnis aller Umstände so nicht abgeschlossen hätte. Der Vorstand der Beklagten habe vorsätzlich gehandelt.

[4] Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht - nach diesbezüglichem Hinweis - die Berufung als unzulässig verworfen, da die Berufungsbegründung nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO genüge. Das Landgericht habe die Klageabweisung neben dem Infragestellen eines Schadens und einer darauf gerichteten Offenbarungspflicht maßgeblich und in erster Linie darauf gestützt, dass die Ersatzpflicht auf Schäden begrenzt sei, die in den Schutzzweck der verletzten Norm fielen, woran es hier fehle. Mit der Berufungsbegründung gehe die Klägerin jedoch auf diesen tragenden Gesichtspunkt nicht ein, sondern stelle lediglich den - vom Landgericht gerade nicht in Frage gestellten - Aspekten der Sittenwidrigkeit und Kenntnis des Vorstands einen abweichenden rechtlichen Standpunkt entgegen. Damit sei die Berufungsbegründung nicht auf den Streitfall zugeschnitten.

[5] Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.

[6] II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Sie ist auch begründet. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts genügt die Berufungsbegründung der Klägerin den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO.

[7] 1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschluss vom 11. Februar 2020 - VI ZB 54/19, NJW-RR 2020, 503 Rn. 5 mwN). Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (st. Rspr., vgl. nur Senatsbeschluss vom 11. Februar 2020 - VI ZB 54/19 aaO. Rn. 6 mwN).

[8] 2. Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung der Klägerin entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts gerecht.

[9] Die Auffassung des Landgerichts, das Schadensereignis sei nicht vom Schutzzweck der Norm (EG-VO 715/2007) erfasst, ist keine Erwägung, die die Klageabweisung schon für sich genommen trägt. Es kommt daher für die Zulässigkeit der Berufung nicht darauf an, ob die Klägerin in der Berufungsbegründung auf diesen Aspekt eingegangen ist. Denn in der weiteren Begründung seiner Entscheidung hat das Landgericht ausgeführt, dass sich ein Anspruch aus § 826 BGB - unabhängig von einem Verstoß gegen die Verordnung - auch aufgrund einer Täuschung seitens der Beklagten durch Verschweigen der unzulässigen Abschalteinrichtung ergeben könnte. Es hat aber gemeint, dass das Verschweigen eines Umstandes nur dann den Vorwurf eines Sittenverstoßes rechtfertige, wenn eine Offenbarungspflicht bestehe, woran es hier fehle. Dem hat die Klägerin mit der Berufungsbegründung entgegengesetzt, dass hier der Verstoß gegen die guten Sitten in einer konkludenten Täuschung seitens der Beklagten und in dem Ausnutzen des Vertrauens der Endverbraucher darauf liege, dass das Fahrzeug die gesetzlichen Vorgaben erfülle. Ferner hat sie dargelegt, dass der Schaden schon im Vertragsabschluss liege. Damit hat sie hinreichend deutlich gemacht, dass und weshalb sie - anders als das Landgericht - den Tatbestand des § 826 BGB als erfüllt ansieht.

[10] 3. Bei dieser Sachlage ist den prozessualen Begründungsanforderungen genügt. Die Sache ist zur Entscheidung über die Begründetheit des Rechtsmittels an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).

Seiters Offenloch Müller

Allgayer Böhm

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